Die Causa Maul und die aktuellen Diskursfronten in der antideutschen Szene
Am Anfang der Causa Maul stand ein Facebookpost, der mittlerweile so oft in ganzer Länge zitiert worden ist, dass ich es hier sein lasse. Der Anstoß des Streites auf den Punkt gebracht: Sagt Maul, die AfD erscheint „als parlamentarischer Arm materialistischer Ideologiekritik“ oder sagt er, sie ist es. Lassen wir beiseite, dass dieses Manöver zu den Basistricks der bahamitischen Sophistik zählt: etwas Kontroverses so zu sagen, dass es ausgesprochen ist, der Satz zugleich aber seine eigene Relativierung enthält. In den anschließenden Diskussionen wurde selten auf diese sprachlich-instrumentelle Ebene referiert, eher galt es ein für alle Mal zu klären, ob Maul in ideologiekritischer Absicht das Elend der deutschen Parteienlandschaft enthüllt oder ob er in vorauseilendem Gehorsam schon mal den Schulterschluss zur rechten Bewegung suche. Nicht, dass sich das ausschlösse. Maul setzt das Posting einige Wochen vor seinem Vortrag in Leipzig, einst bekannt als „Hochburg der Antideutschen“ ab und die Sache nimmt ihren Lauf.
Links- & Rechtsantideutsch?
Natürlich ist es Unsinn zu sagen, die Causa Maul beginne mit diesem Post. Maul blickt auf eine über zehnjährige publizistische Karriere zurück, hat großen Anteil an der Jargonisierung der antideutschen Kritik gehabt, Bücher veröffentlicht, gegen die Plagiatsvorwürfe erhoben wurden oder schon Mitte der 2000er „alle relevanten Argumentationsfigur[en]“ des Buches Beißreflexe (so Maul über Maul) vorweggenommen. Das Jahr 2018 verbrachte Maul unter anderem damit, in Facebookposts Charlotte Roche auf die Anklagebank zu wünschen, weil sie den Mund gegen sexuelle Übergriffe aufreißt, die Entführung und Ermordung einer Tramperin durch einen nicht näher identifizierten marokkanischen Truckfahrer zu nutzen, um die Familie der Hinterbliebenen über „Täte[r], deren mitgebrachter Frauenhass nicht einmal in der finstersten Vergangenheit der christlich-abendländischen Kultur eine Entsprechung hat“, zu belehren oder davon zu träumen, die Kampagne gegen Harvey Weinstein habe nichts mit sexueller Gewalt, viel aber mit dessen jüdischer Herkunft zu tun. Ein durch und durch sympathischer Zeitgenosse also.
Seit 2015 und der neuen großen migrantischen Bewegung sind Diskursfronten in der antideutschen Szene aufgerissen, die wohl schon immer angelegt waren. Auf der einen Seite die, die errungene bürgerliche Freiheiten verteidigen, für die Feminismus heißt, den Queerfeminismus zu kritisieren und die die Welt vor dem vermeintlich neuen Faschismus, dem Islamismus, verteidigen wollen. Auf der anderen Seite die, die sich in Angesicht der Festung Europa eher in Richtung klassisch linker Themen bewegen, für sichere Fluchtwege und Asyl kämpfen, Kritik an Kapital und Staat forcieren und für die Feminismus heißt, politische Konzepte im Kampf gegen das Patriarchat zu entwickeln. Findig wie es ist, hatte das Internet bald schon zwei Labels ausgespuckt, unter deren Bannern sich gesammelt werden konnte: Links- und Rechtsantideutsch (LAD & RAD). Das Abrissunternehmen der Linken fängt bei sich selbst an, die Facebookdiskussionen verhärten sich, Blocklisten wachsen – nur an der Oberfläche und nach außen funktioniert der Burgfriede „Israel“ irgendwie noch.
Die Bahamasskandalnudel
Eine in Leipzig gegründete Initiative skandalisiert den Vortrag Mauls, andere Teilnehmer*innen der Veranstaltungsreihe sagen daraufhin ab, die Uni kündigt den Raum. In einem dubiosen Vorgehen wird er eilig ins Conne Island verlegt, während man sich im Internet immer härter angeht. Beim Vortrag in Leipzig ist Maul in Hochform: Der Nationalsozialismus als die „Selbstorientalisierung des Abendlandes“, ein Lob des Kolonialismus, Abwatschen von Kritikerinnen als „hysterisch“. Eine Bahamasskandalnudel, wie das Blatt sie in Reihe produziert.
Die Feind*innen der antideutschen Szene feiern, weil sie erkannt zu haben meinen, was sie schon immer wussten: Antideutsche, das sind doch Nazis, die Marx gelesen haben. Schnell noch eine Boykottinitiative gegründet, die im Conne Island sowas wie die israelische Besatzungsmacht in Deutschland erkannt haben will. Fertig, perfekt, riesengroß: der Skandal. Als zwei Wochen später ein Vortrag Felix Perreforts (Hobbies: Islamkritik, Betroffenheitsfeminismus dissen, Tommy Robinson) in Mainz verhindert wird, weil eine selbstberufene Gutmenschliche Aktion Mainz den Saal stürmt, scheint es, als erlebt Deutschland seinen aufregendsten innerlinken Streit seit dieser Konkret-Konferenz damals.
Maul jedenfalls fühlt sich schwer missverstanden. Er wollte doch gar nicht Viktor Orbáns Flüchtlingspolitik loben, sondern nur ausgiebig Beatrix von Storch zitieren, die dies tut. Der erfahrene Kreuzritter weiß: Jetzt hilft nur der schnelle argumentative Gegenschlag, er muss sich wehren gegen das „Linkskartell“ (Maul). Auf Facebook postet er nicht nur ausführlich, kommentiert jeden Artikel in der einsetzenden Debatte, sondern beginnt auch in einer Reihe von Posts sich an vermeintlichen und tatsächlichen Kritiker*innen seiner Arbeit abzumühen. Einen Höhepunkt der Skurrilität erreicht die Chose am 25. Juli, als er in einem Post den „Bund dummer Mädel von Jutta Ditfurth (Öko) über Maxine Bacanji (FB), Veronika Kracher (Konkret) und Paula Irmschler (ND) bis Jule Nagel (Linke) und Sarah Rambatz (Linke) (…) samt angeschlossener Polit-Tunten-Crew und männlichen CIS-Eunuchenpöbels“ angreift. Zwar wird Maul darauf hingewiesen, dass keine der genannten Personen sich groß zu ihm oder den Vorfällen in Leipzig geäußert hat, er argumentiert jedoch, dass entsprechende Menschen bestimmte Facebookbeiträge mit Likes, teilweise sogar Herzchenreacts versehen hatten, was anscheinend zur Schuldfähigkeit vorm Maul-Gericht reicht. Fest steht im Kopfe Mauls aber, dass es mindestens eine Organisierung, wenn nicht gleich eine Verschwörung entmännlichter Männer ohne Namen und starker Frauen gegen ihn gibt.
Lachen oder weinen?
Es ist bestimmt nicht falsch, darauf erstmal mit Lachen zu reagieren. Dann schließt sich aber die berühmte Frage nach dem Mehrwert an. Erstmal scheint die Causa Maul als eine adäquate Zusammenfassung des Standes antideutscher Kritik, oder zumindest Teile von ihr: In Zeiten des paradigmatischen Poststrukturalismus eh schon auf einem absteigenden Ast der politischen Theorie gefangen, muss allerorts mit Bedeutungsverlust und dessen materiellen Folgen gekämpft werden; etwas, mit dem Träger*innen dogmatischer Wahrheit bekanntlich arge Probleme haben.
Bedeutet das nun das Ende der antideutschen Linken? Ist es soweit, dass wer ça-ira-Bände im Regal hat, sie besser nach hinten stellt, sonst drohen unangenehme Blicke und Forderungen nach Stellungnahmen? Fraglich. Und die Geschichte der radikalen Linken zeigt, dass es sich Jahrzehnte gut darin aushalten lässt, als marginaler Zipfel ums eigene Bestehen zu kämpfen. Aber im Falle Maul ist von der Kritik nur noch der Jargon geblieben, und selbst dieser ist immer spärlicher, brüchiger, elliptischer. Eine Kritik leistet nicht, wer aus „islamischer Herrenrasse“, „herrschendem Linkskartell“, „Staatsantifa“ et al. ein Weltbild zusammenbastelt, das mit dem neurechter Intellektueller und vor allem altlinker Verschwörungsgurus nicht mehr nur Überschneidungen hat. Man möchte die Kategorien, die die antideutsche Kritik einst groß machte, auf sie selbst anwenden und sehen, was bleibt: Misslungene Subjektkonstitutionen, Neid auf die imaginiert intakte phallozentrische Gesellschaft des Islam sowie die narzisstische Kränkung einer brutal verstümmelten Männlichkeit finden ein Ventil im Wahn der Projektion. Wer sich anschauen will, wo das endet, möge sich an Mauls Kollegen Martin Stobbe orientieren, der den jüdischen Investor George Soros als graue Eminenz hinter den Migrationsbewegungen nach Europa benennt. Aus der kritischen Ideologiekritik ist längst geworden, was sie vorgab zu bekämpfen.
Gekränkte Männlichkeit
Der Szenestreit allerdings entzündet sich an der Frage, ob der Maul denn nun ein Nazi sei oder nicht. Einmal als ironisch-rhetorische Frage, die ihre eigene Verneinung enthält, einmal als aufgeregte Frage, wie man denn mit so einem Nazi noch etwas machen könnte? Auch das ist eine Frage, die ihre eigene Antwort bereits enthält. Beide Fragen zielen am Punkt vorbei. Stattdessen ist an Maul ein linker Rechtsruck nachzuvollziehen, der selbst über sich hinaus auf allgemeine gesellschaftliche Tendenzen hinweist. Und zwar, dass die Schaffung kollektiver Identitäten, die immer in einer Dialektik zwischen gemeinsamer Praxis und äußerer Abgrenzung verlief, sich zunehmend in Richtung des letzteren Pols auflöst. Nur: Auch eine so allgemeine gesellschaftliche Tendenz kann nicht den globalen Rechtsruck in toto erklären, noch die Elsässerisierung der Bahamas oder Mauls. Diese findet ihre Erklärung im hohlen Wesen der Ideologiekritik, wie es Felix Bartels auf seinem Blog unter dem Titel Being a bat beschreibt.
Und, nicht zuletzt, in Mauls Geschlecht. Oder besser: In seinem Umgang damit. Auch wenn noch lang kein Ende des Patriarchats in Sicht ist, hat die Kulturrevolution der 68er viele Selbstverständlichkeiten des vorherigen Patriarchats zumindest im Westen erfolgreich angefochten. Auch wenn männliche Gewalt und Herrschaft weiterhin andauern, so ist doch zunehmend das Sprechen darüber und die Kritik daran gang und gäbe. Gerade in linken Räumen ging das einher mit Praxen, die Geschlechterangleichung und sogar -auflösung versuchten und damit für viele Männer etwas nahmen, was zum Kern ihrer Identität gehörte: die Selbstverständlichkeit. Die verunsicherten Männer versuchen dem nicht allzu selten mit der Flucht nach vorn beizukommen, und zwar durch einen Angriff auf den Feminismus, der ja „an allem Schuld ist“. Die Verbissenheit, mit der Maul sich an einzelnen Feministinnen (in alter Bahamasmanier nahtlos als pars pro toto gesetzt, sonst funktioniert das ganze Spiel ja nicht) oder großen Allgemeinbegriffen („der Feminismus“, „der Queerfeminismus“) abarbeitet, hat an den meisten Stellen mit inhaltlicher Kritik wenig zu tun, stattdessen geht es da um Frauen, „die aus linksfeministischen Gründen gar kein gesteigertes Interesse am Erwerb der Fähigkeit hegen, Männer, sei es sexuell oder gar intellektuell, zu befriedigen.“ Der affirmative Bezug auf den Rechtsstaat wird zur leeren Farce, wenn Maul Charlotte Roche, die sich gegen sexuelle Belästigung wehrt, auf die Anklagebank wünscht. Und der eigene feministisch-aufgeklärte Anspruch zur ultimativen Ironie, wenn ausgerechnet jemand, der die Kritik am islamischen Phallozentrismus so ernst nahm, dass er das Wort in seinem Buchtitel aufnahm und seine Kritiker als „Cis-Eunuchen“ beschimpft. Maul kann hier als autoritär-linke Variante der allgemeinen männlichen Reaktion auf den Modernisierungsrückstand moderner Männlichkeit gelesen werden: „Der Feminismus“ und „die 68er“ werden zu Chiffren, hinter denen eine konservative Abwehr der veränderten Verhältnisse in Gesellschaft, Politik und Ökonomie steht. Aber statt in Analyse und dialektischem Denken diese Verhältnisse aufzudecken, gehört Maul zu denen, für die die Welt wieder in Ordnung wäre, wenn nur diese lautgewordenen Frauen endlich die Fresse halten. Mit Gesellschaftskritik hat das wenig zu tun, viel aber mit Projektion. Eigentlich ein Thema, mit dem sich ein Bahamas-Autor gut auskennen sollte. So scheint es eher, als sei Maul ein Sinnbild des Werdegangs der Zeitschrift: von der Theorie der Projektion zu ihrer Praxis.