Bekanntlich hat Christus die Kinder geliebt. Und diese lieben ihn. Man kann so sehr materialistische/r Denker*in sein wie man will, man blamiert sich halt, wenn man nicht anerkennt, dass Kinder eine natürliche Religiosität besitzen. Die wechselseitige Liebe zwischen Heiland und Kinderlein ist vermutlich deswegen wohlbegründet, weil Kinder aus jener Sphäre stammen, von der aufgeklärte Menschen wissen, dass sie nichts von ihr wissen können. Diese kann das „Nirgendwo“ genannt werden oder auch das „unendlich Schöne“ und man könnte sich einbilden, man würde eines Tages dorthin zurückkehren. Hoffen wir das Beste. Aus dieser Sphäre bringen Kinder einen Sprachgebrauch mit, der sich von dem der Erwachsenen unterscheidet. Erwachsene benutzen ihn – übrigens heutzutage meist recht halbherzig – im Gebet. Hier wird adressiert an eine/n nicht antwortete/n Empfänger*in. (Wer von der lieben Gött*in tatsächlich Antwort in Ton und Bild erhält, bitte unbedingt in stationäre Behandlung begeben!) Es werden auch zuweilen knallharte Forderungen formuliert: „Unser tägliches Brot gib uns heute“ und dabei wird eine Art Sprachmagie eingesetzt. Indem etwas gesagt wird, das vollkommen unsinnig ins Leere läuft, soll die Welt in ihrer gehörlosen Substanz angerührt und auch irgendwie bezwungen werden. Das ist kindisch, aber gleichzeitig auch sehr sympathisch. Der Kosmos wird nicht als teilnahmslos vorgestellt, sondern es wird eine tiefe Verbundenheit mit ihm imaginiert. Und hej, warum nicht, wer weiß?
Kinder benutzen diesen Sprachgebrauch, ganz ohne dass man sie beten lehrt und zwar im Fluch. Der Fluch ist nämlich die gleiche Verwendung von Sprache wie das Gebet, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen. Nicht „Lieber Gott, wir bitten Dich“, sondern „Du Drecksscheißding, verschwinde!“ Tut es aber nicht. Ein „Verschwinde, du Kacka“ hat keinerlei Wirkung auf die Materie. Kinder brauchen ein paar Jahre, um dies zu überreißen. Währenddessen fluchen sie, dass sich die Balken biegen: Wenn sie beispielweise im zarten Alter von vier Jahren unvermittelt über den Tisch brüllen: „Jetzt halt endlich mal die Fresse!“ Dies ist dann zwar semiotisch gesehen eine Aufforderung, die Sprachmagie liegt aber im Glauben, durch den Fluch die Befolgung erzwingen zu können. Eltern sind dann meist empört und schämen sich für die lieben Kleinen. Vollkommen zu Unrecht. Was hier ausgestoßen wird, ist Beleg für eine tiefe Verbundenheit zum Ganzen der Welt. Zur ganzen verdammten Scheißwelt natürlich und die wird gerade von den Kleinen heißblütig und innerlich geliebt. Wir sollten ihnen zuhören und von ihnen lernen. Himmelsakrament nochmal!