MALMOE

Nachrichten aus dem ­beschädigten Alltag (#5)

Hummel, Hummel  

Wer weiß was Deutschlands zweitbeliebteste Touri-Attraktion ist? Gar nicht erst versuchen zu raten, kommt man irgendwie nicht drauf: Es ist der Hamburger Hafen. Den kann, wer will, mit dem Schiffchen durchfahren und muss sich dann leider anhören, was die Hamburger-Hafen-Rundfahrt-Spaßvögel lustiges zu sagen haben. Die Fahrt führt durch riesige Warenwerte. Soundsogrößter Containerhafen, soundsoviele Container in der Minute. Hier wird also ordentlich umgeschlagen. Auffällig ist nun wie die Witze gehen. Der Reiseführer am Bordmikro ist Empiriker, er weiß, was sein Publikum hören will, deswegen ist seine Scherzparade so bezeichnend. Der ganze Hafen ist angeräumt mit teurem Zeug. Unter Folie liegen die hundert Meter langen Jachten der Superreichen. Dahinter ragen die Immobilienprojekte empor. In ihrem Zentrum die neue Elbphilharmonie, zärtlich genannt „Elphi“, das riesige Monster aus dem Korruptionsloch. Minutiös listet der Fremdenführer die jeweiligen Kosten auf. Sie sind gigantisch, in seiner Rede geht es nur mehr um Millionen und Milliarden. Das Publikum lauscht gebannt. Auch vergisst er nicht darauf hinzuweisen, wie „die da oben“ mit falschen Angaben arbeiten. So seien für das Neubaugebiet am Hafen auch erschwingliche Wohnungen, sogar sozialer Wohnbau, versprochen worden, was aber später die Stadtoberen vergessen hätten. Je länger der Knabe redet, desto unangenehmer wird es, denn seine Fähigkeit Missstände zu benennen und zu karikieren ist völlig haltungslos. Er wirkt wie ein kraftloses Fähnlein in der steifen Priese des globalisierten Kapitals. Im Grunde scheint er die Vorgehensweise des hemmungslosen Beutekapitalismus für ganz natürlich zu halten, der immer unsinnigere Kapitalberge in hässlichen Beton und Schiffsstahl verwandelt, während er peinlich darauf achtet allenfalls in der Karibik mikroskopische Steuern zu zahlen. Man könnte glauben an den Quais türme sich somit eine gottgegebene Ordnung auf. Und dieser Glaube steckt leider ganz tief im Spaßmacher drin. Er singt dem Publikum das neue Sehnsuchtslied der traurigen Herzen am Hamburger Hafen: „Ach wäre ich doch nicht auf dieser kleinen Kackschüssel unterwegs und müsste den Kasper runterreißen (bzw. sonstige Lohnarbeit verrichten), sondern wäre ich doch einer von denen. Dann würde ich mich um keinen Deut besser aufführen.“ Eine seltsame, verständnisvolle Solidarität mit den OligarchInnen. Man möchte über die Reling kotzen.

Schleich dich endlich mit ­deinem Drecks Handy!

Was den hier ablästernden Redakteur ja regelmäßig auf die Palme bringt, sind jene Leute, für die es bei Konzerten absoluten Vorrang hat, den Aufritt mit ihren High-End-Geräten zu erfassen und sich dabei gerne direkt vor den Füßen des wahren Musikliebhabers breit machen, sodass dieser infolge das Bühnengeschehen durch das vor ihm emporgehobene Display betrachten darf. Insofern konnte er Papst Franziskus ein klitzekleines bisschen verstehen, als er zuletzt öffentlich beklagte, viele Leute seien während seiner Messen mehr damit beschäftigt, Fotos von ihm, dem Pontifex zu machen, als seinen Worten (also eben denen des Herren) zu lauschen. Dies träfe nicht nur auf die BesucherInnen der Messe zu, sondern sogar auf Bischöfe und Priester! Aber naja, vielleicht dämmert es ja auch dem Papst so langsam, an welcher Form des Fetischs die Menschen heutzutage mehrheitlich hängen. (/Kulturpessimismus off)

Ich, Bachelor.

Robert Lewandowski, seines Zeichens Top-Torjäger des FC Bayern München (dessen Präsident wieder und immer noch der Wut­bürger par excellence und einst zu einer Haftstrafe verurteilte Steuerhinterzieher Uli Hoeneß ist), darf ab sofort den ehrenvollen Zusatz „BA“ auf sein Klingelschild picken. Der polnische Stürmer mit der Nummer 9 hat nämlich seine Bachelorarbeit abgegeben. Der Titel lautet: „RL9. Der Weg zum Ruhm“. Ist demnächst bestimmt auch in feinster grafischer Aufmachung und um den öden Methodenteil gekürzt in der Thalia-Auslage zu finden.

How low can you go

Über das neue Album von Morrissey soll an dieser Stelle kein allzu großes Wort verloren werden. Denn es ist letztlich irrelevant, ob es musikalisch etwas kann und wie sich die Songs anhören. Fakt ist: Steven Patrick Morrissey, einst Vorzeigedandy und working class kid fragilen Egos und stets verstrickt in Identitätsfindungsprozesse, trotzigen Mutes und anklagend gegen Thatcher und die Royals, hat seine Werdung zum rechtskonservativen Clown abgeschlossen.

The Smiths lösten sich 1987 auf und Morrissey präsentierte sich fortan solo mehr und mehr als pompöser Popprediger. Trotz aller Wertschätzung seiner Vita merkte man bald, dass man seinen „kontroversen“ Meinungen (Massentierhaltung=Holocaust) nicht allzu viel Achtung schenken sollte, wollte man die teilweise durchaus gelungenen Alben noch genießen können. Und irgendwie hatte man auch immer im Hinterkopf: Es ist Morrissey, ein Meister im Spiel mit Ambivalenzen. Bei Irish Blood, English Heart und anderen Ergüssen fragte man sich dann schon, was das noch werden sollte. Mit Low In High School (man braucht es sich wie gesagt nicht anhören) manifestiert Moz nun seine Rolle als verschwörerisch-regressiver Grantlhuber, für den man sich fremdschämt. Hoffentlich sind ihm eine paar FreundInnen geblieben, die ihn zur Vernunft bringen. Ansonsten fallen zur Causa Morrissey noch folgende Songtitel aus besseren Zeiten ein: I know it’s over. Bigmouth strikes again. Still Ill. Stop me if you think you’ve heard this one before. You just haven’t earned it yet, baby. Heaven knows I’m miserable now. That joke isn’t funny anymore. Unloveable.

– + – = + (minus plus minus ist plus)

Endlich! Die Lösung für das Wahldilemma, wo man ja doch nie weiß, was ankreuzen und immer nur das geringste Übel wählt um das Schlimmste zu verhindern. Jetzt kommt die Lösung, ausgerechnet von der Krisengebeutelten Schwammerl-Liste: nicht mehr wählen, was man will, sondern auch, mit einem Minus, was man gar nicht will. Und dann? Mit Spannung warte ich die Regierungsverhandlungen zwischen all jenen ab, die am wenigsten oft nicht gewollt werden. Und ich hoffe auf Außerkraftsetzung zumindest einer mathematischen Grundregel und ausnahmsweise nicht auf eine Umkehrung der Vorzeichen. Obwohl: g’hupft wie g’hatscht, wird wohl eine Partei das Rennen machen, sowohl bei den +en als auch bei dem -en.

House of Horrors

Das Dach des englischen Parlaments ist porös, an unzähligen Stellen regnet es rein. In jeder Ecke kann Feuer ausbrechen oder Unbedarfte der Schlag treffen, da elektrische Leitungen, die unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg installiert wurden, seit den 1970er Jahren hätten ausgetauscht werden müssen. Da auch die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Abwasserleitungen marode und brüchig sind, rechnen ExpertInnen jederzeit mit einem gigantischen Strom aus Exkrementen, der die unteren Stockwerke fluten könnte. Soviel einmal nur zum Zustand des Gebäudes. Da es ein halbes Jahr nach dem Austrittsantrags aus der EU, mittels Artikel 50, keinen erkennbaren Plan gibt, für den die Regierung ohnehin niemals eine parlamentarischen Mehrheiten finden würde (weshalb sie versucht jede Art Abstimmung zu umgehen) scheint das House of Parliament eine adäquate Metapher der Lage abzugeben: „Riesen Dachschaden, an jeder Ecke Sprengfallen und bald wird alles in Scheiße versinken“.