Medien produzieren, legitimieren und schaffen Wahrheiten. Im Gesamtgeflecht gesellschaftlicher Realität bilden sie einen entscheidenden Faktor, wenn es um die Schaffung eines Rahmens des Sagbaren geht. Wahr ist demnach das, was sagbar ist, jenes was nicht hinterfragt wird, alles das, was als allgemein gültig angenommen wird. Dieser Zustand muss in einer Gesellschaft immer wieder hergestellt werden und ist keinesfalls „natürlich“. Die Naturalisierung bedeutet viel Arbeit, Wiederholung und Gewöhnung.
Der Raum des Sagbaren und Wahren ist dabei keinesfalls ein fixierter, statischer oder fester, sondern ein beweglicher, der sich konstant verschiebt. Einst tabuisierte Themen oder schlicht Themen, die für viele nicht denkbar waren, können – über diskursive Verschiebungen – legitimiert und damit sagbar werden. Zwei Beispiele aus den letzten Jahren veranschaulichen diese diskursiven Dynamiken. Auf der einen Seite die #MeToo-Debatte und auf der anderen Seite die Silvesternacht 2015/2016 in Köln. An dem diskursiven Ereignis, bei dem vor allem über sexuelle Übergriffe von als Geflüchtete markierten in Köln berichtet wurde, verschob sich die Rhetorik der „Willkommenskultur“ in internationalen und deutschen „Leitmedien“. Das höchst konstruierte mediale Ereignis markiert die aggressive und flächendeckende Wiederaufnahme einer in den Hochzeiten des Kolonialismus etablierten rassistischen Repräsentation und Darstellung von nicht-weißen Männern als wild, barbarisch, unzivilisiert.
Über konstruierte Bilder eines Anderen wird auch immer ein Selbst konstituiert: Wir Zivilisierten – ihr Unzivilisierten; wir, die wir unsere Sexualität beherrschen, die, die sie nicht unter Kontrolle haben; geordnet gegen ungeordnet; rational versus irrational. Die Abgrenzung von konstruierten Anderen passiert da stets in einer dualistischen, dichotomen Gegenüberstellung. Was dabei das Selbst ist und was das Andere, wird diskursiv verhandelt.
Gerade die Fokussierung auf nicht-weiße Männer konstruiert weiße Männer als jene außerhalb der benannten Thematik und restabilisiert damit weiße hegemoniale Männlichkeit.
#MeToo als Diskursereignis setzt eine Reihe von Folgediskursen in Bewegung. Tabuisierte Themen werden im Mainstream sagbar. Patriarchale, sexualisierte Gewalt wird breit in den Medien rezipiert. Um die Thematik erscheint eine Flut an Artikeln. Eine gesellschaftliche Dynamik wird sichtbar und sagbar gemacht, Herrschaftsverhältnisse werden angegriffen. Aber eine angegriffene Struktur wird nicht einfach ihre hegemoniale Position aufgeben.
Hegemonie im Wandel
Sowohl Köln als auch #MeToo haben gemeinsam, dass sie an der Konstruktion der patriarchalen Norm arbeiten und diese von verschiedenen Seiten, durch verschiedene Techniken, Strategien und Effekte (re)-konstituieren.
Der Kulturwissenschaftler Hamilton Carroll biete in seinem Buch Affirmative Reaction eine Analyse an, mit der Verschiebungen hegemonialer weißer Männlichkeit, wie jene der Diskursereignisse von Köln und der #MeToo- Debatte, verstanden werden können. Carroll geht, bezugnehmend auf etablierte Theorien zu hegemonialer Männlichkeit und Whiteness, davon aus, dass sich der universelle – also allgemeingültige, unhinterfragte und normative Charakter von weißer Männlichkeit – bei Angriffen transformiert. Über die Sichtbarmachung als spezifische, partikulare, angegriffene Identität transformiert sich die hegemoniale Vormachtstellung.
Das Universelle wird zu einem Partikularen, um dann wieder universell zu werden. Die Zeit liefert ein Paradebeispiel dafür, wie eine solche Lokalisierung des Universellen aussehen kann: Auf der Titelblattstory vom 5. April 2018 schreibt Jens Jesse in Anlehnung an die #MeToo-Debatte den Artikel „Der bedrohte Mann“ (Die Zeit 15/2018). Wie der Titel schon suggeriert handelt es sich um einen bellenden Gegenangriff. Diese direkte Positionierung und Hervorhebung dient nach Carroll als ein Übergang, bei dem über etwas Partikularem eine Verschiebung und Transformation angestellt wird, in der jenes Besondere, Sichtbargemachte, direkt Angesprochene sich wieder in etwas Allgemeines, Universelles verflüchtigt. Über die Sichtbarmachung wird eine Verschiebung angestrebt, in dem sich die sichtbargemachte „white masculinity“ woanders hin verschiebt. Und so aus dem Fokus in das Unsichtbare auflöst. Dieses, so Carroll, ist eine Art der Identity Politics in der „white masculinity“ eine bestimmte Identität für sich beansprucht und konstruiert, wie in „Der bedrohte Mann“, um darüber abermals den Status des Unmarkierten und Universellen zu erlangen. Die Benutzung von Identiy Politics wirkt besonders paradox vor dem Hintergrund, dass viele Critical Whiteness Scholars behaupten, Whiteness sei eigentlich gar nichts Wirkliches. Whiteness habe keine Essenz, keine Substanz und weil sie das nicht hat, konstruiert sie sich als etwas – als Angegriffenes, Partikulares, Geschädigtes, was sich verteidigen müsse: der weiße bedrohte Mann, der zurückschießt. In der Bewegung aus der Schusslinie verflüchtigen sich Whiteness und eben Masculinity wieder ins Universelle.
Carroll behauptet, dass sich die weiße männliche Hegemonie über die Fähigkeit der Transformation und Verschiebung in der Vormachtstellung halten kann. Diese Beweglichkeit der hegemonialen und dominanten Gesellschaftsformation erlaubt „white masculinity“ zwar angefochten, aber ungebrochen, Vorherrschaft zu beanspruchen. Sie zeigt sich in Prozessen von Benennung ohne dabei benannt zu werden. So wie es etwa der Diskurs um Köln vollzieht: definiert wird „der Andere“.
Die Norm ins Schwitzen bringen
Carroll schlägt als Strategie vor, die weiße maskuline Hegemonie immer wieder sichtbar zu machen und sie damit zur Transformation zu bringen. Über die Sichtbarmachung muss sich die Norm äußern und verändern. Ein Ansatz dafür gibt eine Titelstory der Wochenendausgabe des Standard, der auch die Inspiration für diesen Artikel darstellt. Die mit großem Portrait und Fotoserie angeworbene Story spricht, im Print, von „Gefährlich männlich“ und digital sogar von „Toxischer Männlichkeit“. Auch wenn der Artikel von Noura Maan und Sandra Nigischer viele Probleme nur anreißt und selbst welche mitbringt, so thematisiert er doch aus einer erfrischenden Perspektive patriarchale Gesellschaftsmuster.
Es wird sich zeigen, wie im aktuellen Prozess der Verschiebung um #MeToo und der angegriffenen und gleichzeitig angreifenden weißen männlichen Vorherrschaft sich das Feld des Sagbaren verschiebt. Mit Carroll heißt das, normkritisch zu bleiben, Bewegungen und Shifts genau zu analysieren und nicht aufzuhören, hegemoniale patriarchale Strukturen anzugreifen.
Hamilton Carroll: Affirmative Reaction, Duke University Press, 2011