MALMOE

„Die ganze Welt steht still, …

wenn unser starker Wille das will!“ Überlegungen zum Februar-Streik im Sozialbereich

Rekapitulation von Ereignissen

Zurückblickend bleibt eine Erfahrung, die oft artikuliert wird, wenn es um soziale Kämpfe geht. Eine mit Nostalgie versehene Erinnerung an die Motivation und Freude, die Aufbruchstimmung und die Mobilisierung von Menschen, die ihrem Unmut ein Ventil geben wollen. Auftakt der Ereignisse war die Demonstration von Beschäftigten aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich am 24. Jänner 2018. Mit 3000 Menschen fiel sie dieses Jahr sehr groß aus, das nicht zuletzt, weil die Kollektivvertrags-Verhandlungen ins Stocken geraten waren. Das Motto des Demozuges lautete „Für faire Bezahlung, Arbeitszeitverkürzung und bessere Arbeitsbedingungen“. Bis zu den Angeboten der Gewerkschaft, Streikschulungen für Betriebsrät_innen zu machen, schien vieles vage und hypothetisch. Doch dann ging es schnell: von der Streikschulung, die ein erstes Gespür einer betriebsübergreifenden Solidarität vermittelte, über die Betriebsversammlung, in der Streikbeschlüsse in den Betrieben gefasst wurden, bis zur Mitteilung über den Streik an die Arbeitgeber_innen. Schlussendlich kulminierte alles im zweitägigen Streik und den begleitenden Solidaritätsaktionen. Die Stimmung war gut, ein Anfang war gemacht und ein nicht zu übersehendes Zeichen gesetzt. Die Euphorie vermischte sich mit dem Gefühl, dass hier gerade etwas sehr Besonderes geschehen ist: Der Soziale Bereich geht auf die Straße. Die Soziale Arbeit legt die Arbeit nieder.

Dabei war von Beginn an präsent, was den Sozialen Bereich auszeichnet: Es geht nicht um eine bessere Vergütung der Arbeit aus reinem Selbstzweck, sondern um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Sozialarbeitenden. Es gilt der Grundsatz: Erst mit guten Arbeitsbedingungen kann gute Arbeit gemacht werden, im Interesse derer, die sich im Netz von Sozialer Arbeit befinden. In mehreren Zusammenhängen wurden, neben den Streikforderungen, weitere Forderungen hörbar: So positionierten sich die Streikenden des Samariterbunds gegen Abschiebungen, die Belegschaft des Vereins Wiener Kinder- und Jugendbetreuung hingegen kritisierte Kinderarmut und mangelnde Ressourcen. Zum einen resultiert das sowohl aus einer stärkeren Politisierung des Feldes allgemein, aber auch aus dem Fakt, dass Auseinandersetzungen im Sozialen Bereich immer auch Kämpfe auf gesellschaftspolitischer Ebene sind. Beide Ebenen lassen sich schwer trennen. Die Möglichkeit, die sich daraus ergibt, an der aber noch vermehrt gearbeitet werden muss, ist die übergreifende Solidarität einer Bewegung, die eben auch Mandant_innen und Angehörige einbezieht.

Der Streik im Allgemeinen

Der Streik als Instrument der Intervention hat eine lange Geschichte im Kampf um die Rechte und um die Stimme der arbeitenden Klasse. Im Modus der Sabotage (vom französischen Sabot, für Holzschuh), bei dem die Maschine über das Blockieren der Zahnräder mit dem eigenen Schuh zum Stillstand gebracht wird, entsteht ein Möglichkeitsraum, in dem soziale Bewegung herrscht.

„Mann der Arbeit, aufgewacht! / Und erkenne deine Macht! / Alle Räder stehen still, / Wenn dein starker Arm es will.“, heißt es im 1863 verfassten Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Die Arbeitsunterbrechung hat sich über die Jahrhunderte in verschiedensten Formen geäußert. Ein Streik fordert, in Anlehnung an Jacques Derrida gedacht, eine abwesende Anwesenheit ein und er fragt nach den möglichen Möglichkeiten, Möglichkeiten, die an sich schon immer vorhanden sind, aber durch die Kraft des Etablierten nicht gesehen oder gelebt werden. Die Struktur der Arbeit und die Struktur in den Betrieben könnte auch eine gänzlich andere sein. Die starke Routine der Arbeit verunmöglicht allerdings eine andere Realität. Eine Unterbrechung des ewig Gleichen eröffnet eine Auseinandersetzung mit der angenommenen Verschlossenheit. Die entstandene Leerstelle eröffnet einen Möglichkeitsraum, der ein Ort zur Reflexion und zur Besinnung sein kann. So gibt es in der Zeit von Streiks Möglichkeiten, über Ängste, Wünsche und Träume zu reden, aber auch über weitere Strategien und Forderungen zu beraten. Dieses sind Räume von alternativer Wissensproduktion, die zur Bewusstseinsbildung beitragen. Sie produzieren eine Intimität und Solidarität, die die ganze Belegschaft zusammenschweißt. Im Moment des betrieblichen Stillstands herrscht viel Bewegung.

Der Streik im Besonderen

Im Streiken geht es allgemein darum, die Kette der Produktion zu unterbrechen. Im Streik des Sozialen Bereiches passiert auf oberflächlicher Ebene etwas Ähnliches. Im größeren Zusammenhang gedacht ist die Tragweite allerdings um einiges stärker. Die Arbeit im Sozialen Bereich ist, wie mit Stuart Hall gesagt werden kann, damit beschäftigt, die „sozialen Beziehungen der Produktion zu reproduzieren.“ Das heißt Gesellschaft in die Ausgangssituation zu bringen, die es überhaupt erst ermöglicht, Produktion unter kapitalistischen Maßstäben anzutreten: Kinder und alte Menschen zum Beispiel werden in jeweiligen Einrichtungen betreut, damit die Hauptarbeitskraft dem Arbeitsmarkt frei zur Verfügung steht. Ähnliche Mechanismen wirken bei dem Auftrag, Menschen arbeitsfähig zu machen. Ein nicht zu unterschlagender Aspekt, der hier nicht weiter verfolgt werden kann, ist die fundamentale Kritik an Sozialer Arbeit, dass sie potenzielle Krisenherde und aufbegehrende Gruppen in einem gewissen Verhältnis zur Gesellschaft hält, in staatlichem Auftrag Kritik kanalisiert, einhegt, überwacht und notwendigerweise auflöst.

Daraus wird ersichtlich, warum es kaum ein Interesse gibt, die sozialen Berufe aufzuwerten: Mehr Geld und weniger Arbeitszeit soll es nicht geben, da Soziale Arbeit keinen Gewinn erwirtschaftet und ihr mithin „lediglich“ die Rolle notwendiger Systemerhaltung zukommt. Genau diese Feststellung teilt der Vorsitzende der Sozialwirtschaft Österreich, Erich Fenninger, auf verwunderliche Weise. Befragt zur Kürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden äußerte er sich in der Tageszeitung Die Presse verständnislos: „Dass gerade unsere Branche, die weder maßgebliche technologische Produktionsfortschritte noch Gewinne zu verzeichnen hat und ohnehin schon unter einem Fachkräftemangel leidet, dafür [die Wochenzeitverkürzung] ausgesucht wurde, stößt bei uns auf großes Unverständnis.“

Hier treten die paradoxe Aufgabe Sozialer Arbeit und das fehlende Verständnis für ihren Wert offen zu Tage: Unser Bereich ist einer, der maßgeblich auf menschliche Arbeitskraft angewiesen bleibt und bei dem die Professionalität der Arbeitskraft ausschlaggebend für die Qualität der Arbeit sowie für das Wohlbefinden der Mandant_innen ist. Mit guter Sozialer Arbeit wird dabei nicht unmittelbar Gewinn erzielt. Sie profitiert nicht vom technologischen Fortschritt, sondern ist viel mehr Bedingung seiner Existenz.

Bei dem Vorwurf des ausbleibenden Gewinns trifft Fenninger den Nagel auf den Kopf und hier ist der Link zu der aufgemachten Theorie, es werde kein Gewinn erzielt, weil der Soziale Bereich, wie dargelegt, überhaupt erst die Grundbedingungen zum finanziellen Gewinn ermöglicht.

Was würde passieren, wenn einer großen Mehrheit der Eltern keine Childcare mehr zur Verfügung steht, weil die Angestellten die Arbeit niedergelegt haben? Die berufstätigen Eltern könnten ihren Job nicht ausführen. Dieses Beispiel kann man für alle Bereiche des Sozialen durchdenken. Die ganze Struktur des Funktionierens von Gesellschaft wäre auf den Kopf gestellt – „Sozial-/Care-Worker aufgewacht / und erkenne deine Macht! / Die ganze Welt steht still, / wenn unser starker Wille das will!“

Zwei Thesen

Traditionell ist der Soziale Bereich aus der reproduktiven Tätigkeit, die, wie Mariarosa Dalla Costa und Selma James in den 1970er Jahren nachgezeichnet haben, aus der Ideologie, dass Frauen* dieses Tätigkeitsfeld „naturgemäß“ auszuführen hätten, gewachsen. Das ist ein alter Trick des Patriarchats im Interesse der Unterordnung von Frauen* und zum Ziel der Schaffung einer unvergüteten Arbeitskraft. Die Naturalisierung und Essenzialisierung der Arbeit von Frauen* zieht sich bis heute fort und äußert sich in der Struktur des Sozialen Bereichs. Es sind überwiegend Frauen*, die die schlecht bezahlte reproduktive Arbeit ausführen. Im Moment des Streiks werden viele vorherrschende Stereotypen, wie Frauen* seien passiv, schwach, unmündig etc., über Bord geworfen. Historisch gewachsene Ungleichheiten, wie Pay Gap über Sexismus am Arbeitsplatz, werden im Streik angeprangert.

Die andere spannende Dimension ist die Diversität im Feld des Sozialen Bereichs. Nicht selten finden sich auf Grund der rassistischen Struktur Österreichs Menschen im Sozialen Bereich, bei denen die Ausbildung aus dem Ausland nicht voll oder gar nicht anerkannt wird. Grundsätzlich bietet der Sozial-Bereich ein Auffangbecken für viele Menschengruppen. Dieser Pool an reichen Erfahrungen und Backgrounds kommt dem Feld allgemein zugute und es bleibt eine wichtige Aufgabe, diese zu nutzen und für Mehrheiten zu mobilisieren.

Zusammengefasst: Aus feministisch-marxistischer Perspektive ist ein Streik die Unterbrechung der schlecht vergüteten, feminisierten, reproduktiven Arbeit. Aus feministisch-marxistischer-postkolonialer Perspektive ist ein Streik die Sichtbarmachung der unsichtbar gemachten Arbeitsverhältnisse und der ihr zu Grunde liegenden rassistischen Gesellschaftsstruktur. Zwei große Thesen, die an anderer Stelle weitergedacht werden müssen. Jetzt müssen vor allem neue Handlungsräume entstehen, die sich gegen Differenzen stellen und Allianzen ermöglichen, um eine breitere Protestbewegung zu mobilisieren.