Auch nach 20 Jahren female:pressure ist die Geschlechterungleichheit im Club evident. Ein kritischer Blick auf die aktuelle Situation.
Als female:pressure gegründet wurde, war elektronische Musik ein aktuelles Phänomen, und insbesondere Techno war als Klangerlebnis vor über 20 Jahren eine neue und revolutionäre Sache. Die elektronischen Klangwelten haben sich bis heute nicht überlebt, sondern dieser Sound hat sich bereits ins kollektive Gedächtnis eingebettet und nach wie vor funktionieren all diese elektronischen Musikrichtungen in ihren vielfältigen Spielarten.
Männerdomäne Clubkultur
Eingangs muss ich die Frage stellen, was wird bezeichnet, wenn wir über die beiden dominanten bzw. vorherrschenden Gruppen Männer und Frauen sprechen und wie relevant oder aber beliebig ist diese Zu- bzw. Einteilung? Ich bin überzeugt, dass insbesondere auch im Clubkontext der Blick auf diese Zweigeschlechtereinteilung für frauenpolitische Interventionen durchaus fürs Erste von Relevanz ist. Quantitativ ist eine männliche Dominanz an den meisten Orten zu beobachten und abzuzählen, der es entgegenzuwirken gilt. Erst in Folge, wenn der gewünschte Zustand an Geschlechterparität hergestellt ist, spielt meiner Ansicht nach der wichtige Schritt der Geschlechterdekonstruktion eine Rolle, den die Queer-Theorie geleistet hat: Schon die Zuweisung in bzw. Verpflichtung zu einer der ausschließlich zwei Kategorien Mann und Frau stellt einen oftmals gewaltsamen (siehe z. B. die Geschichte von Brendon Teena) normierenden.
Beim Abwägen des Männer-Frauen-Verhältnisses in wichtigen Akteur*innen-Positionen in Clubs und Festivals ist festzustellen, dass Letztere deutlich weniger vertreten sind. Gerade deswegen gründete sich ja das Netzwerk female:pressure 1998. Somit verwundert es, wenn Electric Indigo, eine der female:pressure-Begründerinnen in der Zeitschrift The Gap sagt, dass sie ihre DJ-Position als Frau nicht unterstreicht bzw. nicht hervorheben will. Sie denke nicht permanent daran, dass sie eine Frau ist. „Als Frau aufzulegen, war für mich nicht etwas Besonderes. Ich denke auch nicht daran, dass ich eine Frau bin, wenn ich ein Kilo Äpfel kaufe.“ Diese zunächst leicht nachvollziehbare Aussage ist problematisch.
Möglicherweise kann durch die Diskriminierungen vonseiten der Dominanzkultur eine Erklärung dafür gefunden werden. Wie diese wirkt, ist anhand unzähliger Beispiele zu erläutern. 2013 äußerte sich z. B. Mat Schulz vom Unsound Festival in einem Artikel von The Wire und meinte, dass das Booken von Frauen* eben zu schlechterer Qualität führen würde. Diese unglaublich pauschalisierende Herabsetzung der Gruppe Frauen* an den Turntables ist ihm sicherlich nicht einmal aufgefallen.
Daher frage ich mich als Frau Folgendes: Kann ich mich abseits meiner zugewiesenen und anerzogenen Rolle als Frau verstehen bzw. kann ich die Geschlechtskategorie Frau* ignorieren, wenn mir aufgrund dieser ein solch herabsetzendes Verhalten entgegenschlägt? Insbesondere wenn ich mich in männlich dominierten Musikfeldern bewege und verorte? Kann ich mich dort so bewegen, als ob wir schon einen Zustand der Gleichberechtigung erreicht hätten? Offen gestanden: Ich glaube nicht mehr so recht daran, diesen zu Lebzeiten noch zu erleben bzw. dass er überhaupt jemals eintreten wird!
Das Öffentliche und das Private
Electric Indigo hat allerdings einige wichtige Punkte sehr gut festgestellt: In der elektronischen Musik verhält es sich anders als z. B. in der Literatur. Letztere verfügt über eine andere Repräsentation, die Stille und Zurückgezogenheit ermöglicht, insbesondere auch in der Entstehung von Literatur. Somit blüht die Literatur genau in diesem Zuhause und dem Privaten, das klassischerweise einen hohen Frauenanteil begünstigt, fördert und vorsieht. Dem Genderklischee entsprechend standen den Frauen die Türen zu den Schreibstuben offen. Entgegengesetzt verhält es sich aber im öffentlichen Raum, denn dieser wird von den Männern bevorzugt für sich vereinnahmt. Einschlägige Forschungen beweisen: In der Clubkultur mit ihren Partyfloors bzw. -kellern dominieren Männer mit ihrem betont outgoing bzw. outstanding Auftreten.
Eine Untersuchung von femdex hat sich beispielsweise mit der Fragestellung beschäftigt, ob zu wenig Diversität in den Clubs herrsche und ob hier nicht vornehmlich Männer hinter den Plattentellern stünden. Die Studie ergab eine Quote von 95 % Männern in den Line-Ups.
Einen weiteren Beleg bot eine Diskussion zu Sexismus in der Clubkultur am 22. Mai 2018 auf FM4 in der Sendung „Auf Laut“. Sie kam zu dem Ergebnis, dass zunächst die Strukturen geändert werden müssen, in denen Männern an den Machthebeln wie dem Booking und der Technik sitzen und Frauen* demgegenüber Garderobe, Bar und Merchandising machen. Erst wenn diese Aufgabenverteilung sich ändert, werden sich auch die Line-Ups ändern!
„Männlicher Mut“ führt auf die Bühne
Die Geschlechterungleichheit im Club ist vielleicht aus einer gesellschaftspolitischen Perspektive folgendermaßen zu erklären: Schon früh in den Lebensläufen beginnt ein Großteil männlicher Subjekte, sich in ihrer Sozialisation als Mann zu verwirklichen, etwa durch die Partizipation in einer Band oder sogar durch die Gründung einer solchen. Hier wäre die erste Erklärung für den Umstand zu finden, warum sich quantitativ so viel mehr Männer auf der Bühne und Frauen* als Fans im Publikum befinden.
Früh wird die Scheu von (Cis-)Männern abgelegt, sich auf die Bühne zu stellen und dort auch eine oftmals selbstherrliche, frau möchte fast sagen selbstverliebte Show zum Besten zu geben. Während Frauen (inklusive mir) sich oftmals denken, das kann ich doch nicht und ich traue mich das auch nicht. Und somit finden sie sich lieber als passive Beobachterin und Fan im Publikum wieder. Deshalb scheint es, als sei den Herren der Schöpfung der Aktionismus, die Aktivität und die Selbstdarstellung quasi in die Wiege gelegt worden.
Zu ähnlichen Ergebnissen führt das Abzählen der Akteur*innen, die die Instrumente in Bands spielen. Auch hier findet sich meist ein Schauplatz von Männlichkeitsdarstellungen, insbesondere bei Schlagzeug und Gitarre. Kann dieser grenzenlose Mut, auf die Bühne zu gehen, ausschließlich dem Testosteron geschuldet sein? Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt. Aus dem Gespräch mit einer M-to-F-Transgender-Person bekam ich dann genau diese Annahme aus deren persönlicher Erfahrung bestätigt.
Demgegenüber scheint sich die Gruppe Frauen also offensichtlich leichter in die passive bzw. wieder einmal aufnehmende Rolle (in diesem Fall der Musik) zu begebenen. Es fällt schwer, es sich an dieser Stelle zu verkneifen, diese Position mit dem heterosexuellen Geschlechtsakt zu vergleichen. Tja, was für eine blöde Rolle, immer „die Gefickte zu sein“, und dies in einem allumfassenden gesellschaftlichen, insbesondere auch monetären Sinn. Denn genau so läuft es in einem kapitalistischen System nämlich: Die auf der Bühne werden entlohnt, die anderen schauen zu! Im Club wie im Konzertraum als Fan – mit ein bisschen Gekreische und Hüftgewackel darf die Frau schon dabei sein und sich trauen, dort das Sexobjekt abzugeben.
Oder aber man nimmt die weitere prekäre alternative Option für Frauen in diesem Club-/U-Musik-Kontext wahr, nämlich jene der unterstützenden Freundin* und Partnerin* des tollen Typen, des männlichen Musikers oder DJs also, der auf der Bühne agiert. Dabei heißt es dann, immer schön im Verborgenen zu bleiben.
Und heute?
Bedauerlicherweise unterscheiden sich die Gegebenheiten heute kaum von denen in den letzten Jahrzehnten, sei es im Konzertkeller, im Club oder in der Veranstaltungshalle. Die Entwicklung in der elektronischen Musik, hin zum Computer und weg vom Instrument, brachte nicht – wie zuerst erhofft – einen Wandel zu mehr Geschlechterparität mit verstärkter weiblicher* Präsenz. Ich finde, es sollte nicht darüber hinweggesehen werden, und diese ewig wiederkehrenden Umstände sollten nicht ignoriert werden.
Aber zum Glück gibt es Akteur*innen, die diesen widrigen Gegebenheiten entgegenwirken. Dazu gehören eben auch female:pressure, die in Österreich entstanden und mittlerweile international unterwegs und etabliert sind. Auch wenn noch viel zu tun ist, Electric Indigo hat vor 20 Jahren mit dessen Gründung einen wichtigen Schritt gesetzt. Viele sind ihr gefolgt, sodass female:pressure heute eine nicht mehr zu übersehende Größe ist.