MALMOE

Freezing the bubble

Becoming Digital (0x09)

„Axel Voss weiß nicht genau, was in seinem Gesetz steht“ 1https://netzpolitik.org/2018/urheberrecht-axel-voss-weiss-nicht-genau-was-in-seinem-gesetz-steht/, clickbaitete netzpolitik.org nach der Abstimmung des EU-Parlaments zur hoch umstrittenen Copyright-Reform. Nicht zum ersten Mal hatte dieser zuvor in einem Interview mit Ahnungslosigkeit in urheberechtlichen Fragen zu digitalen Inhalten geglänzt; was insofern bemerkenswert ist, als dass er die soeben beschlossene Reform des europäischen Leistungsschutzrechts maßgeblich mitgestaltet und durchs Parlament gebracht hat. Nun bin ich ganz sicher kein Verteidiger der politischen Linie der EVP, aber über den eigentlichen Gesetzesinhalt hat der besagte Abgeordnete Voss bei mehreren Gelegenheiten durchaus sinnvoller gesprochen als so manche seiner KollegInnen. Was jedoch die den Parlamentsbeschluss umgebenden medialen Debatten einmal mehr illustrieren, ist eine bemerkenswerte Unfähigkeit der beteiligten AkteurInnen in digitaler Intelligentsia und Politik, genauer Judikative, sinnvoll zu kommunizieren.

Der Kernpunkt in diesem Fall: Große Verlage und Medienkonzerne fordern schon seit längerem eine direktere (sprich: ihren v.a. wirtschaftlichen Interessen näher stehende) Umsetzung des Urheberrechts in den gar nicht mehr so neuen Medien. Mittel der Wahl einer solchen Umsetzung waren in diesem Fall verpflichtende, automatisierte Filter, die jedwede nutzerInnengenerierten Inhalte zunächst auf eventuelle Urheberrechtsverletzungen prüfen.

Die Lawine aus Memes 2https://whatthevoss.eu/ und anderen ebenso informativen wie ironiegetränkten Äußerungen zeigt, wie groß das Bewusstsein für die Problematik einer solchen automatisierten Filterung ist. Es ist ein Bewusstsein dafür, dass diese Gesetzgebung keineswegs das Urheberrecht sinnvoll umsetzt (weil mittlerweile nicht einmal mehr meine Eltern wesentlich länger als 5 Minuten brauchen um die nächste Streaming Seite mit Servern außerhalb des Kontrollbereichs eben jener Filter zu finden). Auch dafür, dass sie schwierige bis unmögliche Bedingungen für künstlerische Arbeit mit neuen Medien schafft (deren derivative Taktiken durchaus vom Urheberrecht gedeckt sind, aber durch Algorithmen ganz sicher nicht von Raubkopien zu unterscheiden sind). Und nicht zuletzt dafür, dass sie unfaire Hürden für kleinere bzw. nicht gewinnorientiert arbeitende Medienplattformen aufstellt.

Dass sich der, vor allem im deutschsprachigen Raum nun seit Jahren von ChaosComputerClub bis resPublica lebendige Diskurs nicht in eine echte Debatte zwischen Politik, Digitalwirtschaft und VordenkerInnen übersetzt, sondern in einem ironisch lamentierenden Bedauern über die desolaten Zustände verharrt, ist ebenso Beweis für den Unwillen der politisch Verantwortlichen zu lernen, wie für die ins snobbistische kippende Nerd- Attitüde jener Gruppen, die eigentlich als Anwaltschaft des digitalen Raums agieren sollten.

Das wird einmal mehr an der Urheberrechts-Reform deutlich, und so hat die eingangs genannte Schlagzeile schon ihre Richtigkeit. Nur besteht sie nicht in Herrn Voss Unkenntnis des genauen Gesetzestextes und auch nicht in seiner Ahnungslosigkeit in Sachen Wikipedia. Sie besteht in einem systematischen Unverständnis darüber, welche Aufgabe jene Uploadfilter (sprich Algorithmen), weit jenseits einer klassischen Verteidigung urheberrechtlicher Ansprüche in den digitalen Medien, wahrnehmen werden, nämlich die einer Rechtsprechung. Sie werden, je nach Beschaffenheit, neue Präzedenzen dafür schaffen, was rechtskonform als Derivat, was als künstlerische Verfremdung, was als Raubkopie gilt. Es ist der wohl erste Versuch, etwas, dass bislang der Jurisdiktion und ihren langwierigen Verfahren überantwortet war, so offen zu automatisieren und auf technischer Ebene „einzufrieren“.

Die Welle an Verfassungsbeschwerden und Grundsatzverfahren ist abzusehen und wird wohl ein weiteres Jahrzehnt rechtlicher Unsicherheiten mit sich bringen, an deren Ende dann hoffentlich belastbarere Regelungen stehen. Leidtragende jener Unsicherheit werden jedoch auch weiterhin die NutzerInnen sein, da die Reaktion größerer Medienkonzerne auf derlei Zustände bislang stets die großflächige Sperrung (=geoblocking) der entsprechenden Dienste war.