MALMOE

Ein Wunderwuzzi namens Automatisierung

Betrachtungen zur Automatisierung als Ausgangspunkt utopischen Denkens

Das technische Potenzial einer hochentwickelten kapitalistischen Produktionsweise bildet den Ausgangspunkt utopischen Denkens und zugleich den basalen Widerspruch zwischen theoretisch Möglichem und praktisch Wirklichem. Mechanisierung und Automatisierung reduzieren die Notwendigkeit körperlicher Lohnarbeit und damit auch „the need for stupefying work where it is no longer a real necessity“, wie Herbert Marcuse in One-Dimensional Man bemerkte. Doch wie haltbar ist das Argument, technische Möglichkeit führe zu mehr Emanzipation und Befreiung?

Automatisierung und das Ende der Lohnarbeit?

Was meint Automatisierung? In der produzierenden Industrie lässt sich darunter beispielsweise die Vernetzung von Informationstechnik und Produktionsmaschinen verstehen. Sogenannte „Manufacturing Execution Systems“ stellen die Informationsgrundlage dar, auf deren Basis Aktionen ausgeführt werden können. Ziel ist es, die Produktionskosten (Wartung und Material) zu senken sowie die Arbeitskraft effizienter zu nutzen. Nicht umsonst versteckt sich hinter Automatisierungsprojekten wie „Industrie 4.0“ oftmals die Hoffnung oder Überzeugung, neue Verwertungsmechanismen zu etablieren (Stephan Kaufmann (2016): Digitalisierung, Klassenkampf, Revolution). Argumentationen, die Automatisierung als Teil eines linken Projekts denken, basieren meistens auf den Thesen von Frey/Osborne (The Future of Employment) und Brynjolfsson/McAfee (The Second Machine Age). Grundtenor der Prognosen: Die digitale Vernetzung von Produktion und Logistik, cyber-physische Systeme und immer feinere Algorithmen entfachen ein tiefgreifendes Automatisierungspotenzial. Frey/Osborne sehen dabei 49 % der US-Beschäftigten in Berufen mit einem hohen Automatisierungspotenzial. Zwei Einwände: Erstens beachten die Autor_innen lediglich den möglichen Abbau dieser Arbeitsplätze, machen aber keine Angaben zum möglichen Zuwachs automatisierungs-induzierter Arbeitsplätze. Die Geschichte der Lohnarbeit zeigt, dass das Kapital im Zuge von Automatisierung auch immer menschliche Arbeitskraft benötigt, die diese begleiten. Zweitens treffen die Autor_innen keine Unterscheidung zwischen Tätigkeit und Beruf: Ist eine Tätigkeit automatisierbar, wird angenommen, dass das auch auf den Beruf zutreffe. Die Automatisierung einer Tätigkeit im Berufsalltag bedeutet jedoch nicht zwingend die Ersetzbarkeit des ganzen Berufs. Nimmt man feinere Verfahren, wie beispielsweise die Tätigkeitsstruktur auf individueller Ebene hinzu, so zeichnet sich ein weniger dramatisches Bild ab: Nun sind es in den USA nur mehr 9 % der Beschäftigten, die in Berufen mit einem hohen Automatisierungspotenzial arbeiten.

Auch für Österreich verhält es sich in dieser Größenordnung: Eine Studie des Institut für Höhere Studien nimmt für Österreich, unter Ausblendung möglicher Beschäftigungseffekte, eine Automatisierungswahrscheinlichkeit von knapp 9 % des Beschäftigtenvolumens an.

Automatisierung als Kontroll- und Produktivitätsinstrument

„Die Digitalisierung schafft die Arbeit nicht ab, sondern entleert sie“, so Matthias Martin Becker. Er ist Technikjournalist und beschäftigt sich in seinem Buch Automatisierung und Ausbeutung ausgehend von der „Labor Process Debate“ mit Digitalisierung und Automatisierung. Er vertritt darin die These, dass Automatisierung nicht ohne ihre vom Management intendierte Kontrolle gedacht werden kann. Die Standardisierung und Modularisierung von Arbeitsschritten hatte auch immer den Zweck, Arbeiter_innen von ihrem Arbeitswissen zu trennen und damit von einer machtvollen Ressource im Konflikt zwischen Kapital und Arbeit: „Warum spricht kaum jemand über die rasante Dequalifizierung?“, so Becker. „Warum erwähnt niemand, dass digitale Automatisierung unter Rationalisierungszwang vielfach zu minderwertigen Produkten und Dienstleistungen führt?“ Automatisierung kann demnach nicht ohne die dem Kapitalverhältnis inhärente Produktivitätsnotwendigkeit gedacht werden. „Die Geschichte der Automatisierung ist auch immer eine Abfolge immer neuer Versuche der Unternehmen sich aus der Abhängigkeit vom lebendigen Teil der Fabrik zu befreien“, kommentiert Becker zudem die Ambivalenz zwischen Automatisierung und Kontrolle. Der marxistische Arbeitssoziologe Harry Braverman betonte in einer zum Klassiker gewordenen Studie (Labor and Monopoly Capital: The Degradation of Work in the Twentieth Century) die Dequalifizierung durch Automatisierung. Auch wenn er sozialromantisch das verlorene Handwerkswissen betrauert (Braverman arbeitete selbst lange Zeit als Schmied), stellt er dennoch wichtige Fragen: Inwieweit dient Automatisierung nur dem Zweck Produktivität voranzutreiben? Wenn Automatisierungsmöglichkeiten mit Skaleneffekten (d.h. mit gleichbleibenden Kosten mehr zu produzieren) verknüpft sind, ist die Frage zu klären, in welchen Bereichen Automatisierung tatsächliche, vom Kapitalverhältnis unabhängige Fortschritte bringt. Was ist der gesellschaftliche Nutzen einer automatisierten Produktion, wenn diese gerade deshalb automatisiert ist, um in den Waren vergegenständlichte abstrakte Arbeit zu reduzieren? Wäre dann, ohne in vormoderne Romantik zu verfallen, nicht die handwerklich fundierte, mit Arbeitswissen in menschlicher Kooperation hergestellte, plan- und maßvolle Erzeugung von Gebrauchswerten ein ebenso erstrebenswertes Ideal?

Technikzentrismus als Einbahnstraße

Gerade wenn es um sensomotorische Aufgaben geht, sind Roboter hinten nach. Der Umstand, dass Maschinen zwar in der Lage sind, logische Aufgaben auf ganz hohem Niveau zu lösen, bei sensomotorischen Möglichkeiten aber stark eingeschränkt sind, wird als „Morovec‘s Paradox“ bezeichnet. Menschen lernen nun mal von Kindesbeinen an über sensomotorische Erfahrungen. Wahrnehmung ist ein komplexer Prozess von Aus- und Bewerten, Sortieren und Aussortieren, Konzentrieren und Ausblenden und nicht bloß die passive Aufnahme von Signalen. „Digitale Automatisierung funktioniert oftmals nur, weil es gerade Menschen sind, welche korrigierend und präzisierend eingreifen“, so Becker.

Automatisierung bedeutet eine Erhöhung der Arbeitsintensität, baut die Kontrolle des Managements über die Beschäftigten aus und erleichtert die Messung und Überwachung von Arbeitsleistung. Sie würde derzeit zu allererst Berufe treffen, die in Teilzeit gemacht werden, in Tätigkeiten mit niedrigen Qualifikationsanforderungen, von Menschen mit einem niedrigen Ausbildungsniveau in niedrigen Einkommensklassen. Automatisierung lediglich als Freiheitsprojekt zu denken erscheint deshalb ungeeignet, da es technikzentriert ist und die real-materiellen Auswirkungen, die für die Betroffenen konkret fühlbar sind, außer Acht lässt. Zudem ist Automatisierung immer auch in einen Herrschaftszusammenhang eingebettet und kann von seiner Funktionalität für das Kapitalverhältnis nicht so ohne weiteres gedanklich getrennt werden.

Als Fazit lässt sich deshalb ziehen: Denkt man Automatisierung als einen Weg in eine befreite Gesellschaft, so ist es wichtig vorher zu unterscheiden, wann sie nur Spiegelbild und Resultat einer die Menschen verdinglichenden Produktionsweise ist und wann tatsächlich ein potenzieller Moment gesellschaftlicher Emanzipation.

Matthias Martin Becker: Automatisierung und Ausbeutung. Was wird aus der Arbeit im digitalen Kapitalismus? Promedia, Wien 2017