MALMOE

Der Schweiß

Die fabelhafte Welt der ­Körpersäfte (#8)

Endlich ist der Sommer vorbei und man muss nicht mehr schwitzen und mit anderen schweißgebadeten Menschen in der U-Bahn sitzen. Jetzt darf man wieder freiwillig in die Sauna schwitzen gehen. Hängt meine Vorliebe zum winterlichen Schwitzen mit meiner Abneigung von Zwängen zusammen? Das wäre schon sehr küchenpsychologisch herbei fabuliert. Fakt ist aber, dass wir Menschen das Schwitzen sehr unterschiedlich bewerten – manche lieben es, die körperliche Anstrengung in Schweiß ausgedrückt zu sehen, andere machen aufgrund ihres Schweiß-Ekels erst gar keinen Sport. Liegt das an unserer Persönlichkeit oder doch an den altbewährten Kategorien sex, race und class?

Schweiß gehört zu richtiger Männlichkeit dazu, wie der Heldenschweiß, der von Tapferkeit und Anstrengung zeugt. Auch Sportgroßereignisse, wo Millionen schwitzende Männerkörper anhimmeln, stehen im krassen Gegensatz zum geruch- und schweißlosen Frauenkörper, dessen Schweißflecken tunlichst verheimlicht werden sollen. Mit der mädchenhaften Sportvermeidung habe ich viel Erfahrung: Schwimmen war lange für mich der einzig mögliche Sport, weil man im Wasser ja schlecht schwitzen kann. In Zeiten modernisierter Geschlechterverhältnisse und eines neoliberalen Fitnesszwanges ist Schwitzen jedoch zunehmend auch mit richtiger Weiblichkeit verbunden. Aber bitte nur beim Sport und nicht vor Aufregung! Stress-Schweiß kommt noch immer nicht gut, egal bei welchem Geschlecht.

Auch kulturell ist die Körperflüssigkeit, die zwar großteils aus Wasser besteht, aber olfaktorisch signifikante andere Inhaltsstoffe trägt, überdeterminiert. Interessanterweise schneidet dabei Europa nicht gut ab. In vielen südlichen Ländern gelten Europäer_innen als stinkend und unhygienisch – früher auch als unrasiert. Dank der Globalisierung ist der Rasur- und Hygienezwang aber auch in Europa angekommen. Doch nach wie vor halten sich andere Standards, die in meiner WG immer wieder auffallen. Die Eine, in Brasilien sozialisiert, kommt an heißen Sommertagen schon mal auf fünf Duschen pro Tag – die Andere, am österreichischen Land aufgewachsen, kommt auch mit zweimal in der Woche aus. Das ergibt kulturhistorisch auch viel Sinn: In europäischen Wintern ohne Warmwasser und Zentralheizung ist der Waschvorgang recht unpraktisch oder gar lebensgefährlich. In einem tropischen Land hingegen wird man halt immer wieder nass und auch schnell wieder trocken.

Das europäische Verhältnis zum Baden und zum Schweiß hat eine interessante Geschichte: Während in vormodernen Zeiten das Baden und Schwitzen Teil von medizinischen Behandlungen war und Wasser ansonsten eher gemieden wurde, wurde das Baden in der Moderne zu einem bürgerlichen Distinktionsmerkmal. Die Armen hatten weder Zeit noch Warmwasser zum Bade, die Aristokrat_innen machten ihre Angst vor Wasser mit einem Parfum-Fetisch wett – und die Bürgerlichen? Die hatten die Hygiene als ultimatives Zeichen der Moderne, der Sauberkeit und des Fortschritts.

Ist es also eine Befreiung, den Ekel vorm Schweiß abzulegen? Ich war nämlich unlängst bei einer Fortbildung richtig stolz auf mich, als ich mich bei Rangelspiel voll ins Zeug gehaut hab und mit einem fremden Typen trotz unseres jeweiligen Schwitzens gekämpft habe. Doch auch die Bibel wünscht sich mehr davon: Wir sollen im Schweiße unseres Angesichts Brot essen, sagt sie. Iiih! Doch egal, wie wir jetzt diese Körperflüssigkeit bewerten – ob eklig oder gesund, emanzipatorisch oder reaktionär – Schweiß gehört zum Mensch-Sein dazu und wird schon mal als evolutionärer Vorteil des Homo Erectus bewertet.