In diesem Statement erläutert die Aktivistin Laia, warum sie für die Unabhängigkeit Kataloniens eintritt
Die aktuell zu Tage tretende Intensität des Katalonien-Konflikts mag Europa und den Rest der Welt vielleicht überrascht haben. Jedoch haben bereits 2012 mehr als eine Million Katalan_innen auf den Straßen Barcelonas demonstriert. Dieses Ereignis hat sich seither jedes Jahr am 11. September, dem sogenannten „Diada“, also dem katalanischen Nationalfeiertag, in unterschiedlicher Form wiederholt.
Der Anlass für diese erste Demonstration, die in gewisser Weise den Anfang der Eskalation des Konflikts bedeutete, war im Grunde genommen, dass Katalonien an eine Rechtsordnung gebunden ist, die nicht mehr den Bedürfnissen und Ansprüchen der Region entspricht. Diese Rechtsordnung kann nicht mehr als demokratisch legitimiert bezeichnet werden: Die Rede ist vom „Estatut“, zu deutsch: das katalanische Autonomiestatut.
Dieses Statut, das die Autonomie Kataloniens gesetzlich regelt, wurde zunächst von einer 80-prozentigen Mehrheit des katalanischen Parlaments angenommen und dann in einem Referendum von der katalanischen Bevölkerung akzeptiert. Allerdings wurde das Autonomiestatut anschließend abgeändert und mehrmals durch das spanische Parlament und das Verfassungsgericht eingeschränkt. Letztlich war es nur noch eine blasse Kopie von jenem Statut, dem die Katalan_innen davor zugestimmt hatten. Das sorgte natürlich für Ernüchterung.
Bis dato wurde versucht, das katalanische Projekt mit dem des spanischen Zentralstaates zu verknüpfen und gemeinsam eine sich von der Franco-Diktatur abgrenzende Demokratie zu errichten, in der sich beide Seiten entwickeln und vorankommen können.
Jedoch haben sich Spanien und Katalonien zunehmend voneinander entfernt. Dabei verfügt die katalanische Region nur über eingeschränkte Befugnisse, die mehr administrativer als politischer Natur sind. Katalonien leidet so unter einem zunehmenden Prozess der Zentralisierung, besonders seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise.
Wie Statistiken des Instituto Nacional de Estadística zeigen, kann sich eine Mehrheit der katalanischen Bevölkerung aktuell nicht mit dem spanischen Staat identifizieren. Sie fühlen sich entweder „nur katalanisch“ oder „mehr katalanisch als spanisch“. Nach dem Versuch einen besseren Finanzausgleich auszuhandeln und wiederholt Dialog zu fordern, ist es das wachsende Verlangen nach mehr Respekt und politischer Autonomie seitens der katalanischen Bevölkerung, das die Regionalregierung dazu bewogen hat, die erste Befragung 2014 und das Plebiszit 2016, in dem die Unabhängigkeitsparteien die Mehrheit der Sitze im Parlament errungen haben, und schließlich das Referendum für Selbstbestimmung 2017 durchzuführen. Tatsächlich hat die Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle eingenommen um die Parteien an ihr politisches Mandat von 2016 zu erinnern, das ein bindendes Unabhängigkeitsreferendum versprach. Der hauptsächliche Zweck des Referendums war die Sicherstellung des Respekts gegenüber dem Recht der freien Meinungsäußerung und der Selbstbestimmung durch demokratische und friedliche Methoden. Die Intention lag nicht darin, den Zentralstaat zu provozieren um ein Narrativ der Unterdrückung zu erzeugen.
Wir sind jetzt in einer Situation, in der ein latenter Konflikt zwischen Legitimität und Legalität besteht, wie es der Professor Nicolas Lavrat in seinem Bericht Catalonia’s Legitimate Right to Decide (2017), feststellt. Wir sehen auch einen Zentralstaat, der alle Formen des Dialogs ablehnt. Mariano Rajoy hat es selbst zu Carlos Puidgemont gesagt: „Es ist nicht so, dass ich nicht darüber reden könnte. Ich will es nicht.“ Diese Konfrontation hat ihren Höhepunkt am 1. Oktober erreicht, als die spanische Regierung mit unverhältnismäßiger Gewalt versuchte die Wahllokale zu schließen. Insgesamt wurden an diesem Tag 900 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert.
Seitens des Zentralstaates wurden keine politischen Maßnahmen gesetzt, sondern nur die Verfassungswidrigkeit des Referendums festgestellt, Versammlungen verboten und katalanische Politiker sowie führende Köpfe der Zivilgesellschaft wurden verhaftet. Ich sage nicht, dass die Unabhängigkeitserklärung, die am 27. Oktober vom Parlament angenommen wurde und in deren Folge die katalanische Regierung ins Exil gehen musste und Katalonien nun unter der direkten Herrschaft Spaniens steht, die beste aller Entscheidungen war. Sehr wohl war es aber die einzige Option, die es gab.
Die Chancen für eine neue katalanische Republik sind vielversprechend: Katalonien ist eine der reichsten Regionen Europas und kann ein transparentes Parlament und eine verantwortungsvolle Regierung vorweisen. Katalonien ist außerordentlich pro-europäisch und verfügt über eine hochentwickelte Ökonomie. Jedoch haben die vergangenen Entwicklungen viele Hoffnungen zerstört und ein Klima der Instabilität und Verzweiflung ausgelöst. Wir können nur hoffen, dass die Unabhängigkeitsparteien zusammen für ihr Anliegen kämpfen – wie es die Bevölkerung von ihnen verlangt.
Auch muss gehofft werden, dass die spanische Regierung die Ergebnisse der kommenden Wahlen am 21. Dezember respektiert, falls die Unabhängigkeitsparteien erneut eine Mehrheit erlangen. Das Risiko ist für beide Konfliktparteien hoch; das treffendste Bild für die jetzige Situation ist das zweier zusammenstoßender Züge. Vielleicht wird es Europa sein, das die Bruchstücke am Ende wieder zusammenfügen muss.
Übersetzung: Redaktion MALMOE