Poesiealbum Schwarz-Blau (#1): Einträge ins österreichische Stammbuch im Dezember 2017
Beine stillhalten und gewinnen
Wie gewinnt man eigentlich ohne Inhalte eine Wahl? Ganz einfach: Beine stillhalten und zuschauen, wie sich die Kontrahenten selbst über Bord werfen. Es ist schon beachtlich, was da im Wahlkampf eigentlich passiert ist. ÖVP und FPÖ geben im Vorab ihr match bekannt – „Wow, ihr seid rechts? Wir auch!“ – und vermeiden tunlichst Skandal und Brachialrhetorik, während die Grünen sich zum gefühlt zehnten Mal spalten und die Social-Media-Strategie der SPÖ rigoros nach hinten losgeht. Danach werden gediegen Anstand und Geschlossenheit in den eigenen Reihen belobhudelt, ein paar wenige, vorsichtige Spitzen gegen „die Silbersteins“ formuliert und schon steht man am politischen Steuerdeck.
Wer hat Angst vor Sebastian Kurz? Oder: Fragen an den neuen Stil
Sebastian Kurz ist jung, geil und gutaussehend. Das scheint für Millionen Österreicher_innen auszureichen, um ihm im Vorfeld den Pakt mit den Rechtsextremen zu verzeihen. Oder haben sie ihn nicht trotz, sondern gerade wegen dem frühen Bekenntnis zur schwarzblauen Kollaboration gewählt? Handelt es sich um die Renaissance des von Hannah Arendt beschriebenen Bündnisses zwischen Mob und Elite in aktualisierter Gestalt? Das affirmative Gebrüll der ärmsten Gesellschaftsteile bezüglich der Kürzung ihrer eigenen sozialstaatlichen Leistungen verweist darauf. Oder reicht vielleicht doch das jugendlich-spitzbübische Lächeln in einem freundlichen Gesicht für ein Kreuz des Vertrauens? Die gesamte Wahrheit über den „neuen Stil“ liegt wohl irgendwo zwischen Slimfit-Anzug und Sturmführer-Ledermantel begraben.
Befragen wir das Volk
Schwarz-Blau arbeitet, wie zahlreiche andere rechtsautoritäre Regierungen in der Welt, an einer Auflösung staatlicher Institutionen. Diese ist bereits recht fortgeschritten und gut „emotional“ verankert. Das irrige Grundgefühl des „für mich hat auch noch nie jemand was getan“ ist die geheime Losung der UnterstützerInnen von Kurz und Strache. Die dadurch beförderte Entsolidarisierung wird geschmiert mit Steuernachlässen, so titelte die Krone: „Durchgesickert: Uns sollen 5,2 Milliarden mehr bleiben“. Dass das Ziel des Bürokratieabbaus mit Demokratieabbau verbunden ist, ahnen die meisten. Nur, der „schlanke Staat“ wird dargestellt als ein Instrument jener „schweigenden Mehrheit“, die Widersprüche und Konflikte in der Gesellschaft unterdrückt sehen will und glaubt im „Wir“ von Schwarzblau und Boulevard enthalten zu sein. Auch der Ausbau der direkten Demokratie durch die FPÖ, wenn er denn kommt, muss so begriffen werden. Der autoritäre Grundkonsens im Land umfasst mindestens 60 oder 70 Prozent der Stimmen. Welche Abstimmung soll da, bei geschickt formulierter Frage, verloren gehen?
Setzen: 5
Schulen sind in der kapitalistischen Gesellschaft der ideologische Staatsapparat par excellence und demgemäß mit der Reproduktion der Produktionsverhältnisse beauftragt. In der Schule trennt man unter den Zehnjährigen die Arbeiterkinder von den Bürgerkindern und unter den Vierzehnjährigen versichert man sich ein zweites Mal der Entscheidung. Diesen Verhalt haben sämtliche Sozialwissenschaften bereits vor Jahrzehnten erkannt und zumindest Rezepturen zur Symptombekämpfung bereitgestellt. So weit so gut, bestünde da nicht die Schieflage, dass die Anführer der Eltern der Bürgerkinder die Regeln für die Schule schreiben. Und diese verstehen wahrlich keinen Spaß, wenn es um die Erbschaft im Allgemeinen und den Werdegang des Kindes im Besonderen geht.
In Militär und Schule bildet sich die Gesellschaft
Diese Erkenntnis des 19. Jahrhunderts ist so falsch nicht, weil sie würdigt, dass sich Menschen (insbes. Männer) aus unterschiedlichen Klassen hier gemeinsam einfanden. Heute sollen unter Schwarzblau Militär und Polizei als repressive „Problemlöser“ genutzt werden, als Orte gesellschaftlicher Diversität sind sie kaum tauglich.
Es gilt jedoch daran zu erinnern, dass es noch einen Ort gibt, an dem sich Gesellschaft bilden kann, weil alle zusammenkommen: Streik und Demonstration. Rassistische, chauvinistische und sexistische Vorurteile können hier – zumindest zeitweilig – überwunden werden, weil diejenigen, die sich unterhaken ein gemeinsames Ziel verfolgen und merken wie gut Solidarität tut. Eine breite soziale Bewegung in Austria wäre wohl der beste Schutz gegen die hetzerische Spaltung von oben.