C+M+B
Es klingelt an der Tür – die Sternsinger sind da. Es sind viel mehr als die üblichen drei Weisen (bzw. Könige) aus dem Morgenland. Durchwegs Burschen in diesem unglücklichen Alter. Sie krächzen einen Song, soweit der Stimmbruch es ihnen erlaubt. Dann wird holprig noch ein Sprüchlein runtergebetet. Alle sind eigentümlich nervös, als müssten sie aufs Häuserl. Die ganze Aktion trägt Züge einer Schutzgelderpressung. Nach dem Kassieren machen sie auf dem Absatz kehrt und eilen auf die Straße zurück. Die Überfallenen dürfen eine kleine Broschüre vom Bischof behalten. Natürlich gab es bei dem Besuch der Kostümierten einen klaren Fall von Blackfacing (man ist am Land), denn der eine Heilige hatte sich das Gesicht schleißig schwarz gefärbt, wie es die Polizisten in den Überfallkommandos im Fernsehen machen. Auffälligerweise fehlt in der Broschüre des Kirchenoberhaupts das geschminkte Schwarzgesicht, denn die Kirche hat wohl Imageberater*innen und sogar irgendwoher ein original dunkelhäutiges Kind aufgetrieben. An der nächsten Straßenecke begegnet der Singtrupp einem anderen. Es kommt zum Streit und die Burschen beginnen sich mit ihren Stöcken, an deren Enden Sterne geschraubt sind, auf die Köpfe zu dreschen. Okay, die Friedensbotschaft wäre hiermit glaubwürdig überbracht. Stimmt es also, was die Rechten und Rechtsradikalen (erkennt noch jemand den Unterschied?) immer behaupten: Gruppen junger Männer, die von religiösen Ideen aufgehuscht wurden, sind gewaltbereit und gefährlich? Aber nein. Es war nur eines dieser altersbedingten Spaßkämpfchen. Es gibt keinen Grund für echten Streit, die Claims sind abgesteckt und beide Trupps ziehen weiter ihrer vorbestimmten Wege als Partners in Crime einer harmlosen Tradition.
Prima Pornos
In Freiburg werden jetzt „faire Pornos“ produziert. Of all cities in the world natürlich Freiburg. Die Idee ist sympathisch, allerdings komplett beknackt. Die Darsteller*innen gestalten ihre Szenen selbst und entscheiden, welche Art von Sex sie haben. Damit soll ein „realistischeres“ Bild der Sexualität geboten werden und das glauben Menschen, die keine Ahnung über die Auswirkung des Mediums Film haben. Sex vor der Kamera ist notwendig unrealistisch, eben durch die Kamera. Mit den „fairen Pornos“ solle Jugendlichen geholfen werden, die in ihrem Verhalten durch Online-Porn beeinflusst werden. Ähhhhh, ja nett, nur: Pornografie ist – wie Susan Sontag richtig sagt – „Science Fiction der Lust“. Alle sind immer geil und dauernd einsatzbereit. Den Jugendlichen muss man natürlich (im Sexualkundeunterricht?) erklären, dass das nicht die Realität ist, aber dementgegen eine angebliche Realität „normaler Sexualität“ pornografisch verfilmen? Vollkommene Schnapsidee, denn der ganze Witz der Pornografie ist ja gerade das Exzeptionelle. An diesem Widerspruch ist kein Vorbeikommen. Aber es kommt noch schlimmer. Die Filme sollen finanziert werden durch Verkauf im Internet. Viele Teenager*innen werden an dieser Stelle sagen: „Supergeil!“. Nach zehn Gratis-Netz-Pornos jetzt auch mal für einen richtig schön Geld bezahlen. Da durch die Bezahlung die Anonymität der Käufer*innen aufgehoben wird, gibt es dann noch eines der Gespräche obendrauf, nach denen die junge Zielgruppe darbt: „Was ist das für eine Rechnung, Lukas?“ – „Och, da habe ich mir einen fairen Porno runtergeladen, Mama.“ Wird sicherlich ein Riesenerfolg.
Dumm dumm dumm – du dumm dumm – dumm
Auch im Jahr 2019 wird es wieder der Fall sein, dass zahlreiche Presseberichte mehr nach Beiträgen von Satireseiten wie Die Tagespresse oder Der Postillon klingen als nach realer Berichterstattung. Das beweist folgende Meldung: Ein gewisser, sich selbst die missverständliche Bezeichnung Künstler gebender, Max Siedentopf möchte eine von Solarenergie angetriebene Soundinstallation in die namibische Wüste setzen, die das Lied Africa von Toto in Dauerschleife abspielt. Auf Nachfrage der BBC gab er zwar zu, dass die natürlichen Gegebenheiten einer Wüste recht rasch für die Deinstallation seines Projekts sorgen werden, das hält ihn von der Umsetzung jedoch nicht ab: „I wanted to pay the song the ultimate homage and physically exhibit ‚Africa‘ in Africa“. Klingt stumpfsinniger als jedes EZA-Projekt, aber Hauptsache: Africa den Afrikanern.
Im Zug
Eine Familie steigt in München hinzu – sind in dieser Stadt tatsächlich alle schrecklich? Vater, Mutter, Teenage-Tochter und Teenage-Sohn. Die Gesichter der Alten sind streng, die der Kinder werden es bald sein. Auf allem scheint eine bleierne Verzweiflung zu liegen. Sofort wird deutlich: Die nutzlose Zeit der Zugfahrt will effizient genutzt werden. Auf den Tisch werden geistig anregende Spiele und Lektüre gehievt. Der Vater stellt improvisierte Quizfragen. Aha, die Fahrleitungen haben also eine Messinglegierung – der genaue Name ist ihm allerdings entfallen. Der große Bruder triezt die kleine Schwester. Sie kann eines der Rätsel, die auf klobigen Karten ausgeteilt wurden, nicht lösen und beginnt still zu weinen. Später stellt sie eine Frage an die Mutter, die viel zu lange starr auf die Karte blicken muss. Auch sie weiß die Antwort nicht. Nur schwer kann sie den Zorn über das eigene Versagen verbergen. Der Sohn zieht einen Laptop hervor und bittet um Feedback seiner hochgebildeten Eltern für eine Bewerbung. Mutter und Vater beginnen an dem in gutem, wenn auch ein wenig bemühtem, Englisch formulierten Text zu feilen. Sie tun dies in einer Weise, die dem ganzen Zugwaggon unerwünschte Teilhabe schenkt. Nach einer Weile gibt die Mutter den Computer zurück. „Alles rot“, meint die Tochter. Nun, entgegnet die Mutter, sie habe eben jeden Satz umformuliert und nennt dafür präzise drei Gründe. Zwei inhaltliche und einen stilistischen. Auch der Vater ist unzufrieden. Die Wünsche und Ziele des Knaben stecken in einer wenig packenden Aufzählung („Das geht besser!“). Auch sind die Gedanken allesamt ein wenig zu sehr „einerseits/andererseits“. Und was er sich da bloß wünsche! – Aber, meint der Sohn mit verbliebenem Kampfesmut, vielleicht im Ruhestand könne er doch dieser Leidenschaft nachgehen. Die Mutter lacht und ist sich sicher: „Mit Schreiben verdient man kein Geld.“ Der Aushilfsjournalist am Nebentisch fühlt sich spätestens an dieser Stelle persönlich angegriffen und seine eigene Zerknirschung mag sich wohl ein wenig in sein Urteil über die Münchner Bilderbuchfamilie mischen. Am Ende haben Vater und Mutter zur eigenen Zufriedenheit in schmissigem Englisch Lebenslauf, Ziele, Hoffnungen und Wünsche ihres Sohnes formuliert. Das Basteln an der „eigenen“ Außendarstellung wurde zur Familienangelegenheit, wohl weil im Rat-Race um die verbliebenen Posten, die noch ein Latte-macchiato-Bobo-Life ermöglichen, nichts unversucht gelassen werden darf. Gute Reise noch.
Ohren zu und durch
Die Wertigkeit der für die gesellschaftliche Ordnung zuständigen Institutionen drückt sich nicht nur in der Verhätschelung durch die Regierungsträger oder in Umfrageergebnissen aus. Beispiel Polizei. Für Innenminister Kickl ist sie ein unantastbares, unfehlbares, weil ihm sowieso treu zur Seite stehendes Organ, weshalb er sie am liebsten mit unbegrenzten Befugnissen ausstatten würde. Ebenso belegen Österreichs Polizistinnen und Polizisten in der Rangliste der angesehensten Berufe einen komfortablen siebten Platz; gut 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung haben demnach Vertrauen in die Polizei.
Eine Alltagsbeobachtung des hier berichtenden Redakteurs legt nahe: Die Relevanz der jeweiligen Vereinigung wird auch auf eine andere Weise betont, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Der Lärm einer Polizeisirene ist etwa dermaßen durchdringend, dass jede und jeder, die oder der nicht gänzlich affirmativ zur Kiberei steht und sich von ihrem Sirenenklang verzaubern lässt, sofort auf eine furchtbare Art getriggert wird. Die Sirene des Notfalldienstes der Wiener Linien (welchen Platz in der Rangliste der angesehensten Berufe man als Angestellte/r in diesem Tätigkeitsbereich belegt, bleibt unklar) hört sich dagegen an, als wäre sie mit Kabelbindern auf einen 1995er Fiat Punto gezurrt, der eben aus Versehen im Donaukanal geparkt worden ist, und nun im Tauchgang kläglich vor sich hin trötet.
¡Viva la Muerte!
Der Mitarbeiter der US-Coastguard Christopher Hasson hat sich selbst eine schwierige Knobelaufgabe gestellt, die er in E-Mails an sich selbst gut dokumentiert hat: „Wie kann die gesamte Menschheit oder zumindest ihr größter Teil getötet werden?“ Hmmm, mal scharf nachdenken. Vielleicht Spanische Grippe? Milzbrand? Alle Lebensmittel vergiften? Hasson musste sich selbst gegenüber eingestehen, dass das nicht ganz einfach wird. Das Leben ist auch für gewaltbereite Neonazis nicht immer leicht, aber auch hier gilt: Steter Tropfen höhlt die hohle Birne. Schritt für Schritt wurden Hassons Anschlagspläne konkreter. Zunächst einmal sollten sämtliche Vertreter*innen der demokratischen Partei und der liberalen Medien erschossen werden, um die daraus entstehende Verwirrung für weitere Mordpläne zu nutzen. Wer heute die Gefahren des immer mächtiger werdenden und immer unverschämter auftretenden Neonazismus in den USA und in Europa unterschätzt oder kleinreden will, ist nicht mehr ganz bei Trost. Diese Leute meinen es ernst und im Moment stoppt sie einzig die in diesen Kreisen häufig anzutreffende krasse Verblödung. Aber auf Dauer kann man auf die nicht setzen. Hasson wurde wegen Drogen- und Waffenbesitzes verhaftet, im Zuge dessen man seine Wohnung durchsuchte. Somit kamen die Ermittlungsbehörden auf Hassons Massenmordpläne nur durch Zufall. Hasson ist ein gutes Beispiel für die von Erich Fromm diagnostizierte Nekrophilie des Nazismus. Ihre Vertreter*innen verabscheuen alles Leben und sehnen nichts mehr herbei als den Tod aller. Praxistipp für die Politik: Besser von jeder Art politischem Bündnis mit Neonazis und deren Unterstützer*innen absehen. Ambivalenzen wie jene der Trump-Administration gegenüber den Suprematisten oder von Teilen der österreichischen Bundesregierung, die gerne mal mit Identitären chattet, führen psychologisch zu keiner Beschwichtigung. Die Nekrophilen werden nur angespornt und steigern ihren Hass, bis dieser zu realen Gewalttaten führt.