MALMOE

Fragen an das Haar

Der Winter muss eine schreckliche Zeit für Dich sein – immer unter- und zerdrückt von Mützen, Hüten und Ähnlichem. Was tust Du gegen die Winterdepression?

Nun, ich bin es ja gewohnt im Verborgenen zu existieren. Weil ich wunderbarerweise als Inbegriff der Erotik, quasi als Sexsymbol gelte – vor allem, wenn ich wild und in Freiheit durch die Gegend flattere –, werde ich grausamerweise oftmals unter Perücken oder Kopftüchern versteckt, wenn ich aus der Kopfhaut einer Frau wachse. Freiheit, Sexualität und Frau? Das darf auch im 21. Jahrhundert nicht zusammen gedacht werden und muss unter- äh: zuge-bunden werden. Vor allem die Religionen meinen es hier nicht gut mit mir.

Du bist es also gewohnt, zurechtgestutzt zu werden?

Es gibt immer den Versuch mich zu bändigen – zum Zivilisiert-Sein zählt nun mal auch der „richtige“ Umgang mit dem Körper. Denk nur an den Struwwelpeter! [Er] steht für die Bemühungen, aus Kindern „zivilisierte“ Menschen zu machen. Das Werk entspricht der bürgerlichen Vorstellung vom „wilden Kind“, das erst durch die Erziehung gesellschaftsfähig wird. Der Struwwelpeter ist ein Sinnbild für die Verweigerung all dessen: die Haare lang und ungekämmt, die Fingernägel von grotesker Länge. Das Haar ist also immer Ausdruck von Norm, Anpassung aber auch Widerstand.

Inwiefern leistest Du ­Widerstand?

Insofern als ich als Projektionsfläche und Ausdruck für Normen und Schönheitsideale gelte, bin ich natürlich auch prädestiniert dazu, politisch aktiv zu sein und diesen Anforderungen entgegenzuwirken. Wenn sich seit den 1920ern der Druck auf Frauen, überall außer am Kopf – dort nur tunlichst nicht! – rasiert zu sein, rasant auf alle gesellschaftlichen Schichten ausweitete, so bin ich in dem Sinn Feministin als ich standhaft bleibe und meinen Platz auf den Beinen, unter den Achseln, rund um den Bauchnabel, auf den Brüsten und Oberlippen der Frauen dieser Welt behaupte und mich der Rasur widersetze.
Oder der Bubikopf! Was waren das für heiße Debatten Anfang des 20. Jahrhunderts – als unweiblich, dekadent-städtisch, modern und damit im reaktionär-völkischen Mief jüdisch hab ich damals gegolten! Dabei war diese Frisur in erster Linie praktisch … Männer wiederum setzten in den 1960ern mit langen Mähnen Zeichen gegen eine bürgerliche, uniformierte Gesellschaft. „Je länger das Haar, desto kürzer der Verstand“, hatte schon der berühmte Sexist und Antisemit Otto Weininger gesagt.
Apropos Uniform: [Da gibt es ja immer noch in] bestimmten Berufssparten Vorschriften zu Frisuren, Haarlängen, Bärten, Schminke und Tätowierungen. Das bedeutet: der Körper selbst wird Teil der Uniform. Bei der Polizei gab es früher einen Zwang zu kurz geschnittenen Haaren. Heute dürfen Männer auch längere Haare tragen, allerdings nur als Zopf.

Deine Vielfältigkeit ist also Ausdruck einer Liberalisierung?

Auch das schlägt manchmal in die falsche Richtung um: Wenn ich jetzt nicht mehr Ausdruck von Zwang, sondern von Freiheit bin, können daraus wieder Zwänge entstehen. Warum? Weil in neoliberalen Zeiten alles, auch der Körper und insbesondere das sichtbare Haar, zum Instrument der Selbstbehauptung und -vermarktung in einer Konkurrenzgesellschaft wird um meine Individualität, Kreativität, Leistungsbereitschaft usw. unter Beweis zu stellen. Da gibt es dann vielleicht viele super coole und verschiedene Frisuren – aber wenn das dazu dient, die Menschen wie eine Ware wertvoller und verwertbarer zu machen dann ist mir das auch wieder nicht recht. An dieser Entwicklung kann ich kein gutes Haar lassen.

Das Haar sollte man also einfach Haar sein lassen?

Ja. Genau. Lebe wild und gefährlich!

Danke für das Gespräch!

(Alle kursiven Sätze sind Zitate aus der Ausstellung Mit Haut und Haar – Frisieren, Rasieren, Verschönern, die bis 6. Jänner 2019 im Wien Museum zu sehen ist.)