„Du wirst sehen, mit einem Kind bist du komplett aufs Auto angewiesen“, habe ich oft von Bekannten gehört. Das Gegenteil war der Fall – spätestens nach einer kurzen Beschäftigung mit Kindersitzen war schnell klar: Das Verletzungsrisiko für Kleinkinder bei Autounfällen steht in keinem Verhältnis zum zweifelhaften Komfortgewinn. Was ebenfalls schnell deutlich wurde, ist das völlig absurde Missverhältnis wie viel öffentlicher Raum und Ressourcen dem Autoverkehr in Wien gegeben werden, im Vergleich dazu, wie viel Raum Kindern zur Verfügung steht.
Vor kurzem in Berlin erhobene Zahlen zeigen, dass Spielplätze weniger als ein Zehntel der Fläche für öffentliche Stellplätze für Kraftfahrzeuge einnehmen – die Relation ist in Wien vermutlich nicht besser. Änderung der Situation ist nicht in Sicht, da die kleinste Reduktion der KFZ-Stellflächen zur monatelangen politischen und medialen Skandalisierung als „Parkplatzvernichtung” führt, wie zuletzt bei der Planung des neuen Radwegs entlang Wienzeile oder zuvor beim Umbau der Mariahilferstraße. Gleichzeitig nutzen laut Mobilitätsagentur Wien nur 1 % der Schüler*innen Fahrräder oder Roller für ihren Schulweg, die Gesetzgebung sieht für Kinder unter 8 keine legale Möglichkeit vor, im öffentlichen Raum Rad zu fahren und viele Eltern argumentieren pro „Elterntaxi“ auf dem Schulweg ausgerechnet mit den Gefahren durch den Autoverkehr. Nachdem ich in den ersten Monaten mit dem Kinderwagen im täglichen – oft durchaus ruppigem – Kampf mit anderen Nutzer*innen um den knappen Platz am Gehweg verzweifelte, kam die nächste Herausforderung.
Als das Kind die ersten Schritte machte, wurde plötzlich die kleine, durchaus ruhige Gasse vor unserer Haustür zu einer akuten Lebensgefahr. Ein schmaler Gehsteig, eine schlecht einsehbare Parkspur und direkt dahinter schon die Zwei-Tonnen-Geschosse, die mit – mindestens – 30 Sachen vorbeiziehen. Kreuzungen, wo wir dem Kind, das noch kein Konzept von Gefahr an sich und kaum Impulskontrolle hat, beibringen müssen, stehenzubleiben. Dass es aber überhaupt nicht OK ist, mitten auf der Fahrbahn eine Pause zu machen, auch wenn es noch so viel Spannendes zu sehen gibt. Ein falscher Schritt zur Seite – die Konfrontation mit der tödlichen Gefahr hinterlässt permanent gestresste, überforderte Bezugspersonen. Laut VCÖ gibt es im Schnitt jeden Tag acht verletzte oder getötete Kinder auf österreichischen Straßen. All das nehmen wir scheinbar bereitwillig in Kauf für ein Versprechen vom „flüssigeren“ motorisierten Verkehr. Dabei besitzt ohnehin nur etwas mehr als die Hälfte der Wiener Haushalte ein Auto, in manchen Bezirken kann oder will sich weniger als ein Drittel eines leisten. Noch weniger werden diese genutzt – nur noch 27 % der Wege wurden in Wien 2017 mit einem KFZ zurückgelegt. Das ist zwar immer noch viel zu viel, aber lächerlich wenig im Vergleich zum Flächenbedarf, den dafür direkt und indirekt aufgewendeten öffentlichen Mitteln und vor allem: den täglichen Gefahren und Gesundheitsrisiken.