Eine abenteuerliche Familiengeschichte im kleinkriminellen Milieu – spannend erzählt in Hannah Tintis neuem Roman.
Loos Leben erinnert ein bisschen an das von Winona Ryder in Meerjungfrauen küssen besser: Immer wenn irgendwas ist, packt ihr Vater Samuel alle sieben Sachen in ein Auto und sie ziehen weiter, um sich an einem anderen Ort, in einem anderen Motel vorübergehend niederzulassen. Nur dass hinter den ständigen Aufbrüchen von Samuel Hawley nicht Abenteuerlust und die Suche nach dem spaßigen Leben stehen, sondern handfeste Angst um eben dieses – und vor allem um die Unversehrtheit seiner Tochter.
Langsam führt Hannah Tinti in ihrem fast 600 Seiten umfassenden Coming-of-Age-Krimi in das Warum ein: Samuel Hawley wurde frühzeitig und – sagen wir’s mit Schani Breitwieser: „Aus Not.“ – zum Kleinkriminellen. Als sogenannter Rückholer nimmt er Aufträge von Großkriminellen an. Er sucht deren in Ungnade gefallene Vertragsbedienstete auf, um mit mehr oder weniger Gewalt unterschlagene Ware zurückzuholen. Das gelingt ihm, der von seiner Mutter das präzise Schießen gelernt hat (eine Kunst, die er an die Tochter weitergibt), beinahe immer, aber immer kriegt er dabei auch ein bis drei Kugeln ab. Der vernarbte Körper spricht Bände davon, und Loo macht sich auf die Suche nach den Erzählungen, die diese Bände füllen könnten.
Als Samuel Hawley sich sicher genug fühlt, um ein sesshaftes Leben zu versuchen, lässt er sich mit Loo in der Kleinstadt am Meer nieder, aus der Loos vor vielen Jahren verstorbene Mutter, kam – schon wieder so ein „Warum“. Während Samuel sein Leben in einigermaßen normale Bahnen zu lenken versucht, wird Loo erwachsen. Und sie wird, zum Stolz und Schrecken des Vaters, Samuel immer ähnlicher. Löst schwierige Fragen gern mit roher Gewalt, ist immer auf der Hut, und lernt – „Wenn du schon Autos stiehlst, dann wenigstens richtig“ – von ihrem Vater das nötige Handwerk. Aber sie verliebt sich auch in einen etwas zu feig geratenen Kabeljauschützer, verdient ihr erstes eigenes Geld in einem Fischrestaurant und macht überhaupt nicht mehr nur das, was ihr Vater für richtig hält.
Auf zwei zeitlichen Ebenen – der junge Samuel und die junge Loo –, die sich irgendwann in der Gegenwart treffen, erzählt Hannah Tinti diese ungewöhnliche Familiengeschichte: abenteuerlich und traurig, liebevoll und wild zugleich.
Hannah Tinti: Die zwölf Leben des Samuel Hawley. Kein & Aber 2017, 25,70 Euro, selbstverständlich erhältlich in der Buchhandlung ChickLit, Kleeblattgasse 7, 1010 Wien.