Felicia Ewert macht in trans.frau.sein nachdrücklich cisnormative Strukturen sichtbar und ruft dazu auf, trans Kämpfe als inhärent linke und feministische Anliegen zu begreifen. Dabei sind mache Argumente leider noch nicht theoretisch ausgearbeitet.
Diese Rezension steht unter Verdacht. Sie muss sich der Frage stellen, inwiefern sie nicht selbst durchdrungen ist von cissexistischen Denkmustern, die ich auch als genderqueere Autor*in verinnerlicht habe. So merkt Felicia Ewert, Autorin des Buchs trans.frau.sein an, dass Kritiken von trans Personen an linken und feministischen Politiken und Praktiken immer so formuliert werden müssen, dass sie „mehrheitsfähig“ und nicht als schuldzuweisend empfunden werden, um ernst genommen zu werden. Für ein überwiegend nicht trans(affines) Publikum über ein Buch einer trans Frau und deren Analyse von Cisnormativität zu schreiben, ist dementsprechend von Machteffekten durchzogen. Das merke ich im Schreiben dieser Rezension. Ich merke es als Autor*in sowie als Leser*in von trans.frau.sein. Denn einerseits bleibt für mich die Frage offen, wie ich mit theoretischen Problemen in dem Buch umgehe, sie sichtbar mache, ohne die wichtigen Kritiken des Buchs zu relativieren. Anderseits spricht aus dem Schreiben der Autorin sowohl im Stil als auch in den Beispielen die schmerzhafte Erfahrung von Transfeindlichkeit und Transmisogynie. Auch der Humor Felicia Ewerts in trans.frau.sein ist ein überwiegend bitter ironischer.
Dya- und cisnormative Diskriminierungsstrukturen
Zwischen Sachbuch, Autobiografie und bissig bitterem Kommentar beschreibt Ewert trans-Frau-Sein unter den sich verschränkenden Strukturen von Misogynie und Transfeindlichkeit, welche Transmisogynie hervorbringen. Während sie erstere als die Abwertung von Weiblichkeiten denkt, fasst sie letztere als eine gewaltvolle Struktur von Dya- und Cisnormativität. Dya bezeichnet hierbei die unmarkierte Norm, nicht als inter gelesen zu werden. Cisnormativität benennt für Ewert die Vorstellung, dass Geschlecht und anhand von Biologismen zugeschriebenes Geschlecht in der Regel übereinstimmen, während trans als Nichtübereinstimmung „eine Abweichung vom Normalzustand“ darstellt. In diesem Zuge formuliert die Autorin scharfe Kritik an der rechtlichen, massenmedialen und psychiatrischen Regulierung von Geschlecht, an Alltagssexismus sowie auch an der Trennung zwischen Sex und Gender in feministischer Theorie und Aktivismen. „Der Punkt ist, dass DU als das Problem als Abweichung angesehen wirst. Du hast zu beweisen, dass bei dir ein Zustand ‚mit Krankheitswert‘ vorliegt“, schreibt Ewert etwa über die Voraussetzungen zum Zugang zu Hormontherapien und Operationen. Gleichzeitig kritisiert Ewert, wie die Sex-Gender-Unterscheidung nicht nur die kulturelle Konstruktion von vermeintlich eindeutigen Geschlechterkörpern naturalisiert. Sie schreibt auch vor, wer zu „allen Frauen“ gehört, wenn von den Erfahrungen von Frauen und feministischer Politik gesprochen wird.
Dabei gelingt es der Autorin zumeist, die Verkürzungen cisnormativer feministischer Politiken herauszuarbeiten und zugleich differenziertere, cis- und dyanormativitätskritische Perspektiven einzufordern. Hierbei deutet sie die Abwehr von trans und inter Kritiken einerseits als Verweigerung von cis und dya Frauen, sich mit der eigenen Involviertheit in Gewaltverhältnissen auseinanderzusetzen, sowie linken und feministischen impliziten Ansprüchen universellem, umfassenden Wissens. Andererseits führt sie dya- und cisnormative Haltungen in feministischen und linken Räumen auf die unbewusste Reproduktion gesellschaftlich dominanter cis- und dyanormativer Vorstellungen zurück, welche auch durch trans und inter Personen selbst erfolgen kann. Ewert macht insofern vielschichtige „Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung“ – so der Untertitel des Buchs – deutlich. Weil die Autorin sich auf Diskriminierungen beschränkt, bleiben allerdings die Verschränkungen von Diskriminierung und Ausbeutung wenig thematisiert. Dagegen zeigen trans Theoretiker*innen wie Lia Becker, Dean Spade oder Leslie Feinberg, wie trans Diskriminierung als Platzzuweisung in Ausbeutungsstrukturen fungiert. Sie machen etwa deutlich, dass trans Personen oft gegen besonders geringes Entgelt und in widrigen und prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten, weil ihnen der Zugang zum formalisierten Arbeitsmarkt verwehrt ist.
‚Weibliche Sozialisation‘
Problematisch erscheint mir weiter Ewerts Vorschlag, die Sozialisation jeder Person, die sich als Frau begreift, als weibliche Sozialisation zu benennen. Zwar teile ich ihre Absicht, die einseitige Betonung von Fremdzuschreibungen im Rahmen von Sozialisationstheorien um die Frage zu ergänzen, inwieweit sich Subjekte mit diesen Zuschreibungen identifizieren können und wollen. Ewerts Definition von ‚weiblicher Sozialisation‘ steht jedoch einer Analyse im Weg, die das komplexe und widersprüchliche Zusammenwirken von Fremdzuschreibung und Selbstidentifikation in geschlechtlichen Sozialisationsprozessen beschreiben kann. Unsichtbar wird so, welche spezifische Gewalt in den Strukturen liegt, welche transweibliche Subjektivität prägen. Dies ist schade, denn Ewerts Ausführungen zeigen grade die Unaussprechbarkeit der überwiegenden Anzahl von trans Erfahrungen. Sie sind, wie die Autorin deutlich macht, verschüttet unter einer Vielzahl cisnormativer Narrative, Regime und Institutionen in Massenmedien sowie in Medizin und Recht.
So macht Ewert anhand ihrer Erfahrungen in der Uni oder auf der Straße oder im Rahmen ihres Aktivismus in linksradikalen und feministischen Zusammenhängen anschaulich und fühlbar, wie sich diese Regime in trans Individuen auswirken. Persönlich erlebte Szenen, die mit „Ihnen ist schon klar …“ auf der Damentoilette oder „Kümmer dich lieber um Männer, du Feminist“ als Reaktion auf einen Artikel zu transfeindlichen Strömungen im Feminismus beginnen, stellen den Ausgangspunkt für Ewerts Analysen von Transmisogynie dar. In diesen Schilderungen wird greifbar, wie diese Regime Gefühlswelten hervorbringen, die von der Angst, nicht zu passen, ebenso strukturiert sind wie von der Sorge, im Passing als stereotyp angeprangert zu werden. So wird in trans.frau.sein auch begreifbar, wie emotional komplex radikale trans Politiken für trans Personen sind. Denn sie müssen sowohl die Dekonstruktion von normativer Zweigeschlechtlichkeit als auch zugleich die Lebbarkeit und Anerkennung im Hier und Jetzt verfolgen. Ewerts Buch fordert insofern bei Feminist*innen und Linken Verständnis für die Gestalt und Anliegen in Kämpfen von trans Personen ein. Darüber hinaus ruft es dazu auf, diese Kämpfe als inhärent linke und feministische Anliegen sowie deren Fragen als zentrale Perspektiven in bestehenden linken und feministischen Kämpfen zu begreifen.
Felicitas Ewert: trans.frau.sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung. edition assemblage, Münster 2018