Die ersten beiden Staffeln der Serie Babylon Berlin hatten kürzlich Free-TV-Premiere, Staffel drei und vier sind bereits in Planung
„Wir sind wieder wer“ ist einer der Leitsätze des postnazistischen Deutschtums und das nicht nur in Fußball, Austerität und Angriffskrieg, sondern auch in der Erfüllung kulturindustrieller Standards. Um zu zeigen, dass nicht nur die immerwährende Abgrenzungs- und Projektionsfläche „Amerika“ in der Lage ist, so genanntes Quality TV zu produzieren, macht man das jetzt eben auch – ca. 20 Jahre nach Beginn des Hypes.
Babylon Berlin heißt das Produkt, das im Rahmen eines Public-Private-Partnerships von Sky Deutschland und der ARD entstanden ist und die Hauptstadt im Jahr 1929 als Sumpf aus Intrigen, Armut, Sex, Kommunismus und heraufziehendem Nationalsozialismus inszeniert. Schwere und verwirrende Zeiten also. Wer kennt sich da noch aus? Wer mag da schon ein Urteil fällen? Sicher nicht Kriminalkommissar Gereon Rath, die Hauptfigur der Serie. Rath ist ein klassisches deutsches Opfer: mit posttraumatischer Belastungsstörung aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt und nun gefangen in den Verhältnissen. Ein deutsches Opfer ist auch die Stadt Berlin selbst – dank Computer Generated Imagery (CGI) in historisiertem Gewand. Schade, dass das alles zerbombt und danach hässlich wieder aufgebaut werden musste, mag sich manche/r ZuschauerIn denken. Wobei sowohl Zerbombung als auch die oftmals nationalsozialistisch inspirierte Ästhetik des (West-)Berliner Wiederaufbaus nur selten als etwas in der Verantwortung der Deutschen liegendes wahrgenommen werden. Wirklich auferstanden aus Ruinen ist Berlin – glaubt man der Ästhetik der Serie – erst in den letzten Jahren, als die verbliebene Gründerzeitbausubstanz dank Gentrifizierung wieder so schön hergerichtet wurde, wie sie nie war; für BewohnerInnen, die in den 20er Jahren sicher nicht in diesen Häusern gewohnt hätten. Das jüngere Selbstbild der Berliner Eliten – „arm aber sexy“ – wird in die 20er projiziert, in denen selbst die Einrichtung überbelegter Gründerzeitwohnungen innenarchitektonischen Grundsätzen gehorcht zu haben scheint.
Fehlende Zusammenhäng
Nun mag die Serie selbst durchaus unterhaltsam sein, gerade für historisch, politisch und kulturell interessierte AkademikerInnen. Zum Teil wartet sie mit viel historischem Detailwissen auf, etwa was die Kämpfe zwischen StalinistInnen und TrotzkistInnen oder die illegale Aufrüstung der deutschen Luftwaffe mit Hilfe der Sowjetunion betrifft. Die von führenden SozialdemokratInnen organisierte Repression gegen KommunistInnen wird ausführlich thematisiert und in den Straßen erklingt Die Moritat von Mackie Messer. Nur fehlen leider die größeren historischen Zusammenhänge und insbesondere die revolutionären Ereignisse und ihre brutale Niederschlagung zwischen 1918 und 1923 als Vorgeschichte. Die größtenteils polizeiliche Erzählperspektive vernebelt die Sache zusätzlich.
Am Ende können sich die ZuschauerInnen, je nach politischer Überzeugung oder Stand der historischen Wissenslücken, ihre Erklärung für den Siegeszug des Nationalsozialismus zusammenzimmern. Nahegelegt wird allerdings doch wieder jene Deutung, die in der Serie selbst zwar nicht direkt, im Begleitmaterial dazu aber umso mehr transportiert wird. In der von der ARD anlässlich der Serie ausgestrahlten Doku 1929 – Das Jahr Babylon, in der auch die HauptdarstellerInnen aus der Serie auftreten, heißt es in der Erklärungslogik der Totalitarismusdoktrin des Kalten Krieges über 1929: „Sie [die Große Koalition] soll der Weimarer Republik eine Zukunft geben. Links und rechts von ihr werden radikalere Lösungen angeboten. Einfach und schnell. Das Heil der Welt in einer Schlagzeile.“ Auch dem Nazi wird hier zugestanden, „radikale Lösungen“ anzubieten. Eine politische Logik, die, wenn man sie bis zum Ende durchdenkt, nahelegt, die Wurzel allen Übels sei eine jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung. Wahrscheinlich ist diese Interpretation von den MacherInnen besagter Doku nicht intendiert. Sie spiegelt einfach nur wider, wie man in Deutschland seit Jahrzehnten die Geschichte der Weimarer Republik verklärt. Ergebnis ist die Entlastung der aus SozialdemokratInnen, Konservativen und Liberalen bestehenden politischen Eliten der Nachkriegs-BRD auf Kosten der geächteten KommunistInnen, denen implizit gleich auch noch die Verantwortung für das Ende der Weimarer Republik umgehängt wird
Männerprodukt
So bemerkenswert die technische Umsetzung des Berliner Stadtbildes der 20er Jahre bisweilen ist, so holprig ist sie in anderen Bereichen. Das finale Duell auf dem fahrenden Güterzug ist nicht nur als Idee ziemlich platt, sondern auch visuell ein Eisenbahnunglück. Fast könnte man glauben, das CGI-Team hätte gestreikt und wäre durch Gratis-PraktikantInnen ersetzt worden, die erfolglos versuchten, sich gegenseitig einzuschulen.
Weniger in den 20ern als in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts sind die Verhältnisse hinter der Kamera fundiert. Die Plattform Pro Quote Film zählt ein Geschlechterverhältnis von 18:1 wobei in den Bereichen Produktion, Regie, Drehbuch, Kamera, Komposition und Filmton ausschließlich Männer gelistet sind. Die eher feenhafte Inszenierung der weiblichen Hauptfiguren und so manche nicht ganz plausible Abweichung von der literarischen Vorlage hat möglicherweise darin ihren Ursprung. So ist Lotte Ritter im Roman Jurastudentin und arbeitet nebenbei als Hilfskraft bei der Polizei. In der Serie kombiniert sie hingegen Polizeiarbeit bei Tag mit Sexarbeit bei Nacht. Tendenziell ärmer als im Buch, aber gerade sexy genug für eine männerdominierte TV-Produktion.