Ein Besuch im MALMOE-Archiv und einige Textfragmente aus den Jahren 2000 bis 2002
Nach fast einem Jahr Schwarz-Blau II, der Neuauflage der Donnerstagsdemos und aus purer Kuriosität habe ich mich den ersten 11 veröffentlichten MALMOES und ein paar Prä-MALMOE-Dokumenten, den sogenannten Clipboards, zugewandt. Ich wollte rausfinden, wie damals in der MALMOE über die Dynamiken der politischen Landschaft Österreichs geschrieben wurde. Anders als ich annahm, geht es relativ wenig um die Regierung selbst. Themen wie der 11. September 2001, Widerstandsbewegungen in nicht-westlichen Ländern oder die Anti-WTO-Demonstrationen in Seattle 1999, die Protestformen weltweit nachhaltig verändern sollten, standen damals viel mehr im Fokus der MALMOE. Daneben bestimmen Kämpfe im Kulturbereich, ebenso wie Themen rund um den Cyberspace die Inhalte der Hefte. Sehr zentral und ein verbindendes Element war auch die Veröffentlichung von Empire (2000 erstveröffentlicht, 2002 in deutscher Übersetzung), in dem Michael Hardt und Antonio Negri eine „neue Weltordnung“ identifizieren und bemüht sind, neue Formen des Widerstands, wie die Idee der Multitude, zu formulieren. Manchmal hatte ich beim Lesen den Eindruck, dass die MALMOE ein Magazin der Multitude selbst war.
Im Folgenden aber nun ein paar Absätze und Auszüge, die um die Analyse und den Widerstand gegen Schwarz-Blau I zirkulierten
Zum Einstieg, im Clipboard#4 von Anfang 2000, findet sich eine kleine Kontextualisierung der gesellschaftlichen Realität: „Zweifellos erlebt Österreich im Jahr 2000 einige bedeutende Einschnitte in die politische Kultur: Koalitionswechsel, eine europaweit geächtete Rechtsaußenpartei in Regierungsverantwortung, einen kurzfristigen Boykott der EU-14, den Spruch der ‚drei Weisen‘, spontanen Proteststurm, Aktionismus auf den Straßen: Eine Bewegung, die ihren Widerstand gegen Schwarzblau sowohl allgemein in Permanenz (Donnerstagsdemos, den Newsletter MUND etc.) als auch zugespitzt anlassbezogen (Checkpoint Austria, Protest gegen Studiengebühren etc.) zu artikulieren weiß. Eine Auseinandersetzung darüber, wohin sich das Land entwickeln könnte, wird – implizit – ausgetragen. Was Zukunft heißen möge, wird umstritten.“ (Günther Hopfgartner, Melina Klaus, Yolo Tischler)
In Bezug auf die Donnerstagsdemos findet sich Anfang 2002, also etwa zwei Jahre nach Beginn der Demos, in der mit 01 nummerierten MALMOE Folgendes: „Die Donnerstagsdemo als Marktplatz der Aktiven in Wien ist ein Umschlagplatz für Informationen und eine Maßnahme der Marginalisierten, sich nicht in private Nischen zurückdrängen lassen. Auch wenn es derzeit nur wenige hundert sind, wäre es fatal darüber die Nase zu rümpfen, die Demos vielleicht sogar als ‚überholt’ zu bezeichnen. Das kleine Dauerflämmchen kann sehr schnell wieder ordentlich lodern, wenn die Verhältnisse Öl ins Feuer gießen.“ (Kurto Wendt)
Vor ziemlich genau 16 Jahren, am 24. November 2002, fanden Neuwahlen statt. Die MALMOE 8, 9 und 10 drehen sich um das Ereignis. In der Rubrik Themenpark steht unter dem Titel „Neuwahlen wohin?“ in der 9. MALMOE: „Die Formulierung grundsätzlicher Alternativen zur gesellschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahre kann nur von den Netzwerken der außerparlamentarischen Bewegung erwartet werden. Die vordingliche Aufgabe jener Gruppe, Organisation und AktivistInnen, die sich im Widerstand gegen Schwarz-Blau und/oder der Antiglobalisierungsbewegung vernetzt haben, sollte deshalb sein, die Programmatik und Praxis ihrer ‚Graswurzel‘-Projekte weiterzuentwickeln und sich in die Gesellschaft hinein zu verbreiten.
Teil der in derartige Projekte involvierten kreativen Klasse sind in den vergangenen zweieinhalb Jahre recht ausdauernd gegen Schwarz-Blau auf die Straße gegangen. Es wird sich nach dem 24. November [2002] zeigen, ob sie ihre Forderungen (sofern sie überhaupt über eine Haider-Antipathie hinausgingen) vergessen, sobald wieder sozialdemokratische Innenminister fürs Abschieben und grüne Finanzminister fürs Budgetkonsolidieren zuständig sind. Gute Seiten, schlechte Zeiten: Unser Wahlspruch wird wohl weiterhin Programm bleiben – auch MALMOE wird Kontinuitäten zeigen müssen.“ (Pinguin, Günther Hopfgartner, S. 19)
Übrigens: MALMOE-Partys gab’s auch schon immer. „Tanz mit uns auf 1 Jahr MALMOE-Vollbetrieb und das Ende von Schwarz-Blau. 2. Oktober 2002, ab 21 Uhr“ (MALMOE 8, S. 32).
In der MALMOE 9 findet sich in der Rubrik Diskursiv eine volle Doppelseite auf der Die Wahlpartie (getragen u. a. von IG Kultur Österreich und maiz) eine Kampagne anlässlich der Nationalratswahlen 2002 vorstellt. Mit Themen wie Gleichheitspolitik, Migrationspolitik, feministische Politik, Vergangenheitspolitik, Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie Kulturpolitik wird ein ausgiebiges Wunschwahlprogramm vorgestellt.
Nach der Wahl im November 2002 wird Schwarz-Blau mit einer großen Mehrheit für die ÖVP bestätigt, in der MALMOE 10 wird das Thema Widerstand aufgegriffen: „Vielmehr käme es darauf an, Foren zu öffnen, die vielfältige lokale Widerstandspraktiken aufeinander beziehen, sie zu Austausch und Auseinandersetzung bringen und ihnen eine internationale Dimension verleihen.“ Versäumnisse der Bewegung gegen Schwarz-Blau nachzuholen „heißt: Ernsthafte Kommunikation mit migrantischen Organisationen, die sich nicht in moralisch-antirassistischen Schlagworten erschöpft; eine weitergehende Öffnung der Diskurse und Strukturen der Bewegung gegenüber feministischen Vorstellungen der Emanzipation von Frauen und Männern von ihren Geschlechterrollen, sowie der Aufbau nicht hierarchischer Strukturen, die sich nicht nur in personellen, sondern auch in inhaltlichen Repräsentationen von Frauen und MigrantInnen manifestieren.“ (Redaktion MALMOE)
Das Eintauchen in alte Ausgaben der MALMOE hat mich begeistert und gleichzeitig habe ich viel für das Verständnis unserer Gegenwart mitgenommen. Es hat noch dazu mit einem Gerücht aufgeräumt, dass MALMOE eine kausale Reaktion auf Schwarz-Blau I sei. Es wird gerade daran gearbeitet, die neue Homepage fertigzustellen, mit dem Vorsatz ein Archiv anzulegen, auf dem sich alle MALMOE-Ausgaben finden lassen. Ob digital oder analog, das Stöbern in den alten Texten ist eine große Empfehlung.