Rechte Gruppen formieren sich gegen Eheöffnung und Sexualpädagogik
„Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“, so lautet das Motto von Demo für Alle und anderen konservativen Gruppen, die gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und progressive Sexualpädagogik in Deutschland vorgehen.
Bildungspläne, Aufklärungsbroschüren und Eheöffnung sind für dieses Spektrum gleichbedeutend mit einer Krise der Ehe, der Familie und im Endeffekt der Gesellschaft als Ganzer. Es existiert eine grundsätzliche Angst vor einem Werteverlust, sei es durch Säkularisierung, die vermeintliche Sexualisierung und selbstverständlich auch durch Migration. In diesem umfassenden Kulturkampf stellen Sexualität und Geschlecht wichtige Kampffelder dar.
In Anlehnung an die französische La Manif pour tous bildeten sich seit Anfang 2014 auch in Deutschland Gruppen heraus, die unter dem Label „Demo für Alle“ und kurzzeitig auch Besorgte Eltern firmierten. Ein Auslöser für die Gründung war die Einführung eines Bildungsplanes in Baden-Württemberg, der sexuelle Vielfalt als Querschnittsthema im Schulunterricht verankern sollte. Gleichzeitig lassen sich Anschlüsse an „Pro-Life“-Positionen, beispielsweise in Form der Gegnerschaft bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen und dem Aufgreifen von antifeministischen Ideologemen finden.
Personell rekrutiert sich dieser Zusammenschluss aus rechten, konservativen und christlich-fundamentalistischen Spektren, findet aber auch Resonanz innerhalb der bürgerlichen Medienlandschaft. Mit dem Aufstieg der rechten Alternative für Deutschland (AfD) haben diese Inhalte nicht nur eine Rekrutierungsbasis, sondern auch eine verstärkte parlamentarische Basis gefunden, obgleich auch in der konservativen CDU/CSU die Inhalte rezipiert werden.
Die heterosexuelle Ehe als heilige Institution
Im Zuge der Bundestagswahl reiste, initiiert durch das katholische Ex-CDU-Mitglied Hedwig von Beverfoerde, der Bus der Meinungsfreiheit unter der Parole „Für #EhebleibtEhe, für die Zweigeschlechtlichkeit, gegen Gender, Sexualisierung“ durch deutsche Städte. Nach eigenen Angaben sammelte die Gruppe im Zuge dessen über 200. 000 Unterschriften gegen die Öffnung der Ehe.
Auch wurden bereits mehrere Symposien veranstaltet. Das letzte dieserart in der Nähe von Frankfurt am Main veranstaltete wollte der Frage nachgehen, „welche gravierenden ethisch-rechtlichen Folgen die Umdefinierung der Ehe für Kinder und die Gesellschaft hat.“ Die Diskussion speist sich zum einen aus religiösen Einwänden, zum anderen aus rechtlichen Gesichtspunkten. Die Ehe sei von Gott als eine Verbindung zwischen Frau und Mann geschaffen worden und keine neumodische Erfindung könne daran etwas ändern. Zugleich wurden rechtliche Bedenken geäußert, denn es würde versucht werden, grundgesetzwidrig eine Änderung des Eherechtes herbeizuführen.
Nur die Ehe zwischen gemischtgeschlechtlichen Partner_innen könne ihre zentrale Aufgabe, die Zeugung von Kindern und die Gründung einer Familie als Fundament der Gesellschaft sicherstellen. Die AfD verabschiedete 2016 die Magdeburger Erklärung zur Frühsexualisierung, die mittels biologischer Festschreibungen und nationaler Bevölkerungspolitik hervorhebt, dass unter Familie nur die Verbindung zwischen Mann und Frau verstanden werden soll, die Kinder haben. Die Familie sei „die Keimzelle der Gesellschaft. Sie garantiert den Erhalt unseres Volkes, unseres Staates und unserer Nation.“ Die Demo für Alle kritisierte die vermeintliche Herabsetzung der Ehe zwischen Mann und Frau zu einer beliebigen Spielart von Lebensformen. Hier zeigt sich die Unsicherheit und Angst vor der Brüchigkeit der früher hegemonialen heterosexuellen Kleinfamilie als einzig legitimer Form des Zusammenlebens, die abgewehrt werden muss.
Angeblich sollen die Kinder geschützt werden
Ein weiterer Konfliktpunkt bestand in der Frage des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Kinder hätten einen natürlichen Anspruch auf einen Vater und eine Mutter. Bei gleichgeschlechtlichen Eltern wäre die „geschlechtliche Eltern-Dualität“ nicht vorhanden und somit die kindliche Persönlichkeitsentwicklung „prekär und problematisch“. Zugleich kommt Kritik an der Reproduktionsmedizin auf, wonach nunmehr die Gefahr bestehe, dass Eheleute ein Recht auf Kinder einfordern könnten. Eine Öffnung der Ehe würde im nächsten Schritt die Leihmutterschaft legalisieren, die mit Menschenhandel gleichgesetzt wird. Zwar wird berechtigterweise die mitunter stattfindende Ausbeutung in der Kinderwunschindustrie, beispielsweise im globalen Süden kritisiert, aber diese Kritik nimmt nicht grundsätzlich globale kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse in den Blick, sondern artikuliert sich hauptsächlich moralisch.
Die Kritik an Sexualaufklärung, die immer wieder die Begrifflichkeit der Frühsexualisierung aufgreift, kleidet sich in ein Vokabular der Sorge um das Kindeswohl, angereichert mit verschwörungsideologischen Momenten. Die Bezugnahme auf das Kindeswohl ermöglicht es, Ressentiments öffentlich zu thematisieren, ohne dass diese sogleich als homosexuellenfeindlich wahrgenommen werden.
Innerhalb der Auseinandersetzung um die vermeintliche Frühsexualisierung von Kindern rief die vom Berliner Senat herausgegebene Broschüre Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben – Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als Themen frühkindlicher Inklusionspädagogik Protest hervor. Diese richtete sich explizit an Pädagog_innen und zielte darauf ab, u.a. über Regenbogenfamilien und Intergeschlechtlichkeit zu informieren. In der Berichterstattung wurde daraus vielfach eine „Sex-Broschüre für Kita-Kinder“, die CDU und AfD forderten einen Stopp der Verbreitung.
Sexualpädagogik wird vielfach als verkleidete Pädophilie dargestellt, die sexuelle Übergriffe auf Kinder ermögliche. Eltern würden so entmachtet werden, Kinder würden zum Sprechen über Sexualität gezwungen und bezüglich ihrer Identität verunsichert. Diese „Indoktrinierung“ habe schwerwiegende Eingriffe in die natürliche psychische Entwicklung der Kinder. So endet die Petition gegen die Schulbroschüre mit dem Appell „gegen den staatlichen Missbrauch und die Manipulation der Kinder durch die LGBT-Lobby“ vorzugehen. Der Vorwurf der Manipulation und Übergriffigkeit sei schon gegeben, wenn, wie in der Broschüre, Erfahrungsberichte von transsexuellen Kindern dargestellt werden.
Familie: das Fundament der Nation
Hier treffen die Angst vor einem elterlichen Kontrollverlust und vor einer als bedrohlich wahrgenommenen, mit Sexualität assoziierten Außenwelt auf eine Konzeption von unschuldiger Kindheit, die als vollkommen asexuell gedacht wird. Das kindliche sexuelle Desinteresse hätte zur Folge, dass Kinder vor sexualisierten und familiengefährdenden Umerziehungsversuchen von Seiten der sexualpolitischen Ideolog_innen geschützt werden müssten. Die Kleinfamilie gilt in diesem Zusammenhang als ein Ort, der gänzlich frei von Sexualität und übergriffigen Elementen ist. Redebeiträge, die Statements wie „Unsere Kinder bekommt ihr nicht“ beinhalten, machen deutlich, wie an ältere, jedoch nach wie vor virulente, Ressentiments von homosexueller Verführung angeknüpft wird. Hinzu kommt das verschwörerische Geraune bezüglich einer ideologischen Unterwanderung, wonach sich der Staat vor der Karren einer machtgierigen und totalitär agierenden „(Homo-)Lobby“ spannen ließe, die die Gesellschaft nach ihren Interessen umgestalten will. Erkenntnisse der Geschlechterforschung und Sexualwissenschaft gelten als ideologisch motivierte Instrumente, um dies zu erreichen. Eines der Schreckensszenarien umfasst die Sorge vor der ideologischen Umerziehung der gesamten Gesellschaft und des sexuellen Exzesses, die das Fundament der Nation bedroht. Aus der Schaffung von Akzeptanz wird schnell die Angst, dass die Kinder auf einen Lebensweg gedrängt werden, den sie gar nicht wollen. Frühsexualisierung, „Zwangshomosexualität“ und verordnete Geschlechtsfluidität drohen. Der Sexualität an sich, der im Grunde äußerst zahmen „Ehe für Alle“, sowie der Schulaufklärung wird eine gesellschaftlich umstürzlerische Macht zugeschrieben, wobei zu bezweifeln ist, dass sie diese überhaupt besitzen.
Im Zuge dessen wird sich über den vermeintlich politisch überkorrekten Mainstream beschwert und die gefühlte eigene Marginalisierung bemängelt. Verbunden ist dies mit der Klage, dass sich einseitig einer Minderheit gewidmet wird. Die „Perversen“ würde sich immer nur in den Mittelpunkt drängen wollen und die Normalisierung von Differenz müsse abgewehrt werden. Differenzen aufzuzeigen und somit sichtbar zu machen, was sonst für die heterosexuelle und cisgeschlechtliche Mehrheit als unhinterfragte Norm unsichtbar ist, ist gleichbedeutend mit Vernachlässigung und der permanenten Angst, zu kurz zu kommen. Akzeptanz von Homosexualität wird als Bedrohung der Heterosexualität betrachtet, die Gefahr der „Heterophobie“ drohte. Selbstviktimisierung trifft hier auf die Forderung nach Schutz für die Mehrheit.
Auf die virulente Sorge vor einer zunehmenden Pornographisierung und Sinnentleerung von Sexualität wird mit einer Treue- und Partnerschaftsideologie reagiert. Als primäres Ziel im Leben gilt auch hier die Schaffung einer intakten Familie. Die Fokussierung auf Triebbefriedigung und die vermeintliche Degradierung von Sexualität zu einer reinen Lustquelle gelte es zu bekämpfen. Diese Ansichten können als Reaktion auf einen durchaus virulenten, aber gleichzeitig auch diffus bleibenden gesellschaftlichen sexuellen Leistungsdruck und die Indienstnahme von Sexualität zum Zwecke der Arbeitskraftwiederherstellung und einer gesunden Work-Life-Balance gesehen werden. Es geht aber gerade nicht darum, Sexualität in ihrer problematischen Verwobenheit mit kapitalistischen Verhältnissen zu kontextualisieren, sondern vielmehr um ein Zurück vor jene sexualpolitischen Liberalisierungstendenzen.
Veränderte Schulcurricula,
mediale Resonanz und Einfluss auf Mainstream-Parteien zeigen, dass die hier
dargestellten Proteste nicht folgenlos bleiben. Eingebettet sind diese Angriffe
in ein größeres Projekt, um so gesellschaftlichen Liberalisierungstendenzen
entgegen zu treten. In Zeiten großer Unsicherheit soll so Kontingenz vermindert
werden, indem sich Orientierung sowie Sicherheit durch das Festhalten an
Tradiertem verschafft wird und gleichzeitig soll die eigene, als gefährdet
imaginierte, Position und damit zugleich die „deutsche Leitkultur“ abgesichert
werden.
Billmann Lucie. 2015. Unheilige Allianz – Das Geflecht von christlichen Fundamentalisten und politisch Rechten am Beispiel des Widerstands gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Materialien/Materialien8_Unheilige_Allianz.pdf