Ein persönlich gehaltener Beitrag zur laufenden Debatte
Im Sommer flammte in Wien wieder die Diskussion um den Nachtbürgermeister* auf. Schon vor ein paar Jahren vom Kurier-Journalisten Marco Weise erstmals ins Spiel gebracht, poppte diese Idee immer wieder im Zusammenhang mit Debatten rund ums Wiener Nachtleben auf. Mittlerweile beschäftigen sich die Wiener Grünen und die NEOS in ihren politischen Programmen mit dieser Thematik und der Verein N8BM hat es sich zum Ziel gesetzt, dieses in Städten wie London, Amsterdam oder auch Mannheim bereits erfolgreich eingeführte Konzept, auch für Wien konkret umzusetzen.
Die Tyrannei des Nachbarn
Es ist nichts Neues: Wien hat ein Problem mit seinem Nachtleben. Im Speziellen mit jenen Aktivitäten, die mit (lauter) Musik verbunden sind. Die Geschichte ist oft die gleiche und all jene, die sich mit nächtlicher Arbeit und Freizeit beschäftigen, haben sie schon oft gehört. Ein Musik-Club sperrt auf und nach kurzer Zeit brummt der Laden. Veranstalter_innen treten dem betreibenden Team die Tür ein. Schließlich gibt es in der Stadt viele Menschen, die für ihre Veranstaltungs-Ideen einen Raum suchen. Das Publikum ist auch da und wenn der Ort nicht ganz und gar furchtbar schlecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist, dann siegt in Wien mittlerweile doch die Neugier und der neue Raum wird auch genützt.
Doch dann taucht ER auf (tatsächlich ist in den Geschichten immer von Männern in einem bestimmten Alter die Rede): der Nachbar. Manchmal wohnt er schon lange hier und fühlt sich von der plötzlichen innerstädtischen Zuwanderung bedroht. Manchmal ist er später hingezogen und will in seiner neuen Wohngegend für Ruhe und Ordnung sorgen. In den absurdesten Fällen ist er zur gleichen Zeit wie der Club ins Haus gezogen, weil er mit den Lokal-Betreiber_innen befreundet ist. Das sind dann die blutigsten Fehden.
Der Nachbar ist als Einzelner tatsächlich in der Lage, eine komplett funktionierende Struktur zu zerstören. Durch permanente Lärmbelästigungsanzeigen hetzt er Polizei und Behörden gegen den Musikclub auf. Und ist die Behörde mal auf ein Lokal aufmerksam geworden, dann schaut sie sich dieses genauer an. Trotz penibler Prüfung vor Erteilung einer Betriebsstättengenehmigung (die notwendig ist, um einen Gastrobetrieb überhaupt erst eröffnen zu dürfen) bleibt genügend gesetzlicher Spielraum, um Lokal-Betreiber_innen das Leben schwer zu machen.
So z. B. mit der Auflage, nachträglich eine sündteure Entlüftungsanlage einzubauen (die dann erst recht dafür sorgt, dass der Schall durchs ganze Haus getragen wird). Oder durch eine Plombierung der Musikanlage, die den Sinn dieser völlig entwertet weil diese dadurch nur mehr auf Zimmerlautstärke betrieben werden kann. So lässt sich natürlich kein Dancefloor füllen. Also bleiben die Gäste aus. Oder das Betreiber_innen-Team wirft entnervt das Handtuch, weil Aufwand und psychische Belastung in keinem Verhältnis mehr zu Einkommen und Freude am Betrieb stehen. Leidtragende sind auf jeden Fall all jene Menschen, die einen öffentlichen Ort der Begegnung und des Austauschs verloren haben.
Das Konzept Nachtbürgermeister*
Tyrannische Nachbarn sind keineswegs das einzige Problem im Wiener Nachtleben. Aber ein zentrales, das möglicherweise durch die Einrichtung einer offiziellen Vermittlungsstelle gelöst werden könnte. Denn nichts anderes ist im Kern mit der Institution Nachtbürgermeister* gemeint: eine zentrale Anlaufstelle für Veranstalter_innen, Clubs und auch Anrainer_innen, die zwischen den verschiedensten Interessen vermitteln kann. Oder zumindest eine funktionierende Kommunikation im Zusammenspiel mit den städtischen Behörden herstellen kann. Der Begriff Nachtbürgermeister* meint einfach die personalisierte Variante dieser Einrichtung, die natürlich sinnvollerweise nicht von einer Person allein betrieben werden kann. Auf keinen Fall darf diese Initiative von der Stadtregierung ausgehen und mit politisch genehmen Personen besetzt werden. Da auch die Clubs selbst im Endeffekt wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgen, sollte es eine unabhängige Instanz, wie z. B. ein Verein sein.
In Wien hat sich rund um Martina Brunner, die dem Thema ihre Bakkalaureats-Arbeit gewidmet hat, der Verein N8BM gebildet. Dieser hat sich das Ziel gesetzt, das Konzept Nachtbürgermeister* in die Tat umzusetzen. Geplant ist das Projekt noch 2018 auf eine solide finanzielle Basis zu stellen, um schon 2019 mit der konkreten Umsetzung zu beginnen. Martina Brunner selbst ist gerade dabei, sich international zu vernetzen und stellt sich trotz allem Eifer auf eine längere Aufbauzeit ein, um mit allen Beteiligten (also im wesentlich mal die Clubs/Veranstalter_innen auf der einen und die Stadt auf der anderen Seite) eine stabile Kommunikation aufzubauen.
Jede Stadt ist eben auch anders. Was beim (erfolgreichen) Amsterdamer Nachtburgemeester funktioniert, kann nicht einfach auf Wien übertragen werden. Alleine die architektonische Situation der beiden Städte unterscheidet sich grundlegend. An Londons Night Czar Amy Lamé gab es sogar heftige Kritik. Ihr wurde vorgeworfen, sie sei als Komplizin der Stadtregierung für das Londoner Clubsterben mitverantwortlich. Eines ist auch klar: Die Probleme des Tages können nicht alle in der Nacht gelöst werden.
Ein grundlegendes Problem wird aber auch durch das Konzept Nachtbürgermeister* nicht gelöst werden können. Wien hat nicht nur ein Club-Problem, sondern es mangelt an professionell geführten Spielplätzen für Live-Musik.
Das Ende der DJ Culture
Das Internet vergisst nichts. So hat das Gürtellokal rhiz eine Homepage, die bis ins Jahr 2000 zurück reicht. Und der Blick auf das Programm ist erhellend. Im Jänner vor 18 Jahren gab es bis auf einen Live-Act ausschließlich DJs. Im Jänner 2018 hat sich das Bild völlig gedreht. Das Programm besteht fast ausschließlich aus Live-Acts. Die DJs sind nur mehr deren Ergänzung.
Was lange Zeit funktioniert hat und als Standard für Wiener Musiklokale galt, nämlich dass spezialisierte DJs – viele davon Musikjournalist_innen oder aktive Musiker_innen – das sitzende Publikum mit Hintergrundmusik beschallen, ist kein funktionierendes Geschäftsmodell mehr. D. h. entweder werden DJs tatsächlich dafür eingesetzt, wofür sie auch erfunden wurden, nämlich das Publikum zum Tanzen zu bringen, oder sie sind durch Streaming-Playlists leichter ersetzbarer geworden als jemals zuvor.
Auch das Ausgehverhalten hat sich völlig verändert. Noch in den 1990er Jahren zählte der Montag in manchen Lokalen zu den umsatzstärksten Tagen. Das hat sich grundlegend verändert. Insbesondere die durch Bologna unter Druck gesetzten Student_innen können sich das Fortgehen unter der Woche weder zeitlich noch finanziell leisten.
Die einzige Möglichkeit für DJ-Clubs, auch unter der Woche Publikum anzulocken, ist das Live-Konzert und so sind interessanterweise in jüngster Zeit einzig die DJ-Clubs für neue Live-Spielstätten in der Stadt verantwortlich. Das oben genannte rhiz wird mittlerweile auch oft von großen Agenturen genutzt. Fast alle relevanten Live-Spielplätze der letzten Jahre sind eigentlich anfangs für DJ-Musik konzipiert worden: die Grelle Forelle, das Fluc und künftig auch das Werk (wurde gerade umgebaut). Flex und B72 haben eine auch gerne gebuchte Bühne, wurden aber auch immer stark vom DJ-Club-Betrieb getragen. Die klassischen Konzert-Locations wie Arena, WUK, Chelsea oder auch die Szene Wien sind allerdings seit Jahren ohne Ergänzung geblieben. Vor allem professionell geführte Spielstätten in der Größenordnung von 300 bis 500 Besucher_innen fehlen in Wien. Diese wären auf jeden Fall eine größere Bereicherung für das kulturelle Nachtleben, als das von der Regierung Ludwig vorgestellte und völlig unausgegorene Konzept einer neuen Stadthalle in Transdanubien.