MALMOE

Der Samen

Die fabelhafte Welt der ­Körpersäfte (#4)

Zunächst eine Klarstellung: hier wird es nicht um jenes Sperma gehen, das in Kondomen, Körperöffnungen und Bettdecken versickert; auch nicht um jenes, das in männlich-pubertären Initiationsritualen miteinander verglichen oder durch Onanie, so sagt es die katholische Kirche, „verschwendet“ wird. Nein, ich möchte heute über den Fortpflanzungs-Samen schreiben.

Meinen ersten Kontakt mit Samen hatte ich durch den Film „Kuck mal, wer da spricht“, wo hunderte Spermien mit lustig-plaudernden Männerstimmen um die Wette schwimmen um das empfängnisbereite weibliche Ei zu erreichen. Später lernte ich über die geschlechterpolitische Aufladung dieses weitverbreiteten Bildes: die Spermatozoa sind aktiv und eindringend wie der Mann, die Eizelle ist passiv und empfangend wie die Frau. Die Forschung hat mittlerweile – den aktuellen Gleichheitsvorstellungen entsprechend – erkannt, dass das sexistischer Blödsinn ist und beide Zellen einen ebenbürtigen Beitrag zur Empfängnis leisten. Auch im Mittelalter waren gleichberechtigtere Vorstellungen der Reproduktion verbreitet. Man dachte, es gäbe zwei verschiedene Samen: einen männlichen und einen weiblichen, und beide wären für die Zeugung notwendig. Das führte zu einer zentralen Rolle des weiblichen Orgasmus bei der Fortpflanzung – was die mittelalterlichen Frauen sicher zu schätzen wussten.

Mein zweiter Kontakt mit Sperma fand im Aufklärungsunterricht in der Schule statt bzw. über Bravo. Hier lernte ich, dass Samen gefährlich sein kann – ein kleiner Tropfen und schon bist du krank oder schwanger. Später, als Kinderwünsche im Freund_innenkreis um sich griffen, wurde klar, dass das Schwanger werden dann doch nicht so einfach geht. Samen ist nun nicht mehr ein Unheilbringer, sondern ein begehrtes Gut. Samenspender werden im Freundeskreis und im Internet gesucht, viel Geld wird in Samenbanken investiert. Durch die Kinderwunschindustrie wurde der Samen eine technische Größe, die verschiedene Mobilitätsraten und Grade der Aufbereitung haben kann.

Dank Pille und Reproduktionsmedizin wurde inzwischen Sex von Fortpflanzung und Fortpflanzung von Sex getrennt. Frauen brauchen heute zwar keinen Mann mehr, um ein Kind zu bekommen – aber sie brauchen noch immer Samen. Die wirklich selbstbestimmte Zukunft liegt in der Parthenogenese, auch Jungferngeburt genannt. Frauen können sich dann einfach entscheiden und alleine ein Kind zeugen. Vorgemacht hat es ein Zebrahai aus Townsville in Australien. Nachdem Leonie von ihrem Partner getrennt wurde, schlug diese dem Zoo ein Schnippchen und stellte um auf asexuelle Reproduktion. Wer braucht schon Samen? Auch andere Haie, Schlangen oder Truthähne haben gelegentlich schon diesen evolutionären Sprung geschafft. Wann wird der Mensch soweit sein?