Hängen Krieg und Mode zusammen? Hans-Christian Dany geht in seinem Buch MA-1. Mode und Uniform auf eine Erkundungsreise entlang der gewundenen Linie zwischen Bedeutungszuschreibungen, Sinn und gewissen historischen Zufällen
Karl Lagerfeld ist tot. Er starb am 19.2.2019 als einer der letzten Modeschöpfer, genannt „Modezar“, der es noch zu einem Household Name gebracht hat. Sein Markenzeichen war ein eng anliegender, steifer Stehkragen, der in den letzten Jahrzehnten die Bewegungen des Meisters einzuschränken schien. Inspiriert war dieser vom Kragen Walther Rathenaus (andere Quellen sprechen von Gustav Stresemann). Die beiden deutschen Politiker unterlagen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einer strengen Vorgabe ihrer Schneider*innen, die danach trachteten, passgenau die Hälse der Menschen in die Kleidung einzufügen, sich aber zugleich um die Schultern wenig scherten. Heute ist dies genau umgekehrt. Der Maßanzug formiert die Schulter, gibt dem Hals aber gerne eine variable Kragenweite. Und, bedeutet das etwas?
Épater la bourgeoisie
Rathenau und Stresemann waren, trotz teilweise bewiesener weltoffener und liberaler Gesinnung, sorgsam darauf bedacht, als Patrioten zu gelten. Lagerfeld fiel am Ende seines Lebens durch krude kulturalistische Theorien auf, in denen sich die Sorge um den Verlust deutscher Kultur durch Zuwanderung äußerte. War es Lagerfeld zu eng am Kragen geworden? Fehlte die Frischluftzufuhr, den ein bodenloser Kaftan liefert? Lagerfelds autoritäre Artung war in seinem Arbeitsumfeld berüchtigt. Vielleicht wird sie sichtbar in den meist engen Kostümchen, in die er die winzigen Frauenkörper bei Channel und Fendi zwang. Dass er weite und bequeme Kleidung nicht mochte, belegte sein berühmtestes Zitat, das zugleich als ein Dokument snobistischen Klassenhasses gedeutet werden kann: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Den Stehkragen soll übrigens im frühen 19. Jahrhundert der Dandy (andere sagen Trickbetrüger, Dany spricht auch vom Hochstapler als „Akrobaten des Sozialen“) George Brummell erfunden haben, dem es geschickt gelang, die Blicke seines Publikums streng auf die Äußerlichkeit seiner Bekleidung zu lenken.
Hans-Christian Dany interessieren solche Zusammenhänge. Welche Bedeutung hat die Form von Mode? Werden diese der Mode bloß zugeschrieben oder verraten modische Formen tiefe, zunächst übersehene Aspekte? Dany war es auf den Spielplätzen beim Bewachen des Nachwuchs eines Tages ein bisschen zu blöd geworden. Die anderen Väter (es waren nur wenige) und die Mütter saßen am Sandkasten und taten, was eben zu tun war. Unbemerkt von ihnen selbst schienen sie sich immer ähnlicher zu werden, auch was ihre Spielplatz-Funktionskleidung betraf. Dany stapfte deswegen los und kaufte sich eine Bomberjacke. Ihm gefiel der Gedanke zu provozieren. Diese Lust der Mode, nicht nur bewundernde Blicke, sondern auch skeptische zu ernten, ist ein wichtiges Motiv. Ohne Frage gelingt dies mit modischen Entscheidungen. Dany begann der Bomberjacke nachzuforschen. Warum konnte sie so scheinbar eindeutige Emotionen erzeugen?
Was kann die Bomberjacke?
Der Pilot Giulio Gavotti experimentierte 1911 als erster mit dem militärischen Einsatz von Flugzeugen. Bemerkenswerterweise fasste er das Bombardieren als eine Disziplinierungsmaßnahme (sogenanntes police bombing) auf, um etwa Demonstrationen zu zerstreuen. Bekleidet war er bei seinen ersten Bombenabwürfen nicht anders, als wenn er auf ein Pferd gestiegen wäre. Eine den Gegebenheiten des offenen Cockpits im Flugzeug angepasste Uniform gab es noch nicht. Zu Zeiten eines Baron von Richthofen wurden Bomberpiloten als moderne Ritter verklärt und auch nicht unähnlich verhüllt. Die erst in den 1970er-Jahren entwickelte Bomberjacke MA-1 (unfreiwillig sarkastisches Mission Statement: „Alpha’s mission is to protect and inspire heroism in all forms“) wies designtechnisch schwere Mängel auf, weil ihr Nylon (statt dem früher verwendeten Pferdeleder) sehr leicht Feuer fing und bei den Soldaten zu fürchterlichen Brandwunden führte. Ihre Form pluderte den fast immer männlichen Oberkörper aber auf und ließ diesen kräftiger erscheinen. Ein Effekt der für die psychologische Kriegsführung sinnlos ist, da die in ihren Flugzeugen eingekapselten Piloten niemanden mit breiten Schultern einschüchtern können, von den Drohnenpiloten, die tausende Kilometer vom Kampfplatz entfernt sind, ganz zu schweigen. Diese tragen meist jene einteiligen Overalls die aus Filmen wie Top Gun bekannt sein dürften.
Auf der Straße nun wirkt die MA-1 wie eine „optische Verpanzerung“ (Dany) und lässt die Träger*innen kräftiger erscheinen und dies mag zu ihrem Erfolg bei unterschiedlichen Subkulturen beigesteuert haben. Dies sind nicht nur die mit ihnen am besten assoziierten Nazi-Skins, sondern auch die Rude Boys und Skinheads der Ska-Szene mit ihren an den geschorenen Köpfen der Marines orientierten Häuptern. Paradoxerweise ist dieser Effekt, was die Abwehr von körperlicher Gewalt betrifft, null und nichtig. Die Jacken schützen kaum. Allemal schützt die Bomberjacke nicht gegen Bombardement, sei es von Drohnen oder konventionellen Bombern. Die Stärke der Bomberjacke lag eher darin, große Temperaturunterschiede abfedern zu können. Sie wärmt bei großer Kälte und lässt ihre Trägerinnen bei Hitze nicht sogleich dahinschmachten. Der Krieg ist kein Ort des häufigen Garderobenwechsels. Diese technische Besonderheit mag der Bomberjacke in den 1990er verholfen haben zum Ausrüstungsgegenstand von Raves zu werden.
Emergenz vorhersagen
Mode erzeugt ihre Bedeutung anders als Kunst. Kunst kann auf formalisierte Räume zurückgreifen, wie den sogenannten White Cube. Dieser ermöglicht Intentionen der Künstler*innen an die Objekte und Bilder zu binden, durch eine gewisse „Lenkung“ des Diskurses. Das funktioniert bei Mode und den damit verbundenen Kaufentscheidungen nicht. Hier ist es die letztlich nicht kontrollierbare „Schwarmintelligenz“ (die sich durchaus in manchen Fällen auch als kollektive Verblödung lesen lässt), die darüber entscheidet, ob etwas hip wird oder nicht. Ein faszinierendes und scheinbar unvorhersehbares Spiel der Kräfte scheint bei der Mode am Werk. In Zeiten, in denen alles zu einer Warenform wird, stehen die gewinnorientierten Produzent*innen dadurch vor einem anderen Problem als in der Kunst, wo sie „lediglich“ die Diskurshoheit erringen müssen. Sowohl Kunst als auch Mode werden aktuell spekulativer, in einem börsenartigen Sinn. Es wird zunehmend nach Gelegenheiten gesucht maximalen Wertzuwachs zu erzielen, indem in Produkte investiert wird, die noch nicht eingeführt sind und die bei geringstmöglichen Kosten, größtmöglichen Gewinn versprechen. Das Börsenwort „emergent“ wurde somit populär.
Bei der Mode gibt es nun aktuell die Hoffnung, ihre Emergenz, also ihr wunderbares, komplexes, subtiles und „polyamouröses“ (Dany) Spiel vorhersagen zu können. Dabei soll Big Data helfen – und somit wird ein neues unrühmliches Kapitel der heraufziehenden Kontrollgesellschaft geöffnet. Zum Verhältnis von Mode und Krieg kann also eine letzte Pointe gemacht werden. Im Jahr 1994 eröffnete in New York ein Skater-Laden. Mit der bewusst propagandistischen Schrift, die die damals noch sehr angesagten, konsumkritischen Konzeptkünstlerin Barbara Kruger entwickelt hatte, überschrieb man den Laden unbescheiden „Supreme“. Man pflegte sorgfältig die eigene Community und führte soziale, politische Fragen ein zur Markenpolitur des letztlich neoliberalen Unternehmens. Kunst, Kommunikationsguerilla und Hip-Hop-Kultur wurden geschickt verbunden. Der Verkauf von enorm teuren Ziegelsteinen mit dem aufgeprägten Markenlogo darf als eine leicht dadaistische Meisterleistung gelten, die wiederum durch ihre Absurdität große Bekanntheit der Marke erzeugte. Jetzt will man die neuen Möglichkeiten künstlicher Intelligenz nutzen und kooperiert mit der außerhalb der Bankenregulation agierenden Parallelbank The Carlyle Group. Diese wiederum investiert fleißig in die Entwicklung von Drohnen und sonstigen autonomen Waffensystemen. Die Nutzung künstlicher Intelligenz soll also bei der Auswertung visueller Information helfen und die Fragestellungen sind ähnlich: „Was ziehen diese störrischen Konsumenten eigentlich an und wo stecken diese nervigen Widerstandsgruppen in ihren Hochgebirgen?“ Diese Allianz, sagt Hans-Christian Dany, die das Streetwear-Geschäft mit den Hightech-Lieferanten des „Krieges gegen den Terror“ gebildet haben, ist äußerst unheimlich. Ob die Maschinen tatsächlich eines Tages erreichen können, was Kylie Jenner im kleinen Finger hat, ist eine andere Frage. Der Versuch allein, menschliche Entscheidungen durch Programme vorhersagen zu wollen, verändert das Bild, das man vom Menschen hat, gravierend.
Im Magazin skug lässt sich ein ausführliches Interview der Autoren mit Hans-Christian Dany nachlesen.