Bike.Polo.Stadt. #15
Diese Kolumne hat keinen harmlos-unterhaltsamen Inhalt, keine witzigen Pointen und wer ein erbauliches Ende will, muss es sich ausdenken. Wer hier weiter liest, ist selber schuld.
Ihr vermutet, es geht mir schlecht, so richtig übel und diese Zeilen sind das dringend benötigte Ventil, meinen Frust in die Welt hinauszukotzen? Diese Vermutung wäre naheliegend, ist aber falsch. Mir geht es gut! Der Winterblues hat mich nicht überrollt, Lebenslust und Zuversicht sind mir nicht abhandengekommen und mein Interesse am Universum mit all seinen Wundern ist ungebrochen. Aber im selben Maße, wie es mir kleinem Menschlein im Grunde an nichts fehlt, geht bei vielen meiner Mitmenschen zunehmend das letzte bisschen Nachdenklichkeit im wortwörtlichen Sinne und ihr (soziales) Engagement flöten.
Zum Beispiel: Dieses Land wird von einer antidemokratischen, menschenverachtenden und durch und durch korrupten Regierung geführt und wenige tausend Menschen raffen sich auf, um dagegen in welcher Form auch immer zu demonstrieren – der Rest döst apathisch vor sich hin.
Oder: Ich kenne Frauen, Mütter, beruflich erfolgreich, im Freundeskreis beliebt, liebevoll ihre Kinder umsorgend, die tatsächlich denken, der Bundeskanzler dieser schwarz-braunen Regierung wäre eine vertrauenswürdige Person. Der Mann, der die Balkanroute „geschlossen“ hat. Vertrauenswürdig!
Der ewige Klassiker: Selbst im einzigen halbwegs als seriöse Tageszeitung durchgehenden Medium dieses Landes schreiben Kommentatoren gebetsmühlenartig, wie das bei Religionen so der Fall ist, der Markt regelt alles. Der Markt? Ist jenes fiktive Konstrukt, von dem die Volkswirtschaftslehre seit etwa einem halben Jahrhundert weiß, dass es überhaupt nichts regelt, weil Märkte aus Menschen bestehen und diese sich nicht von Adam Smith’ „unsichtbarer Hand“ aus Angebot und Nachfrage leiten lassen, gemeint? Ich hoffe nicht, denn das wäre grob fahrlässige Volksverblödung. Der apathisch dösende Großteil der Bevölkerung plappert es gedankenlos nach.
Schon gemeingefährlich: Regelmäßig werden Menschen in diesem Land getötet und schwer verletzt, weil Geschwindigkeitsbegrenzungen zu hoch angesetzt und Fahrzeuge nach den falschen Kriterien (Penisverlängerung bzw. Statussymbol) konstruiert sind, und meine lieben Mitmenschen diskutieren darüber, ob wir Tempo 30, wie es die Verkehrsplanung seit mehreren Jahrzehnten fordert, in den Städten einführen. Von dem dringend benötigten SUV-Verbot ist noch nicht einmal die Rede, obwohl es sehr einfach Menschen- und vor allem Kinderleben retten würde.
Wir führen die alten Ist-die-Erde-eine-Scheibe-oder-Kugel-Diskussionen bei jedem noch so einfachen Thema. Weil wir uns weigern, deutlich zu sagen: Das ist keine Frage der Meinung, sondern des Wissens. Diese Gespräche mögen ja im 14. Jahrhundert nette Abendunterhaltung gewesen sein, aber selbst damals wusste das mit der Kugel ohnehin schon jeder. Zumindest der Adel und die Geistlichkeit und das Bürgertum und die Handwerkerzünfte und Teile der Bauernschaft. Sie haben trotzdem zugehört, wenn ihnen wieder einmal jemand von der großen Scheibe Erde gepredigt hat.
Geändert hat sich seitdem wenig, denn auch noch heute hören wir alle zu, wenn sich zwei Idioten gegenseitig mit einer immer noch idiotischeren Meinung zu übertrumpfen versuchen. Wohlgemerkt Meinung und wohlgemerkt idiotisch, also unqualifiziert, unlogisch, nicht auf Fakten basierend. Zumeist hören wir in diesen Fällen alten (nicht nur weißen) Männern zu – also jener Bevölkerungsgruppe mit der eingeschränktesten Lebenserfahrung, der höchsten Bezahlung für ihre häufig sehr geringe und entbehrliche Arbeit,und der niedrigsten sozialen Kompetenz. Mit „wir“ ist die Menschheit gemeint, denn wir alle tun es. Auch ich. Ich versuche, es immer weniger zu tun und ich wende mich sooft ich kann ab und sage nichts. Aber ich frage mich. Wenn die Tat nur die Fortsetzung des Gedankens ist, glauben wir wirklich, dass uns alte Männer die Welt erklären können? Ich denke und hoffe nicht. Vielmehr vermute ich, die patriarchalische Gesellschaft hat unsere Männer an all ihren diversen Schalthebeln der Macht nur eine Sache wirklich gelehrt: Wir anderen hören euch zu und nicken freundlich, egal was für einen Mist ihr erzählt und macht. Genau damit versuche ich für mich Schluss zu machen.
Ich gehe Bikepolo spielen, meine Endo Turns müssen dringend besser werden und meine Ballführungssicherheit als letzter Spieler. Im Übrigen glaube ich, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, sich das erbauliche Ende selber auszudenken! 3, 2, 1, Polo. Oder was auch immer …