MALMOE

Männliche Parallelwelten

Frustration, Einsamkeit und gekränkte männliche Ansprüche verbinden sich online im Hass auf Frauen

Die Flexibilisierung von Geschlechterrollen und ein diffuser sexueller Leistungsdruck haben in Bezug auf Männlichkeit zu einem Anforderungswechsel geführt, der mit einer narzisstischen Verunsicherung einhergeht, auf die Männer in verschiedener Weise reagieren. Das Verschwinden der lebenslangen Ehe, die eine größere sexuelle Freiheit für viele bedeutet, geht einher mit gewachsenen Anforderungen der Arbeit an sich selbst und der Entstehung einer sexuellen Hierarchie. So sind einige aufgrund mangelnder Attraktivität oder sozialen Fähigkeiten dauerhaft von erfüllenden sexuellen Kontakten ausgeschlossen. Sexuell erfolgreich und leistungsfähig zu sein ist ein wichtiger Bestandteil der männlichen Subjektivität, das Gefühl des Ausschlusses und der eigenen marginalisierten Männlichkeit hat Angst und Wut zur Folge, die sich projektiv gegen Frauen und vermeintlich erfolgreichere Männer richtet oder sich in Selbsthass manifestiert.

„Incel“ dient als Abkürzung für die Selbstbezeichnung heterosexueller Männer als „involuntary celibate“, die aussagen soll, dass diese gegen ihren Willen enthaltsam leben. Incel-Sein bedeutet demnach, dass es für diese Personen derzeit keine Möglichkeit gibt eine anerkennende, akzeptierende und liebende Partnerin zu finden. Begründet wird der eigene Ausschluss mit dem Mangel an Attraktivität, Unsicherheit oder psychischen Problemen. Im Wesentlichen wird jedoch oberflächlichen Frauen die Schuld daran gegeben, da diese nur attraktive Männer als mögliche Partner in Betracht ziehen würden. Rund um diese Schuldzuweisung hat sich im Internet ein eigener ideologischer Kosmos gebildet. Vor ihrer Schließung waren auf der bekannten Homepage reddit.com ca. 40.000 Personen Mitglied entsprechender Diskussionsgruppen. Nunmehr verteilen sie sich auf verschiedene Foren, wie incels.me mit weit mehr als 6000 ausschließlich männlichen Mitgliedern.

Die blaue, rote und die schwarze Pille

In Anlehnung an den Film Matrix, wo die Entscheidung zwischen der blauen und der roten Pille, die Frage nach einem Weiterleben in einer Illusion oder die Aufklärung über die tatsächlichen Hintergründe beinhaltet, wurde in der Incel-Szene ebenfalls diese Metapher aufgegriffen.

Die blaue Pille steht hierbei für die Vorstellung, dass die eigene Persönlichkeit das wichtigste Charakteristikum bei der Suche nach möglichen Partnerinnen darstelle, was als verschleiernde Ideologie abgelehnt wird. Die rote Pille symbolisiert die Erkenntnis, dass Frauen Macht über Männer ausüben würden und sie wird gleichgesetzt mit dem Wissen darüber, wie die Verhältnisse tatsächlich sind. Die schwarze Pille bedeutet, dass Attraktivität bei der Partnerinnensuche wesentlich wichtiger ist, als die Persönlichkeit, wodurch sich der Ausschluss von „Incels“ begründet. Die schwarze Pille einnehmen ist gleichbedeutend mit der Erkenntnis, dass diejenigen, die bestimmten körperlichen Idealen nicht entsprechen niemals attraktiv für Frauen sein können. Das Verbot des sogenannten „cherry picking“, dem Verbreiten von Geschichten über unattraktive Männer mit Freundinnen und auch das Teilen von anderen persönlichen romantischen und sexuellen Geschichten in den Foren führt dazu, dass sich Tendenzen der Selbstviktimisierung, des Selbsthasses und der Radikalisierung verstärken.

Chads, Stacies und Beta-Männer

Sollte früher die Ehefrau äußere Schönheit ausstrahlen, was vom Mann nicht in gleicher Weise erwartet wurde, hat sich dies nun massiv geändert. Eine sich intensivierende Fetischisierung des männlichen Körpers ist gesellschaftlich virulent. Auch von Männern wird gefordert, dass sie sich stärker um ihr Äußeres kümmern und daran zu arbeiten haben, um so Attraktivität und Interesse an ihnen zu generieren. „Incels“ fühlen sich durch die vermeintlich zu hohen Erwartungen von Frauen, denen sie zum Opfer fielen, ausgeschlossen. Sie verstehen sich als Beta-Männer, als welche, sie sich in Abgrenzung zu den „Chads“, definieren. Ein „Chad“ ist das Gegenteil eines Incel-Mannes und verkörpert all jene Eigenschaften, die den Incel-Männern fehlen. Sie sind charismatisch, groß, gutaussehend, selbstbewusst und muskulös. Sie schaffen es Frauen, sogenannte „Stacies“, ‚abzubekommen‘ und ein sexuell befriedigendes Leben zu führen. „Chads“ sind all das, was die Incels gerne wären und haben all das, was diese gerne hätten.

Attraktivität wird in diesem Kontext entlang einer 10-Punkte-Skala betrachtet, wobei Männer, um richtigen Erfolg bei Frauen zu haben mindestens eine Acht von Zehn sein müssen. Die zu erreichende Punktzahl ist Ergebnis einer Kombination aus äußerer Erscheinung, sozialen Kompetenzen und Status. Eine Vier bis Sieben bedeutet den Status eines „Normie“, der weder „Chad“ noch „Incel“ ist. „Normies“ müssten sich im Gegensatz zu „Chads“ zwar anstrengen, damit Frauen sie mögen, aber im Gegensatz zu den „Incels“ wäre es trotzdem möglich eine Partnerin zu finden, deshalb ziehen diese auch Hass auf sich.

Diskutiert wird auch die sogenannte „Sub8-Theorie“, die davon ausgeht, dass kein Mann unter acht Punkten die Chance auf eine Frau, die ihn tatsächlich attraktiv findet, haben könnte. Diese Männer können dies jedoch mit anderen Mitteln wie Geld, Status und Persönlichkeit teilweise kompensieren. Die Chancen auf erfüllende Sexualität sind somit auf das Engste mit Vorstellungen eines sexuellen Tauschwerts verflochten. Diese Leistungs- und Bewertungslogik wird zwar kritisiert, da sie Leid für die „Incels“ erzeugt, zugleich werden Frauen permanent als hässlich und schlimmeres abgewertet. Nicht thematisiert wird, dass diese ebenfalls einem massiven Bewertungsprozess und Leistungsdenken, das von den „Incels“ mitgetragen wird, unterliegen und gerade nicht, wie behauptet, unendlich Selbstvertrauen und Bestätigung erhalten, während unattraktive Männer permanent bloßgestellt würden.

Die erfahrene Kränkung, Zurückweisung und das Gefühl der eigenen Austauschbarkeit, weil Frauen keine (sexuellen) Beziehungen mit ihnen eingehen wollen, treffen im Zuge dessen auf ein Strafbedürfnis, das die Frauen kollektiv als Verursacherinnen des Leids definiert. Die Entmenschlichung von Frauen zeigt sich auch an der verbreiteten Begrifflichkeit „Femoid/Foid“, welche den Frauen gar ihr Menschsein abspricht. Als Humanoide sind sie nicht in Gänze menschlich, sondern nur menschenähnlich.

Wann ist ein Mann ein Mann?

Männlichkeit ist fragil und prekär, was mit einem großen Maß an Unsicherheit einhergeht. Sie ist nicht einfach nur vorhanden, sondern muss erworben und beispielsweise durch Abwertung des Weiblichen aufrechterhalten werden. Beruflicher Erfolg, Autonomie, ein attraktives Äußeres, eine erfüllende und befriedigende Partnerschaft sowie Sexualität sind deren Elemente, wobei es große Statusdifferenzen innerhalb der Gruppe der Männer gibt. Zwar werden gesellschaftliche Standards als Ursache für die eigene Lage von den „Incels“ erwähnt, aber nicht die reproduzierten unrealistischen Schönheitsstandards oder die gesellschaftliche Konkurrenzsituation werden verantwortlich für die eigene Situation gemacht. „Chads“ wird vorgeworfen, dass diese die „Beta-Männer“ durch ihre Existenz daran hindern würden sexuelle Kontakte mit Frauen aufnehmen zu können und somit die Männersolidarität untergraben. Trotzdem wird Männlichkeit affirmiert und geht mit der Herabwürdigung des Weiblichen einher.

Im Endeffekt wird den vermeintlich oberflächlichen Frauen die Schuld daran gegeben. Das Verhalten der Frauen sei wesentlich gravierender, denn diese würden sich nur mit „Chads“ einlassen. Das Ausleben von Sexualität wird als Menschenrecht angesehen, das allen Männern zustehe. Frauen, die den Männern ihre „Sexualration“ verweigern, begehen somit ein unentschuldbares Verbrechen, das bestraft werden müsse. Dies schlägt sich mitunter in der Empfehlung nieder, Vergewaltigungsdrogen als „Medizin“ zur Heilung der eigenen Enthaltsamkeit zu nutzen und gipfelt in Vergewaltigungsaufrufen und Gewaltfantasien. Auch wenn andere darauf hinweisen, dass eine Vergewaltigung keine befriedigende Erfahrung sei, da es einen Großteil des Reizes ausmache, selbst begehrt zu werden. Der Islam wäre deshalb eine gute Religion, da er Frauen als persönlichen Besitz behandeln würde. Sie müssten den Männern dienen und diese Väter hätten die vollkommene Kontrolle über die Frauen.

Feindbild Feminismus

Ähnlich anderen antifeministischen Narrativen wird auch hier das Bild eines weiblichen Totalitarismus gezeichnet. Frauen wären in alle Bereiche eingedrungen, sei es in die Arbeitswelt, das Militär oder in die Popkultur. Man könne ihnen nicht entkommen, sie höchstens noch bestmöglich ignorieren. Frauen gelten in diesem Zusammenhang zugleich als Versinnbildlichung von Konformität und sinnfreiem Konsumismus.

Vielfach werden zwar die Vorteile der Auflösung von traditionellen Bindungen und Verpflichtungen begrüßt, jedoch nicht die damit einhergehenden Begleiterscheinungen. Sexuelle Erfüllung mit freizügigen Frauen, die den Schönheitsstandards entsprechen, sind erwünscht. Die damit einhergehenden Unsicherheiten in einer Gesellschaft, in welcher Frauen ein Mehr an sexueller Wahl und Freiheit haben, werden in diesen Kreisen hingegen des Öfteren als feministisches Komplott betrachtet. Dies hätte zur Folge, dass Männer nunmehr perfekt seien müssten, um Erfolg bei Frauen zu haben. Wohingegen Frauen sich alles erlauben könnten und konsequenzlos so viel Sex wie sie wollen haben können. Ihr feministisches Programm würden sie jedoch nur gegenüber hässlichen Männern durchsetzen, da sie Chads viel zu attraktiv fänden. Sie könnten hässlich sein und trotzdem Männer, die auf der Skala weniger als sieben Punkte erzielen, diskriminieren und Kollegen bereits wegen eines sexistischen Witzes feuern lassen. Feminismus wird darüber hinaus gar als eugenische Bedrohung aufgefasst, so schreibt ein User: „Feminism it‘s a mechanism to kill ugly men in the long run and we are reaching the end of the line.“ Sie besäßen eine Allmacht, die sich die „Incels“ selbst wünschen.

Zwar wird sich beispielsweise in den Forenregeln von Gewalt und Misogynie distanziert und es gibt Foren wie Incelswithouthate. Trotzdem stellen jene gleichwohl einen integralen Bestandteil dar. Dass diese Radikalisierung und Brutalisierung auch Folgen außerhalb des Internets hat, zeigen zwei Fälle. So tötete Elliot Rodger im Jahr 2014 sechs Menschen und verletzte dreizehn. Innerhalb eines Manifests und Youtube-Videos machte er Frauen für seine Einsamkeit, deren Zurückweisung und seine nicht vorhandenen sexuellen Erfahrungen verantwortlich. Obwohl er perfekt sei, würden sich die Frauen lieber an andere, unausstehliche Männer heranwerfen. Für dieses „Verbrechen“ müsse er sie nun bestrafen, genauso wie all die Männer, die ein besseres Leben führen als er. Was er nicht haben kann, müsse zerstört werden.

Auch dem Attentäter von Toronto, Alek Minassian, welcher zehn Menschen tötete, als er mit einem Van in Fußgänger_innen in einem belebten Viertel raste, kann eine misogyne Tatmotivation nachgesagt werden, da er sich vor seiner Tat online positiv auf Elliot Rodger bezogen hatte. Im Internet wurden seine Morde begrüßt, weil es ein Viertel traf, das angeblich im Wesentlichen von Feministinnen und Hipstern bewohnt worden ist. Andere hielten die Attacke für einen Inside Job, der dazu dienen sollte alle Männer Torontos zu dämonisieren.

In der Incel-Community verbindet sich eine Mischung aus der verdinglichten Wahrnehmung von Sexualität und Partnerschaft sowie dem Bewusstsein der eigenen Austauschbarkeit und den vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen an die Subjekte mit der Enttäuschung und Wut über die eigene Zurückweisung. Diese gesellschaftliche Konstellation löst jedoch nicht eine Kritik des Bestehenden aus, sondern sucht sich Frauen als unmittelbar verantwortliches Hassobjekt, das als Ventil fungiert. Ein Ende ist nicht absehbar. L

Angela Nagle: Kill All Normies: Online Culture Wars from 4chan and Tumblr to Trump and the Alt-Right, Zero Books, 2017