MALMOE

Au S U V ernder Wahnsinn

CO2-Schleuder, Gehweg-Zuparker, Sicherheitsrisiko und völlig dysfunktional: der SUV, eine allgemeine Zumutung

Und täglich grüßt das Murmeltier. Es ist kurz vor acht in der Früh, der breite Fahrradstreifen zugeparkt mit fetten Autos, glänzend weißen oder schwarzen SUVs. Der Motor läuft. Kleinere und größere Kinder werden von gehetzten Eltern aus dem Auto und über die Favoritenstraße bugsiert. Zielort: Theresianum. Kurz danach braust der SUV weiter. Übrig bleibe ich am Fahrrad in der Abgaswolke.

Der SUV. Für mich aktuell mein liebstes Hassobjekt – und dahinter stecken bestimmt kein Sozial- oder gar Geldneid, stattdessen Fragen der Ökologie, des öffentlichen Raumes, der Ungleichheit und banale Sinnfragen, die mich mal wieder an der Zurechnungsfähigkeit meiner Mitmenschen zweifeln lassen.

2018 waren in Österreich 31,3 % der Neuzulassungen SUVs oder Geländewägen (Quelle: Statistik Austria, Verkaufsstatistik 2018). Allein von Jänner bis Dezember entsprach das laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) 86.705 Stück. Bei der Vorstellung wird mir etwas übel und ich denke an meine letzte Zugfahrt, wo ich einen nicht enden wollenden Frachtenzug, zweistöckig beladen mit SUVs (Nissans waren’s glaube ich), gesichtet habe, der gerade dabei war, nach Wien einzufahren und ich mich gefragt habe, wo verdammt noch mal diese ganzen Autos denn in der Stadt Platz finden sollen. Es ist doch sowieso schon alles zugeparkt und zugestaut und die meisten neuen Autos brauchen, nicht allein aufgrund des desaströsen Fahrkönnens ihrer Lenker_innen, sondern wegen der Breite des Fahrzeugs selbst, ja mindestens eineinhalb Spuren, den Fahrradstreifen dabei schon als unter-die-Räder-gekommen mitgerechnet.

Während es noch nachvollziehbar scheint, dass der Bezirk Liezen in der Steiermark mit 51 % den größten Anteil von SUVs und Geländewagen hat (Dachstein, Schladminger Alpen, Niedere Tauern usw.), scheint es weniger erklärbar, warum auch in Wien-Liesing fast jede zweite Neuzulassung (46 %) ein SUV ist. Um den Rodauner Eichkogel oder den Sauberg bei allen Wetterverhältnissen motorisiert erklimmen zu können? Aber Halt! Hier liegt ein großes Missverständnis vor, denn um den eigentlichen Gebrauchswert eines Geländewagens geht es bei einem SUV ja sowieso nicht – SUVs sind zumeist nicht einmal geländetauglich und haben keinen Allradantrieb, es sind Stadt- und Straßenfahrzeuge, nur im Kraftstoffverbrauch, dem Gestank sowie bei Aussehen und Größe dem Geländewagen ähnlich. Eigentlich ist ein SUV also vollkommen dysfunktional, dient ausschließlich der Distinktion und dem Besserfühlen der BesitzerInnen. Und ich frage mich wieder: Welcher Trottel fährt einen SUV? Anfangs dachte ich mir, dahinter stecke alt bekannter phallischer Größenwahn, allerdings kann ich beobachten, dass fast gleich oft Frauen aus diesen Gefährten steigen. Statt Schwanzverlängerungen scheinen SUVs die neuen Familienkombis zu sein – nein, es ist nicht mein Vorurteil, dass Kinder meist nicht weit sind, wenn Frauen im Auto sitzen, sondern immer noch und leider patriarchale Realität und entsprechend empirisch zu beobachten. SUVs sind Autos für all jene, die es besonders gut mit sich meinen und die besonders ignorant allem und allen anderen gegenüber sind (Stichwort: Klima, Lautstärke, Raumverbrauch und Sicherheit). Du bist deiner selbst der nächste, vor allem wenn es um dein Gefühl der Sicherheit geht.

Und während sich also das Geschlechterverhältnis als ambivalenter als gedacht herausstellte, stimmt meine Annahme, was das Klassenverhältnis, die ökonomische Situiertheit der Fahrer_innen betrifft mit den statistischen Daten eher überein: Wenig überraschend sind die beiden Wiener Bezirke mit der kleinsten SUV-Quote Simmering und Fünfhaus (Quelle: Verkehrsclub Österreich, Statistik Jänner-August 2018). Die größte Dichte gibt es in Liesing und Brigittenau. Vor allem zweiteres, der 20. Bezirk, erschließt sich sozioökonomisch aber nicht auf den ersten Blick. Sind es leicht die Wallensteinplatz’schen Bobos, die die CO2-Schleudern kaufen? Womöglich. Laut dem Politikwissenschaftler Ulrich Brand sind es gerade auch jene alternativen Schichten, denen sonst Mülltrennung und Bioprodukte ökologischer Lebenssinn sind, die aufgrund ihres fehlgeleiteten Sicherheitsgefühls zu SUV-Käufen neigen. Eben jene polyglotten und weltoffenen gesellschaftlichen Gruppen, die, etwas vereinfacht gesagt, wohl auch am allerliebsten für 80 Euro übers Wochenende nach Barcelona fahren oder in die Ferne reisen, um auch anderes zu sehen und zu erleben. Aber während ich das individuelle Konsumverhalten nicht als erste und beste politische Strategie der Veränderung sehe, würden eben jene dies sehr wohl behaupten, wenn es um andere Themen wie die Herkunft und Produktionsweise unserer Nahrungsmittel geht.

Mein persönliches ökologisches Bewusstsein war ja sowieso bisher eher mangelhaft ausgebildet, auch weil ich es als Nebenwiderspruch des kapitalistischen Wachstums- und Akkumulationswahnsinns abgetan habe und andere Machtverhältnisse zwingender für mich scheinen. Das ändert sich sukzessive, natürlich bleibt der Klimawandel ohne Kapitalismuskritik nicht versteh-, erklär- und damit veränderbar und dennoch beschäftigt er mich immer mehr. Das sichtbarste und symbolträchtigste Vehikel der ökologischen Katastrophe ist und bleibt der PKW. Und seitdem ich mich mit Kleinkind täglich und mit voller Aufmerksamkeit (Achtung, Auto!) stundenlang durch das Abenteuer Großstadt bewege, kommt mir erst so wirklich zu Bewusstsein – und in die Nase, vor die Augen und in die Ohren! –, wie viele Autos hier herumstehen. Ja genau: stehen – nicht fahren! Denn entweder parken Autos den Raum voll oder sie stehen im Stau oder an der Ampel. Im Gegensatz zu uns bewegen sie sich kaum oder nur schubweise. Ich winke dem wegfahrenden Nachbarn dreimal zu, während wir ihn immer wieder mit dem Laufrad überholen. Und das trotz dreier Boxenstopps aufgrund von Tauben, die es zu verjagen gilt, Hundescheiße, die man anschauen will und kaputter Häuserwände, die man inspizieren muss.

Ich erkläre meinem Kind, wo der Gehweg ist, wo er endet und wo die Straße beginnt, wo Parkplätze sind und welche Linien man nicht alleine übertreten darf, wo man unbedingt stehen bleiben muss. Und dann fragt er bei jedem zweiten Auto zu Recht, warum das denn schon wieder eigentlich mitten am Gehweg steht und wir uns daran vorbeischleichen müssen. Weil sie einfach zu groß sind für die Stadt, die doch eigentlich eh schon alles dafür getan hat, um möglichst autofreundlich zu sein. Und anstatt zu sagen, dass – mal ganz abgesehen davon, dass es generell viel zu viele PKWs gibt und es eigentlich nur selten einen Grund gibt, in der Stadt mit dem Auto zu fahren, zumal in Wien mit dem weltallerbesten und wunderbarsten öffentlichen Verkehrsnetz – Geländewagen und SUVs aufgrund ihrer Größe im öffentlichen Raum eben keinen Platz haben und folgerichtig entweder verbannt oder mit so viel Steuern belegt werden sollten, dass den meisten die Lust daran vergeht, wird mancherorts schon am Gegenteil gewerkelt. Wie ich lesen muss, überlegt die Stadt Graz, ob sie aufgrund des von mir beschriebenen Raumproblems die Straßen und Parkplätze verbreitern soll, damit SUVs künftig bequem parken können. Also noch mehr öffentlicher Raum für die unökologischen, klimaverpestenden, stinkenden Automonster, die jenen, die drinnen sitzen, große Sicherheit schenken, aber für alle außerhalb des äußerst geräumigen SUV-Universums ein exorbitantes Sicherheitsrisiko darstellen. Das ist doch Wahnsinn.

Apropos Sicherheit: Vor allem für Kinder, die aufgrund ihrer Körpergröße nicht in das Sichtfeld der Fahrer_innen, die hoch über dem Straßenboden thronen, geraten, sind SUVs so gefährlich. Aber auch für alle anderen gilt, dass SUVs zwar nicht zwangsläufig mehr Unfälle produzieren, aber diese, so sie passieren, gravierendere Folgen haben: schwerere Verletzungen, mehr Tote. Geredet wird allgemein über Straßensicherheit und verpflichtende Abbiegeassistenten für LKWs – klar, das wäre einfach und wichtig, aber selbst das geht einem blauen Verkehrsminister zu weit, der gegen jede sinnvolle Erkenntnis lieber ­Tempo 140 auf den Autobahnen testen lässt. Aber während man immerhin sagen kann, dass es Gründe gibt, warum es sinnvoll sein kann, dass ein LKW mit seiner Fracht in die Stadt fährt, wenn wir nicht auf manch einen uns lieb gewordenen Komfort verzichten wollen, so gibt es schlichtweg keinen Grund und keine Erklärung dafür, warum immer mehr Menschen mit Privat­autos, die nicht auf die Straßen und nicht in die Parkplätze passen, unökologisch und gefährlich sind, überhaupt fahren sollten.

Und dann muss ich wieder an die EAV denken, 300 PS, diesen elendigen und genialen Ohrwurm meiner Kindheit: „Jetzt hab ich ein Auto, dafür hab ich gelebt. Ich lass den Motor gurgeln, auf dass die Erde lebt.“ Oh ja, auf dass die Erde hoffentlich noch lange lebt!