Wie können wir Demokratie- und Medienkompetenz stärken?
Der Parlamentarismus ist in Österreich medial unterbelichtet. Im Zentrum von Politberichterstattung stehen vor allem einzelne Personen, witzige bis provokante Framings und Clickbait-Schlagzeilen. Es wird lieber über einen Tweet oder einen Facebook-Kommentar berichtet, als über sachpolitische Arbeit. Was zählt, sind Themen, die sich in drei Sätzen vermitteln lassen, am besten sollten sie noch für einen Skandal taugen, damit die Zugriffe und Werbeeinnahmen steigen. Die aktuelle Konstellation aus einer Regierung, die massiv in gesteuerte Kommunikation (Message-Control) investiert und einer geschwächten Opposition verschärft die Situation. Die SPÖ schafft es nicht als Opposition zu agieren und die Liste Pilz ist mit sich selbst beschäftigt. Mit dem Wegfallen der Grünen aus dem Parlament sind auch wichtige informelle Infoflüsse zwischen Politik und Medien trockengelegt worden. Immer öfter ist in den letzten Monaten zu beobachten, dass wichtige Themen medial durchrutschen. Ein prominentes Beispiel ist die Gesetzesnovelle zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die am 20.4. im Nationalrat beschlossen wurden. Allerdings wurde in letzter Minute ein Abänderungsantrag der Regierungsparteien eingebracht, der der DSGVO die Zähne zieht. Erst durch den Bericht eines deutschen Netzpolitik-Journalisten auf heise.de am 24.4. wurden österreichische Medien darauf aufmerksam.
Demokratie veröffentlichen
Dabei sind unglaublich viele Informationen zu den Vorgängen im Parlament öffentlich zugänglich. Die Nationalratsdebatten stehen als Videostream zur Verfügung, sämtliche Verhandlungsgegenstände sind auf www.parlament.gv.at online, die Parlamentskorrespondenz fasst alle Themen und Debatten übersichtlich zusammen. Das ist eine Menge an wertvollen Informationen, hier erwarte ich mir die nötigen journalistischen Zusammenfassungen und Analysen. Es fehlt bestimmt an personellen Ressourcen, aber auch an fundiertem Wissen, um die Geschäftsordnung des Parlaments, um Vorgänge schnell und kompetent entschlüsseln zu können. Politik-Berichterstattung muss weg vom Personenkult und vom Wettlauf mit der nächsten geilen Überschrift! Sich sachlich mit Parlament und Parlamentarismus zu beschäftigen ist eine Möglichkeit der Message-Control der Regierung entgegenzuwirken. Diese Perspektiven brauchen wir dringend, um die Demokratie zu stärken! Um das auch umzusetzen, braucht es weniger Kompetition, statt dessen mehr dialogischen Journalismus und kollaboratives Medienschaffen (siehe bspw. Journocode oder Dossier).
Der medialen Gereiztheit entkommen
Parallel stecken wir global in einer Umwälzung der Medienkonstellationen. Bernhard Pörksen spricht in seinem aktuellen Buch von einer „medialen Gereiztheit“: Hass, aufregende Fake-News und alles was Clicks bringt wird von Algorithmen nach oben gespült. Ein paar Monopolisten halten die wichtigsten Kommunikationsplattformen in der Hand. Qualitativer Journalismus ist chronisch unterfinanziert. Politik und Medien verlieren zunehmend Autorität und Reputation. Auf der mediana18 stellte Daniela Kraus die Frage: Welche Medienkompetenz braucht Demokratie? Kraus und Pörksen beantworten das ähnlich: Die wichtigste Medienkompetenz ist Kommunikation, jede_r soll gesellschaftliche Diskurse verstehen und gestalten können. In Zeiten, in denen wir alle nicht nur ein Empfangs-, sondern auch ein Sendegerät in der Tasche haben, in denen wir ProdUSERINNEN sind, muss das Lernen von Medienmündigkeit im Fokus stehen. Wir müssen hin zu einer „informed citizenship“. Demokratie braucht öffentliche mediale Räume an denen alle partizipieren können. Damit wir diese Räume produktiv gestalten können, benötigen wir mehr Souveränität über Filter bzw. Algorithmen und Medienbildung anstatt Bevormundung. Eine Antwort liefert Pörksens Utopie der redaktionellen Gesellschaft und ich denke, dazu kann eins sich einiges an praktischer Umsetzung bei Community Medien abschauen.
Links und Literatur:
www.parlament.gv.at
https://journocode.com/
https://www.dossier.at/
https://mediana.at/
Bernhard Pörksen: Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. Hanser, München 2018