MALMOE

Good gays, bad queers

Ungarischer LGBT-Aktivismus zwischen Assimilation und Ausgrenzung – und vor dem Hintergrund zunehmender Fremdenfeindlichkeit

Die Bedeutung der Achtung von Menschenrechten von LGBTIQs hat in den letzten Jahrzehnten in ganz Europa deutlich zugenommen, wenn auch in ungleichem Maße. Viele LGBTIQ Personen sind immer noch schwierigen Situationen ausgesetzt, insbesondere in den ehemals staatssozialistischen Ländern wie Ungarn.

Die Kämpfe der letzten Jahre gegen Homophobie, Transphobie und Heteronormativität in der ungarischen Gesellschaft, sind nicht einfach zu erfassen und die Erfolge ambivalent. Um sie zu verstehen braucht es eine Auseinandersetzung damit, wie Rassismus, Roma-phobie und die Stigmatisierung von Transgender Personen und Sexarbeiter_innen, in die Lobbyingarbeit für homonormative Rechte von Schwulen und Lesben, hineinwirken. Mit homonormativen Rechten meine ich zum Beispiel das Recht, eine kommerzielle Pride-Parade durchführen zu können oder die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partner_innenschaften.

Normale Ungar_innen

Im Zuge des zunehmenden Traditionalismus, Nationalismus und der Betonung „familiärer Werte“ durch die Regierung hat der ungarische Staat zwar marginalisierte Gruppen nicht erneut kriminalisiert, trägt jedoch zur Stigmatisierung und Diskriminierung nicht-normativer Sexualitäten, beispielsweise queerer Menschen, die von Armut betroffen sind, von Sexarbeiter_innen, HIV-Infizierten oder Drogenkonsument_innen bei. Indem der Staat einen offenen Dialog über diese Themen unterbindet und Probleme in die private Sphäre verdrängt, Leistungen in der staatlichen Gesundheitsversorgung kürzt und bislang versagt, gleichstellungspolitische Maßnahmen umzusetzen, hat er jene besonders prekären Gruppen weiter marginalisiert. Hier stellt sich nun die Frage, wie queerer Aktivismus sich gegen diese Ausgrenzungen positioniert.

Ein großer Teil ungarischer LGBTIQ-Aktivist_innen verfolgt aktuell die politische Strategie der völligen Anpassung, Lesben und Schwule möchten als ganz „normale Ungar_innen“ gesehen werden. Alle, die hier nicht ins Bild passen, werden damit aber weiter an den Rand gedrängt. Eine offene Diskussion und Selbstreflexion über die Marginalisierung und Stigmatisierung von diesen unsichtbar gemachten und ausgegrenzten Gruppen aus Teilen der LGBT Bewegung und der systematischen Gewalt, denen sie ausgesetzt sind, findet nicht statt.

Workshop Verbot auf Pride

Ein Beispiel: 2016 fanden im Rahmen der Budapest Pride mehr als 60 verschiedene Veranstaltungen statt. Dennoch wurde ein Workshop über die Rechte von LGBT Sexarbeiter_innen, der von der ungarischen Trans*rechte-Organisation Transvanilla gemeinsam mit SZEXE, einer Organisation, die sich für die Rechte von Sexarbeiter_innen in Ungarn einsetzt, vorgeschlagen wurde, abgelehnt. Nach dieser offiziellen Entscheidung der Budapest Pride, die Diskussion nicht stattfinden zu lassen, müssen wir uns kritisch fragen, wie das Sprechen über Gender, Sexualität, race und Klasse in der LGBTIQ Community so unerwünscht werden konnte, dass es möglich geworden ist, die Rechte von Sexarbeiter_innen in einer Woche voller Veranstaltungen zu den verschiedensten Themen während auszuklammern. An welchem Punkt wurden im Namen der vollständigen Anpassung gerade die am stärksten marginalisierten und stigmatisierten Gruppen aus dem Kampf für gleiche Rechte ausgeschlossen?

Wann wurde es für die homonormative Mittelschicht so wichtig, einmal im Jahr und in erster Linie für die straight allies ein Regenbogenevent abzuhalten, während dessen man unter corporate flags, die zum „Coming Out“ aufrufen und „Gleichberechtigung“ am Arbeitsplatz fordern, tanzt, aber von dem man wichtige Mitstreiter*innen wie Trans*personen und Sexarbeiter_innen ausschließt?

Good gays & bad queers

LGBTs in Ungarn wurden gespalten in zwei Gruppen – die good gays, die dem Bild des „Wir sind so wie ihr, wir wollen heiraten und Kinder adoptieren“ entsprechen (wollen) und Kapital haben, und die bad queers, die nicht monogam oder die in Armut leben, „nicht geoutete“ LGBTIQ Personen abseits der urbanen Zentren sind, Drogen konsumieren, Sexarbeit machen oder HIV-infiziert sind. Zur zweiten Gruppe gehören auch jene Menschen, die mehrfach von Diskriminierung betroffen sind, Roma oder Flüchtlinge zum Beispiel. Die Gründe für die Entsolidarisierung der Pride Organisator_innen mit diesen Gruppen basieren auf den gleichen Wurzeln des Hasses, die man auch im Diskurs der ungarischen Regierung findet, der aktiv und ganz explizit gegen Geflüchtete, die Roma Community, nicht-angepasste Frauen und Armut mobilisiert, während er gleichzeitig auch homophob ist. Durch ihre Anpassung haben es die good gays aber geschafft, sich aus der Angriffslinie zu nehmen.

Wie Ministerpräsident Viktor Orban in einem Presseevent am 17. Mai 2015, gefragt nach der Relevanz des Internationalen Tages gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie antwortete: „Ich bin der ungarischen homosexuellen Community dankbar, dass sie nicht jenes provozierende Verhalten zur Schau stellt, mit dem zahlreiche europäische Nationen zu kämpfen haben und was genau das Gegenteil von dem bewirkt, was sie damit bezwecken wollen.“

Bewegliche Zielscheiben

Seit dem Wahlerfolg der Regierung 2010 wird ein Familienbild propagiert, dass Familie als das Produkt der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau klar definiert; und im nationalen Lehrplan öffentlicher Schulen werden im Ethikunterricht Heterosexualität als Norm und traditionelle Geschlechterrollen vermittelt. Die ungarische Regierung versucht, nicht-normative sexuelle Minderheiten im Namen der „Toleranz“ zum Schweigen zu bringen, und viele LGBTIQ Aktivist_innen unterstützen implizit diesen massiven Backlash, in dem sie aus Angst vor dem Verlust weiterer Rechte die Dichotomie zwischen good gays/bad gays stützen.

Die Frage ist aber, was passiert, wenn die Angepassten begreifen, dass der Staat, wenn er damit fertig ist „externe“ Feind_innen wie Geflüchtete oder den „Westen“ anzugreifen, seine Attacken wieder auf die inneren Feind_innen, die „sexuell Anderen“ richtet. Ich weiß wie verwundbar die Community immer noch ist, auch wenn sie im Moment scheinbar Ruhe hat. Vor allem dann, wenn man sich auf dem, was man erreicht hat ausruht. LGBTIQs bleiben ein bewegliches Ziel für die Regierung, das beschossen wird, wenn es politisch sinnvoll erscheint.

Teuer erkaufter Pakt

Die Erlaubnis, einmal im Jahr unter starker Polizeiüberwachung eine Parade abhalten zu dürfen, und eine abgeschwächte Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partner_innenschaften, wurden teuer erkauft – im Austausch mit Stillschweigen und einem Ausgrenzen und Mundtot machen jener Teile der LGBTIQ Community, die nicht ins normative Bild passen wollen oder können. Diese dürfen weder ihre Wut noch ihren Stolz zeigen.

Fühlen sich Schwule und Lesben in dieser zwiespältigen „Ehe“ mit der Macht wirklich so wohl? Sind diese Rechte, die der Staat auf dem Papier gewährt und die er jederzeit wieder entziehen kann, diese Selbstzensur und die Entpolitisierung der Pride-Parade wert? Die Community kann keine Politik machen, wenn sie die Folgen scheut, Missstände laut auszusprechen und Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Schweigen ist im Kampf gegen Homophobie sicherlich nicht produktiv.

Durch den Ausschluss unangepasster Gruppen und indem der homonormativen Borniertheit nachgegeben wird, werden Schwule und Lesben langfristig weder stärker akzeptiert, noch werden sie aufhören die Zielscheibe von Attacken zu sein. Aber die fehlende Solidarität untereinander wird uns nachhaltig schwächen, hält unsere gesellschaftliche Isolation aufrecht und macht uns verwundbarer. Die Pride Parade wurde nicht ins Leben gerufen als Tanzparty unter der Regenbogenfahne, sondern entstand aus Wut und Trotz. Und wie können wir nicht wütend sein in Orbans Ungarn?

Übersetzung aus dem Englischen: ­Bernadette Schönangerer