MALMOE

Österreich, die Nazis und der Verfassungs­schutz

Als Norbert Hofer im Präsidentschaftswahlkampf 2016 ankündigte, man werde sich noch wundern, was alles möglich sei, wurde wild über die bedrohlichen Worte des freiheitlichen NLP-Grinsemanns spekuliert. Dass sich MALMOE ernsthafte Sorgen um den bisweilen eher unliebsamen Verfassungsschutz machen würde, kam dann aber doch überraschend.

29. Januar 2018: Peter Goldgruber, Generalsekretär des Innenministeriums unter Herbert Kickl (FPÖ), will so manches vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) wissen. Etwa, welche Burschenschaften und welche Burschenschaftsmitglieder denn beobachtet würden und wo im Bereich Rechtsextremismus verdeckte Ermittler zum Einsatz kämen. Der Leiter des BVT, Peter Gridling, blieb diskret. Nur wenige Tage zuvor hatte sich die frisch auf der Regierungsbank sitzende Freiheitliche Partei in einen Skandal manövriert: Die schlagende Burschenschaft des niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer (unverfänglicher Name der Burschenschaft: Germania) besitzt ein selbstgeschriebenes Liederbuch, in dem von der „siebten Million“ die Rede ist.

Keinen Monat später, in der Nacht vom 28. Februar 2018, stürmen vermummte Beamte der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) die Räumlichkeiten des Verfassungsschutzes sowie mehrere Privatwohnungen von BVT-Mitarbeiter_innen. Ausgewählt wurde die EGS von Generalsekretär Goldgruber persönlich, obschon ein solcher Fall nicht in den Zuständigkeitsbereich der Einsatzgruppe fällt. Die EGS ist bekannt für ihre rassistische, oft gewalttätige Einsatzführung (O-Töne: „Negerklatschen“); ihr Leiter Wolfgang Preiszler ist selbst FPÖ-Gemeinderat, seinem Facebook-Profil nach unzensuriert.at-Leser und Reichsbürgersympathisant.

Eingesackelt hat die FPÖ-Truppe zuallererst eine horrende Menge Daten aus der Abteilung Extremismus. Zunächst war die Rede von 19,1 Gigabyte – kurze Zeit später deckte der Kurier auf, dass es wohl doch ein wenig mehr war, nämlich 40.000 Gigabyte. Der Kopf des BVT, Peter Gridling, wurde von Kickl kurzerhand suspendiert.

U-Ausschuss: Widerspruch und Spektakel

Der Öffentlichkeit wurde als Motivational des FPÖ-Raids zunächst ein 39-seitiges, anonym verfasstes Pamphlet eines vermeintlichen Insiders vorgestellt. Die merkwürdigen Inhalte des Schriftstücks konnten rasch als hanebüchen entlarvt werden. Dementsprechend musste ein neuer Grund für die Einwilligung der Staatsanwaltschaft her: Es gäbe Belastungszeug_innen und ihre Aussagen sollen von großem Gewicht sein.

Die Opposition forderte umgehend einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, den die FPÖ zunächst öffentlich befürwortete, bei der Abstimmung jedoch gemeinsam mit der ÖVP ablehnte. Im April gelang es schließlich, den Ausschuss zu konstituieren und die ersten Befragungen mit September zu datieren. Ende August stand bereits das erste juristische Urteil fest: Die Stürmung des BVT und der Privatwohnungen erfolgte dem Landesgericht Wien nach widerrechtlich.

Im U-Ausschuss wird nun seit zwei Monaten befragt, beschuldigt und verwirrt. Die Bilanz: Man weiß weniger als zuvor und niemand will schuld sein, schon gar nicht der verantwortliche Innenminister Kickl. Der wusste von nichts und zeigt sich empört über die von „Fake News“ getragene Medienkampagne gegen ihn und sein Ressort.

Überall Neonazis

Mitte November wurde bekannt, dass ein Neonazi als Security beim U-Ausschuss im Parlament eingesetzt wurde. Richtig gehört: ein echter Neonazi. Mit Glatze. Nicht so ein halbgarer deutschnationaler Burschenschaftler im Mittelalterkostüm. Also gut, Burschenschaftler ist er natürlich trotzdem. Aber er ist auch bei Alpen-Donau.info aktiv und ein Vertrauter des mehrfach verurteilten Neonazis Gottfried Küssel, mit dem sich Vizekanzler Strache in seiner Zeit als jugendlicher Neonazi zum Wehrsport getroffen hat. Wer weiß, vielleicht wird der junge Mann eines Tages selbst ein Kanzler?

Indessen zeigen sich sogar die Vertreter der ÖVP-Koalitionäre im U-Ausschuss besorgt um den Rechtstaat, allen voran Fraktionschef Werner Amon. Im Interview mit der Zeit Ende November räumte er ein, man hätte der FPÖ besser nicht alle bewaffneten Staatsapparate überlassen sollen. Hinsichtlich des U-Ausschusses überrasche ihn am meisten, wie schnell die ursächlichen Belastungszeug_innen in sich zusammenfielen – vor einem Jahr hätte er derlei für unmöglich gehalten.

Nun gut, möchte man sagen, wer sich die Wölfe ins Schlafzimmer einlädt, braucht sich nicht wundern, was alles möglich ist.