Poesiealbum Schwarz-Blau (#3) – Neue Einträge ins österreichische Stammbuch im brennheißen Juni 2018.
Gerechtigkeit für die Leistungswilligen
Bei der ÖVP-nahen Schülerunion wurden interne Punktelisten geführt, die Leistungen im Bereich „Schmusen“ und „Pempan“ bewerten. Der ÖVP-Führung fiel nicht viel zu diesen Vorgängen ein (zu stark ist wohl der Blick auf die Missstände bei anderen fixiert) und es seien ja schließlich nur Dummheiten und Bubenstreiche einiger weniger Funktionärszwergerl gewesen. Das stimmt aber nicht und wer hier kalmiert, verkennt, wie „richtig“ sich die jungen ÖVPlerInnen im Falschen ihrer Partei bewegen. Die sexuelle Leistung wurde nämlich einzig anhand der Hierarchie bewertet. Sexuelle Handlungen mit SchülerInnen gaben glatte null Punkte, SchülervertreterIn einen Punkt, SchulsprecherIn zwei etc. bis zum Hauptgewinn BundesgeschäftsführerIn (36 Punkte bei Sex!). Wer sich so durch die Partei bumst, hat mit 17 schon alles gelernt, was es bei der ÖVP zu lernen gibt, Sexismus, Menschenverachtung und vielleicht sogar sexualisierte Gewalt all inclusive. Die ekelhafte Rangliste kann deswegen nicht als schlechter Scherz abgetan werden, weil die Hierarchisierung von Leistung nur lustig findet, wer sie internalisiert hat.
Gedenkstress
Die FPÖ hat es halt auch nicht leicht. Immer dieser leidige Spagat zwischen dem betont staatstragenden Auftreten gegen Antisemitismus und der reflexartigen Verteidigung der eigenen FunktionärInnen und ihrer Entgleisungen. Johann Gudenus schloss sich unlängst der von Viktor Orban vorangetriebenen und von antisemitischen Verschwörungstheorien getragenen Kampagne gegen George Soros an und sprach von „stichhaltigen Gerüchten“, gemäß denen Soros die Fluchtbewegungen in die EU maßgeblich finanziert habe. Eine Formulierung, die in das „Wörterbuch der Niedertracht und Verleumdung“ eingehen werde, sagte der Schriftsteller Michael Köhlmeier in seiner vielbeachteten Rede anlässlich des Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus. Da saßen die Mitglieder der schwarzblauen Regierung und mussten sich für österreichische Verhältnisse ungewohnt deutliche Worte gefallen lassen. Solle er so tun, als wüsste er nicht, was gemeint ist, wenn sie ihre antisemitischen Codes austauschen, fragt Köhlmeier. Und: Schon damals habe es jene gegeben, die sich mit dem Schließen von Fluchtrouten brüsteten. Die Regierung gibt sich empört und greift auf die altbewährte Täter-Opfer-Umkehr zurück: Köhlmeier verharmlose den Nationalsozialismus!
Tags darauf musste dann bei der ORF-Sendung Im Zentrum, anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, erneut dem Mimimi der vom Gedenken ach so „ausgegrenzten“ FPÖ Raum gegeben werden. Bei der Frage, ob man die FPÖ zum Gedenken einladen solle, gar Harald Vilimsky bitten, eine Gedenkrede zu halten, brach es aus dem Vorsitzenden des Mauthausen-Komitees, Willi Mernyi, heraus: Das sei, wie wenn einer „am Vormittag zu einer Ku-Klux-Klan-Veranstaltung geht und am Nachmittag zur Generalversammlung von Amnesty International.“
Offene Drehtüren
Ein Jahr nach seinem Abtritt gibt der ehemalige ÖVP-Vorsitzende Reinhold Mitterlehner ein Interview und erscheint dabei unerwartet gereift und aufrichtig. Er spricht über den Zustand der Volkspartei und Österreichs. Im Text ein vorgehobenes Zitat: „Man hat aktuell den Eindruck, dass jeder, der kommt, unter dem Verdacht steht, er komme nur aus wirtschaftlichen Gründen, er wolle sich irgendwas erschwindeln.“ Bravo, die/der kritische LeserIn ist überrascht, so viel Selbstkritik hätte niemand bei der ÖVP erwartet. Tatsächlich drängt sich insbesondere bei der türkisen Bewegung der Eindruck auf, alle geiferten nur nach Verdienst und Posten. Muss dem Mann eine Träne nachgeweint werden? Aber nein, beim genaueren Lesen erschließt sich der Kontext. Mitterlehner spricht nicht von seinen ParteifreundInnen, sondern von den Flüchtlingen. Ach so, na klar. An dieser Stelle ist ihm viel Erfolg mit seinem neuen Unternehmen zu wünschen, das sich der Unternehmens-, Strategie- und Internationalisierungsberatung verschrieben hat und bei dem der Ex-Wirtschaftsminister sicherlich nicht versuchen wird, jenes Wissen zu Geld zu machen, das ihm während seiner Amtszeit anvertraut wurde. So dass kein Verdacht auf ihn falle, er wäre nur aus wirtschaftlichen Gründen …
Divide et impera
Der Begriff „Integration“ hat den Abstieg vom gefühligen konservativen Schlagwort (à la „bei uns daheim hat man sich so und so zu benehmen“) zur rechtsradikalen Kampfformel längst vollzogen. Eine Orwellsche Verdrehung kam dabei heraus. Wer heute Integration sagt, will fast immer spalten und dabei betonen, dass das Fremde eine Gefahr sei, die allerorten lauert und der nur mit harten Zwangsmaßnahmen begegnet werden kann. Derweil scheint es, als habe die ÖVP nie ernstlich vorgehabt, das Zusammenleben zu verbessern, wohl weil ihr Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz bald erkannte, dass sein politischer Erfolg eben von einem nicht geglückten Zusammenleben abhängt. Nachdem Kurz’ „integrative“ Rolle vakant wurde, übernahm als neuer Giftmischer der ÖVP der ehemalige grüne Abgeordnete Efgani Dönmez. Ihm muss in einem nihilistischen Sinn attestiert werden, er macht seine Sache „gut“. Folgendes Schema bedient er: „Teile die Welt in zwei Gruppen. Die eine ist gut und homogen (der Zufall will es, dass man dieser selbst angehört) und die andere ist schlecht und widersprüchlich.“ Beharrlich diesem demagogischen Einmaleins verhaftet, lässt sich eine komplexe Situation einfach darstellen. Weite Teile der Moslems würden „von [ihren] Reaktionären in Geiselhaft genommen“, manche Moslems würden „unsere [?] Gutmütigkeit ausnutzen“ und sich in „Parallelgesellschaften abschotten“. Mag ja stimmen, nur was verschweigt er dabei? Nahezu alles, was er den anderen vorwirft, könnte er, mit einer winzigen Dosis Abstraktionsvermögen, der eigenen Regierungskoalition vorwerfen. Wir schließen kurz die Augen und stellen uns vor: FPÖ und ÖVP. Reaktionäre, die andere ausnutzen und sich gegen jede Kritik abschotten? Ja, könnte es gegeben haben, wenn auch sicherlich nur in Einzelfällen.
Punktlandung
Die ÖVP ließ den Anteil ihrer FunktionärInnen der Jahre 1945–1980 mit NS-Hintergrund messen und kam auf 6,3 %, also genau jenen Anteil, den auch die Gesamtbevölkerung Österreichs aufwies. Eine echte Punktlandung also. So geht Historikerkommission, es wird an den Kriterien herumgeschraubt, bis das genehme Ergebnis da ist. Das kann MALMOE auch und präsentiert jetzt das Gegengutachten. Wenn Faschismus richtig als „Wir ohne Ich“ definiert wird und somit all jene FaschistInnen sind, die bereit sind, ihre Individualität unter ein Abstraktum unterzuordnen, sei es nun Gott, Vaterland, Nation oder auch z. B. Wirtschaftswachstum, dann kommt die Funktionärselite der ÖVP aus den Jahren 1945–1980 auf 98,9 % Faschismusanteil, exakt das übliche Wahlergebnis der ostdeutschen SED. Kein Zufall übrigens, alles sauber zurechtmanipuliert.