Der Autor und Aktivist Ercan Ayboga ist internationaler Koordinator der Ökologiebewegung Mesopotamiens und aktiv bei Tatort Kurdistan. Mit MALMOE sprach er über die türkische Wasserpolitik und ökologische Probleme in der Demokratischen Föderation Nordsyrien/Rojava.
MALMOE: Herr Ayboga, seit Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Konflikt um Wasser zwischen der Türkei und Kurdistan. Wie kam es dazu?
Ayboga: 2001 habe ich begonnen, mich gegen den Ilisu-Staudamm in der Südost-Türkei (Nordkurdistan) zu engagieren. Der Staudamm wurde damals breit diskutiert, weil u. a. die Regierungen von Deutschland, Österreich und der Schweiz das Projekt mit ihren Exportkreditagenturen unterstützen wollten. Das konnten wir 2002 und 2009 – also zweimal – stoppen, die Finanzierung brach auseinander. Das Projekt wurde schließlich 2010 – nur dank türkischer Finanzierung – wieder in Angriff genommen. Bis heute ist der österreichische Turbinenbauer Andritz zentral beteiligt, während alle anderen europäischen Firmen und Banken ausgestiegen sind. Seit 2005 bin ich in der Kampagne gegen den Staudamm aktiv, bei der Initiative zur Rettung von Hasankeyf. Hasankeyf ist ein 12.000 Jahre alter, historischer Ort am Tigris mit universellem, einmaligem Wert und soll gemeinsam mit 199 anderen Dörfern überflutet werden. Niemand hat etwas vom Damm, außer ein paar Unternehmen und die türkische Regierung.
In der Folge habe ich angefangen, mich gegen Talsperren und für das Lebensrecht auf Wasser insgesamt zu engagieren. 2009 habe ich in Istanbul das internationale alternative Wasserforum mitorganisiert. Seit 2013 bin ich Teil der Ökologiebewegung Mesopotamiens, einem breiten Bündnis von ÖkoaktivistInnen in Nordkurdistan. 2015 und 2016 habe ich auch dort gelebt, musste allerdings aufgrund der Repression wieder zurück nach Deutschland.
Inwiefern ist der Konflikt um Wasser in der Region relevant?
Die Türkei setzt vermehrt auf den Bau von Talsperren und Wasserkraftwerken in ihrem ganzen Staatsgebiet. Im kurdischen Gebiet der Südost-Türkei werden die Talsperren auch als Mittel gegen die aufständische Bevölkerung genutzt. Durch den Bau der Talsperren werden hunderttausende Menschen vertrieben. Es werden Gebiete überflutet, in denen es Städte und hunderte Dörfer gibt. Das sind keine abgelegenen Berggebiete, wie etwa bei den in Österreich verwirklichten Talsperren, sondern zentrale Siedlungsgebiete. Die Region ist auch zentral für die weltgeschichtliche Entwicklung, hier sind die ersten Dörfer der Menschheit entstanden.
Dazu kommt, dass in Türkisch-Kurdistan die beiden großen Flüsse Euphrat und Tigris entspringen, von wo aus sie nach Syrien und in den Irak weiterfließen. Dort wirken sich Staudammbauten sehr negativ aus. Am Euphrat etwa wurden fünf große Talsperren gebaut, Syrien und Irak haben dadurch deutlich weniger Wasser und auch die Qualität ist schlechter geworden.
Die Türkei baut die Talsperren nicht nur für die Stromproduktion, da würde nur wenig Wasser verloren gehen. Mit dem Wasser sollen riesige Flächen, bis zu 1,8 Millionen Hektar Land, bewässert werden. Die Türkei setzt das auch als politische Waffe ein. Das Problem ist, dass es kein umfassendes, auf gleicher Augenhöhe ausgearbeitetes Abkommen zwischen der Türkei und Syrien, dem Irak und dem Iran über die Nutzungsrechte des Wassers gibt. Im Irak gibt es zu wenig Niederschlag. Die Menschen können nur mit Bewässerung überleben. Auf der türkischen Seite hingegen gibt es eigentlich ausreichend Niederschlag für eine Landwirtschaft mit Regenfeldanbau.
Am Tigris, der wichtig ist für den Irak, gibt es bereits drei mittelgroße Staudämme. Sollte der Mega-Staudamm Ilisu in Betrieb genommen werden, dann hätte der Irak deutlich weniger Wasser. Der Tigris führt ohnehin so wenig Wasser wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Im letzten Sommer gab es im Irak eine Dürre. Die Regierung hat daraufhin den Bäuer_innen im Süden verboten, Land zu bewässern, diese reagierten darauf mit kleineren Aufständen. Der geringe Niederschlag war auch eine direkte Folge der Klimaveränderung. In den letzten 20 Jahren ist im Mittleren Osten der Niederschlag um rund 10 % zurückgegangen. Das wirkt sich natürlich auf die Flüsse und den Grundwasserspiegel aus. Die Wasserkrise nimmt somit in der ganzen Region zu.
Wenn nicht bald demokratische und ökologische Lösungen gefunden werden, wird die Wasserkrise immer schlimmer werden. Das würde die Konflikte verstärken, die Region weiter destabilisieren, und Nationalismus und religiösen Extremismus fördern.
Welche Lösungskonzepte sind denkbar?
Um darüber nachzudenken, wird vom 5.–7. April in Sulaimaniyya in Irakisch-Kurdistan das Wasserforum Mesopotamiens stattfinden. Ziel ist es, Druck auf die irakische Regierung auszuüben, um etwas gegen die Wasserpolitik der Türkei zu unternehmen.
Wir sagen: Das Wasser ist für alle da! Eine vernünftige, sozial-ökologische Wasserpolitik ist möglich, mit vielen kleinen Lösungen, in die die Menschen einbezogen sind. Über Grenzen hinweg müssen alle miteinander reden, wie das Wasser gerecht genutzt werden kann.
Regierungen denken immer an Riesenstaudämme und -bewässerungsprojekte. Die sind hier aber keine Hilfe. Kleine Lösungen in Zusammenarbeit mit den Betroffenen machen viel mehr Sinn, das ist unser Ansatz.
Wir betrachten Wasser als ein Medium des Friedens. Es soll nicht als Mittel zur politischen Hegemonie genutzt werden.
Die angesprochenen Probleme betreffen auch die Demokratische Föderation Nordsyrien/Rojava, um die es in ihrem Buch Revolution in Rojava (2015) geht. Wie ist dort die ökologische Situation?
In einigen Aspekten ist das ökologische Bewusstsein seit der Revolution 2011 gewachsen. Anders als in Türkisch-Kurdistan, gab es das bis dahin nicht. Die Städte sind grüner geworden, es gibt weniger Müll, Wälder werden nicht mehr abgeholzt, die Landwirtschaft ist in Teilen ökologischer geworden und die Grundwasservorkommen werden weniger stark ausgebeutet. Politische Bildung, auch im Bereich Ökologie, setzt sich immer mehr durch.
Es gibt aber auch eine Abhängigkeit vom Öl, das ist einer der großen Widersprüche in Rojava. Es gibt mehr Öl als die Menschen brauchen, gefördert wird dennoch nur für den Eigengebrauch. Genutzt wird es für Mobilität, fürs Heizen, für die militärische Verteidigung. Ein bedeutender Teil des Stroms wird mit Diesel produziert, mit kleinen Kraftwerken und Generatoren. Das verpestet natürlich die Luft.
Eine Ökologiebewegung ist erst am Entstehen. Ein Ergebnis davon ist etwa die Kampagne „Make Rojeva green again“, die von Internationalist_innen gestartet wurde. Ziel ist, dass die Vegetation insgesamt zunimmt, um mehr Niederschlag zu garantieren, eine erste Baumschule wurde dafür gegründet.
Außerdem gibt es erste, kleine Recyclingprojekte. Ich erwarte in den nächsten Jahren große Fortschritte.
In welchem Verhältnis steht die demokratische Selbstverwaltung in Rojava zur Ökologie?
Das zunehmende ökologische Bewusstsein hat direkt mit dem Gesellschaftsmodell des demokratischen Konföderalismus zu tun. Das Konzept wurde von Abdullah Öcalan, dem Gründer der PKK, mitentwickelt. Er hat, vor seiner Entführung in die Türkei 1999, 20 Jahre in der Region gelebt. Das Gesellschaftsmodell will Autonomie anstatt eines eigenen Staates, ist multiethnisch und multireligiös ausgerichtet. Die drei Säulen des Demokratischen Konföderalismus sind die radikale Demokratie, Geschlechterbefreiung und Ökologie. Die beiden ersten sind recht gut entwickelt, da wurde viel getan. Aber im Bereich Ökologie beginnt alles erst langsam.
Das gesamte Leben, also Wohnen, Produzieren, Konsumieren und die Ernährung, soll ökologisch und gesund sein. Sodass die Ressourcen auch in 100 Jahren noch zur Verfügung stehen, aber auch die Rechte der Natur gewahrt werden. Das heißt natürlich auch: Weg vom Kapitalismus! Eine ökologische Gesellschaft mit Kapitalismus ist für uns unmöglich.
Jetzt ist aber die Demokratische Föderation Nordsyrien aktuell bedroht durch die Türkei. Wie schätzen sie die derzeitige Lage ein?
Seit dem Aufstand und Krieg in Syrien ist Rojava ständig bedroht. Zuerst durch rechte, konservative Teile der Freien Syrischen Armee und islamistische Gruppen, dann durch den „Islamischen Staat“ (IS). Der syrische Staat ist auch eine Gefahr, die wieder wächst. Nach der weitgehenden Zerschlagung des IS ist der größte Feind die Türkei. Vor einem Jahr gab es die Invasion im Kanton Afrin, ganz im Nordwesten Rojavas, mit der Duldung Russlands, der USA und Europas.
Heute spielen alle Staaten mit dem Drohpotential eines Angriffs der Türkei oder auch Syriens, um damit die demokratische Selbstverwaltung auf ihre Seite zu bringen und ihre eigenen Interessen zu fördern. Wegen der Komplexität der Lage im Mittleren Osten wird keine der Großmächte der Türkei einfach so schnell freie Hand geben, um das befreite Nordsyrien einzunehmen.
Die Revolution ist in einer kritischen Phase. Selbst wenn Rojava militärisch angegriffen wird, wird es für die reaktionären Kräfte nicht so einfach, Rojava zu zerschlagen oder zu vereinnahmen. Die Gesellschaft dort ist sehr gut organisiert, sowohl politisch als auch militärisch.
Was ist die Perspektive?
Mit internationaler Unterstützung wird es schwieriger für die reaktionären Kräfte, Rojava anzugreifen. Wer eine demokratische Alternative in Syrien und im Mittleren Osten unterstützen will, muss sich jetzt konkret solidarisch verhalten. Dazu zählt die Öffentlichkeit über den drohenden Einmarsch der Türkei zu informieren, weitere Kreise zur Handlung zu bewegen und auch vor Ort, in Rojava selbst, anzupacken.