Gedanken über den weitläufig zirkulierenden Begriff der Heimat
Die Erinnerung an die Kontroverse um die Änderung der österreichischen Bundeshymne ist noch wach. Die Frage, ob der vierte Vers der ersten Strophe von „Heimat großer Söhne“ zu „Heimat großer Töchter und Söhne“ verändert werden sollte, polarisierte damals wie kein anderes Thema. Dem Streit ein Ende setzen wollte das sogenannte Bundesgesetz über die Bundeshymne der Republik Österreich, welches mit 1. Jänner 2012 festlegte, dass sowohl die Töchter als auch die Söhne zu besingen seien.
Auch Frauen sind Österreicherinnen
Beim Bestreben, die Hymne zu ändern, ging es offiziell um einen antidiskriminatorischen Ansatz, um geschlechtergerechte Formulierung, darum, Frauen als gleichberechtigt anzuerkennen. Wenn man es zynisch halten will, ging es mindestens ebenso sehr darum, eine benachteiligte Gruppe in ein imaginiertes Kollektiv einzubinden, welches sich seinerseits wiederum über den systematischen Ausschluss Anderer, konkret: aller Ausländer – und auch Ausländerinnen! –, definiert. Den Töchtern wurde per Gesetz bescheinigt, dass sie, wie die Söhne eben, zur nationalen Gemeinschaft gehören.
Im Mittelpunkt standen das dritte und das fünfte Wort des Verses, selten das erste – Heimat. Am Rande wurde zwar debattiert, ob im Vers der dritten Strophe „Vaterland dir Treue schwören“ das „Vaterland“ durch „Heimatland“ ersetzt werden sollte. Der Vorschlag ging unter, zeigt allerdings eine Tendenz an: Heimat geriet in jüngeren gesellschaftspolitischen Debatten zum Buzzword schlechthin.
Im Gegensatz zur Gleichwertigkeit der Töchter wurde das Heimat- bzw. Vaterland freilich nicht in Frage gestellt. Der Stolz auf die Heimat Österreich und die Zugehörigkeit zur Schicksalsgemeinschaft stellten den unausgesprochenen Grundkonsens aller TeilnehmerInnen am Diskurs zum Hymnen-Wording dar. Die Quintessenz einer pluralistischen Alpenrepublik: Es darf über vieles diskutiert werden im Österreich des 21. Jahrhunderts, es lassen sich verschiedene (aber nicht alle) Subjekte integrieren und manche Bedürfnisse adaptieren – doch die Heimat bleibt (oftmals eher als die menschliche Würde) unantastbar. Heimat gilt quasi als nicht negierbar.
Affirmation der Heimat von links
Diesem Umstand folgen auch weite Teile linker Heimat-Debatten. Der Einsicht, dass Heimat von rechts besetzt ist, dass sie ein Grundpfeiler rechter Politkonzepte und PR-Strategien ist, folgt der Versuch einer alternativen Begriffsdeutung. Es existiert mittlerweile eine kaum überschaubare Zahl an Abhandlungen darüber, warum die Linke den Heimatbegriff und damit die Heimat selbst nicht aufgeben darf und wie ein alternativer Diskurs funktionieren könnte. Angenommen wird meist, dass ein „wohlverstandener“ Patriotismus den Zugang zu den Massen herstelle und förderlich für den Kampf gegen abstrakte, also „heimatlose“ Konstrukte wie Staat und Kapital seien.
Einer, der sich weigert, zur Rehabilitierung der Heimat beizutragen, ist der Hamburger Publizist und Theatermacher Thomas Ebermann. Er veröffentlichte Anfang dieses Jahres ein Buch mit dem Titel Linke Heimatliebe – Eine Entwurzelung. Darin zeigt er, auf welche reaktionären Pfade sich die linke Affirmation der Heimat begibt. Heimat schicke sich an, „die Nachfolge von Nation und Leitkultur anzutreten“, schreibt Co-Autor Thorsten Mense im Vorwort, und weiter: „Der Boom der Heimat ist das Grundrauschen der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung“. Ebermann fragt sich deshalb, warum man solche Begriffe, „die zu den Rechten passen wie die Faust des Nazis aufs Auge des Kommunisten, nicht ihnen überlassen“ soll.
Denn dass es in rasantem Tempo auf die Fahrbahn rechtsextremer Ideologie gehen kann, wenn man sich zu sehr um die Heimat bemüht, zeigt Ebermann an zahlreichen Beispielen. Für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung etwa ist die Rede von Heimat essentiell, da sie eine „emotionale Bindung“ schaffe, wie dies „blutleere Begriffe wie der Verfassungspatriotismus“ nicht vermögen. Das Zitat stammt aus einem Papier der Stiftung und Ebermann konstatiert, dass mit dem Wort blutleer „direkt an den antidemokratischen Blut-und-Boden-Mythos völkischer Bewegungen“ angeknüpft wird. Auch in einem anderen Zusammenhang spielen die Heimat und die Einheimischen eine zentrale Rolle, wenn nämlich, aus einer vermeintlich antikapitalistischen Argumentation heraus, der Abbau von nationalen Grenzen mit ungehemmter Kapitalherrschaft gleichgesetzt wird, die ergo den Autochthonen ihren Sozialstaat zerstören und zu deren „kultureller Entwurzelung“ führen würde. Darum lieber die Grenzen dicht halten und „Asylbetrüger“ und „Sozialschmarotzer“ gar nicht erst einwandern lassen – dieses Credo hat in den Teilen der Linkspartei durchaus Geltung.
Man möchte dem Buch vorwerfen, dass es alsbald etwas vorhersehbar wird. Es verfährt über die gesamte Länge nach dem Prinzip, dass eine Persönlichkeit, die sich in der Debatte geäußert hat, herausgepickt wird, deren Zitate abgeklopft werden und Ebermann seine Polemik über die Aussagen und die zu Tage tretenden Haltungen ausbreitet. Aber man bleibt gewillt, Kapitel für Kapitel weiterzulesen, da Ebermann das Haarsträubende kurzweilig wie präzise herausarbeitet. Dass sich Ebermann in seiner Kritik nicht nur bei nationalistisch gesinnten Mitgliedern der Linkspartei und zwielichtigen, von ihrer Aura als Intellektuelle zehrenden Feuilleton-Schreiberlingen (wie Oskar Negt) aufhält, sondern in seinem Rundumschlag gemeinhin unverdächtig geltende Denker wie Georg Seeßlen oder Ernst Bloch anvisiert, ist ebenfalls ein sowohl überzeugender, denkrichtiger als auch dramaturgisch kraftvoller Aspekt von Linke Heimatliebe.
Heimatschutz in Österreich
In ein paar Absätzen geht Ebermann auf die österreichische Situation ein, zieht vor allem Peter Pilz’ Pamphlet Heimat Österreich. Ein Aufruf zur Selbstverteidigung heran (in dem als Gegner der Heimat „das spekulierende Finanzkapital und seine Mitläufer in Banken und Parteien“ benannt werden und es heißt: „[W]ir [wollen] keine illegale Einwanderung und keinen ungeregelten Zuzug von Wirtschaftsflüchtlingen“) und sagt dazu Wesentliches: Die glorifizierende Rede über die Heimat, deren Politisierung aus nationalistischen Motiven, war bis vor nicht allzu langer Zeit Merkmal „der faschistischen Freiheitlichen […], inzwischen sind alle Parteien Österreichs auf diese Rhetorik eingeschwenkt“.
Über die Rolle der Heimat in der österreichischen Politik und Gesellschaft ließen sich selbstredend etliche Kapitel schreiben. Angefangen bei der oben beschriebenen Hymnendiskussion, über die Tatsache, dass sich am Wiener Rathausplatz in Form der Steirerwoche ein dem Provinzdünkel frönendes, jährliches stattfindendes Massenevent etabliert hat (dass der Mensch in die Stadt zieht, um solchen Dingen zu entfliehen, ist vielleicht eine Fehlannahme), bis zum Statement von Werner Kogler, EU-Wahl-Spitzenkandidat der Grünen: „Ich bin auch ein Heimatschützer“. Was der paramilitärische Österreichische Heimatschutz in der Zwischenkriegszeit alles verbrochen hat, dürfte Kogler wohl bekannt sein.
Über die Einstellung der FPÖ zur Heimat muss an dieser Stelle nicht viel gesagt werden, häufig genug trat zu Tage, dass sich diese bei mittelmäßig strengem Blick als nationalsozialistische Wiederbetätigung interpretieren lässt. Interessanter ist die Figur Alexander Van der Bellen, der während des Bundespräsidentenwahlkampfes den Tiroler Trachtenjanker gar nicht mehr auszog, das Duell um die Deutungshoheit über Heimat mit den Freiheitlichen leidenschaftlich bestritt und in den Nachwehen des Ibiza-Skandals um nichts besorgter war als um das nationale Image: „So ist Österreich nicht!“ (Doch, Sascha, genau so ist es.)
Aber wie gesagt, es ließen sich viele Bücher zum österreichischen Heimatdiskurs zu Papier bringen – wer einen Sammelband realisieren möchte, kann sich bei Ebermann und Mense gewinnbringenden Input holen.
Thomas Ebermann: Linke Heimatliebe. Eine Entwurzelung. Mit einem Vorwort von Thorsten Mense. Konkret Verlag, Hamburg 2019