Neben dem Krieg ist die Naturzerstörung eine der größten Herausforderungen, vor denen der radikaldemokratische Aufbruch in Nordsyrien steht
Zwischen Qamishlo und Kobane erstrecken sich entlang der Straßen hunderte Kilometer Ackerfläche. Für einige Monate im Jahr färben sie sich goldgelb, die meiste Zeit aber liegt die Erde brach, braun bis zum Horizont. Die Landbevölkerung Rojavas, wie der Norden Syriens von der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung genannt wird, lebt zu großen Teilen vom Weizenanbau. Unter der Herrschaft der Assads wurde die Region zur Weizenkammer Syriens, systematisch wurde dafür Wald gerodet und der Anbau von Gemüse untersagt. Und wie überall auf der Welt, führen Monokulturen zu immer größeren Problemen: Sie brauchen viel Wasser, viel Dünger, und zehren die Böden aus. Die halbkoloniale Ausbeutung der Region durch das syrische Regime hat große Schäden in der Natur hinterlassen, verschlimmert wurden sie durch den Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat und die Angriffe Erdoğans.
Die Ökologiefrage in Rojava
Rojava ist weltweit als ein Ort bekannt geworden, an dem die Leute versuchen, Gesellschaft neu zu denken und zu leben und stellt wohl das spannendste emanzipatorische Experiment unserer Tage dar, auch wenn es voller Widersprüche und ständigen Angriffen ausgesetzt ist. Doch die ökologische Katastrophe, die sich in Rojava abzeichnet, stellt dieses Experiment vor große Herausforderungen. Die Ölwirtschaft hat ganze Landstriche verpestet, der Müll wird oft auf offenem Feld verbrannt, was Wasser und Böden stark mit Giftstoffen belastet. Außerdem macht sich auch in Rojava der Klimawandel bemerkbar, wohl noch stärker als in vielen anderen Teilen der Welt – wo früher Gras und Büsche wuchsen, machen sich inzwischen Steppen und Wüsten breit.
Und dann ist da natürlich der Krieg, der irreversible Schäden in der Natur hinterlässt. Kriegsschäden werden in Toten, Verwundeten oder zerstörten Gebäuden beziffert. Über die entstandenen ökologischen Probleme wird meist viel weniger berichtet. Schäden durch Öl, Chemikalien und Landminen sind oft für lange Zeit nicht zu beseitigen. Zuletzt hat die Besatzung des im Nordwesten Rojavas gelegenen Kantons Afrin durch Erdoğan und mit ihm verbündete Djihadistengruppen wieder gezeigt, was Krieg auch für die Natur bedeutet. Denn die Zerstörung der ökologischen Existenzgrundlagen der Menschen durch Krieg und Besatzung ist massiv. Beim Einmarsch zündeten Erdoğans Truppen zahlreiche Olivenhaine an, nicht wenige der Menschen, die aus den Dörfern im Umland von Afrin-Stadt vor dem Einmarsch flohen, hatten zuvor vom Olivenanbau gelebt.
Ökologie ist eines der zentralen Themen der Befreiungsbewegung in Nordsyrien. Doch die ökologische Frage wurde oft hintangestellt. Als 2012 die Revolution gegen das Assad-Regime losbrach, hatte man andere Sorgen. Zuerst wurde die Region von der al-Nusra-Front (syrischer al-Qaida-Ableger) angegriffen und dann vom sogenannten Islamischen Staat. Doch schon vor einiger Zeit begannen die Räte und ihre Kommissionen im kleinen Maßstab und trotz des Krieges, ökologische Projekte aufzubauen. Es geht dabei vor allem um den Umbau der Landwirtschaft, weg von den Monokulturen, hin zu Biodiversität, aber auch um andere Dinge wie beispielsweise Naturschutzgebiete. Mit der Zerstörung der Wälder und der sich ausbreitenden Dürre sind auch Wildtierarten vom Aussterben bedroht: Die Wälder Syriens boten, gerade im Norden und an der Nähe der Küsten Dachsen, Rehen, Bären und Hyänen Schutz, dazu mehreren hundert Vogelarten. Doch viele der Tierarten sind bereits verschwunden, wie viele weiß bislang niemand, es wurde nicht dokumentiert.
Make Rojava Green Again
Seit Anfang des Jahres hat sich eine Gruppe solidarischer Linker aus verschiedenen Teilen der Welt der Ökologiefrage in Rojava angenommen. Aktivist*innen der Internationalist Commune of Rojava haben die Kampagne Make Rojava Green Again ins Leben gerufen und es sich zum Ziel gesetzt, die Wiederaufforstung Nordsyriens zu unterstützen sowie in den Bereichen erneuerbare Energien und Recycling Akzente zu setzen. Derzeit laufen auch mehrere Crowdfunding-Kampagnen für Make Rojava Green Again. Sie sollen ein Buch finanzieren, das in den nächsten Monaten in sechs verschiedenen Sprachen erscheinen soll und auf die ökologischen Probleme in der Region aufmerksam macht, aber auch Lösungsansätze vorstellt. Der Schwerpunkt der Ökologiekampagne liegt darauf, die Kommunen (so nennen sich die kleinsten Einheiten des Rätesystems, die sich jeweils aus einigen hundert Haushalten zusammensetzen), dabei zu unterstützen, dezentrale Lösungen für die Ökologieproblematik zu finden.
„Letztendlich hängt die Herrschaft über die Natur und ihre Zerstörung auch immer mit der Herrschaft des Menschen über den Menschen zusammen“, erklärt Alessandra, eine italienische Aktivistin, die bei Make Rojava Green Again aktiv ist. „Monokulturen und große Kraftwerke beispielsweise sind auch immer ein Ausdruck einer zentralistischen und hierarchischen Gesellschaftsstruktur“, ist Alessandra überzeugt. Die Lösung sieht sie in dezentralen ökologischen Strukturen: „Jede Kommune kann die Energieversorgung und die Lebensmittelversorgung in die eigene Hand nehmen, damit wäre schon mal viel erreicht“. Erstes Ziel von Make Rojava Green Again ist es, tausende von Stecklingen und Setzlingen, also kleinen Bäumchen zu pflanzen, um die Gegend wieder grün zu machen. Aber das ist nur eines von vielen Projekten. Gleichzeitig wird auch an einer Windturbine gebaut, am ersten Windrad in der Region überhaupt.
In Bezug auf die Landwirtschaft stellen verschiedene Modelle der Permakultur eine Alternative zu den Weizen- und Olivenmonokulturen dar. Konkrete Vorschläge für andere Formen der Landwirtschaft, in denen möglichst ertragreiche und ökologisch sinnvolle Symbiosen verschiedener Nutzpflanzen aufgebaut werden, sammelt die Internationalist Commune of Rojava derzeit im oben erwähnten Buchprojekt. Doch letztlich ist die Lösung der Ökologiefrage in Rojava auch daran gekoppelt, wie sich die politische Lage über Rojava hinaus entwickelt. Das betrifft vor allem die Türkei und die vom türkischen Staat besetzten Teile Kurdistans. Dieses Gebiet liegt nördlich von Rojava und von dort aus fließt auch der Euphrat Richtung Süden, der größte Fluss in der Region. Das Problem: Erdoğan baut seit einigen Jahren riesige Staudämme, die das Wasser des Euphrats auf türkischer Seite zurückhalten, wodurch der Pegel in Rojava beständig sinkt. Das verschärft die ohnehin krasse Wasserknappheit. Auch das mache deutlich, erklärt Alessandra, wie politische und ökologische Fragen zusammenhängen. „Wir können diese Kämpfe nicht getrennt voneinander betrachten, der Einsatz für unsere ökologischen Lebensgrundlagen muss immer auch mit dem Kampf für eine Gesellschaft ohne Unterdrückung einhergehen. In diesem Fall konkret mit dem Kampf gegen die AKP-Diktatur.