Über Queer-crip-Zukünfte und transformative kulturelle Praxen
„Vom normgesellschaftlichen System lassen wir uns jetzt nichts mehr sagen!“ schreibt die Queer-Disability-Aktivistin Elisabeth Magdlener im Crip Magazine #2, welches im Frühjahr in Innsbruck erschienen und ab Herbst in Wien, andernorts und online erhältlich ist. Das Crip Magazine bezieht sich auf historische Kämpfe der Behindertenrechtsbewegungen und ruft diese ins Gedächtnis. Das passiert auf vielfältige Weise mit Texten – im Gespräch mit Petra Fuchs geht es z. B. um die Geschichte zweier Pionierinnen im Kampf gegen die Sonderschule –, oder auf künstlerische Weise mittels Überarbeitungen von historischen Materialien (wie z. B. der Zeitschriften Der Krüppel, Neues aus Krankheit und der Krüppelzeitung).
Das Magazin versammelt künstlerische Perspektiven und visuellen Aktivismus. Unter den Beiträgen finden sich u. a. die utopischen Kosmologien des bereits verstorbenen Gugging-Künstlers Franz Artenjak (RIP), die Lesetests der seh-beeinträchtigten Malerin Brooke Lanier, oder das Zeitgedicht des in der Caritas-Werkstätte tätigen Herbert Schinko.
„Dehn-Zeit für das Ich im Wir“ möchte Doris Arztmann entwickeln und thematisiert die Frage nach politischen Allianzen in vom normativen Uni-Exzellenzsystem geprägten Zeitregimen. Denn Zeit „ist eine politisch umkämpfte Kategorie. In ihr zeigen sich die Formen ungleicher Verhältnisse. Dabei wirken die zeitlichen Ordnungen in Gesellschaften, wie Elizabeth Freeman schreibt, besonders für jene ,natürlich‘, die von ihr profitieren und privilegiert werden. (…) Sichtbar und spürbar wird das in der ,richtigen‘ Dauer einer Tätigkeit, in der guten zeitlichen Abfolge von den ,richtigen‘ Ereignissen in unseren Leben. Aber auch in Vorstellungen zu einer ,richtigen Zukunft‘ oder in der Erinnerung an die ,richtige‘ Vergangenheit.“ Dementsprechend ginge es um ein Entwerfen von queer-crip Zukünftigkeiten. Gemeint ist dabei alles andere als eine „Norm-Zukunft“ (Elisabeth Magdlener).
Diese Fragen thematisierte auch die Crip Magazine Convention, die Anfang Juni in Innsbruck stattfand. Durch die zweitägige Veranstaltung im Tiroler Kunstpavillon gelang erstmalig eine Vernetzung der deutschsprachigen Disability-/Crip-Kunst- und Kulturszene und ihrer Akteur_innen aus verschiedensten Kontexten und Generationen. Einer Lesung der „verkrüppelten Kurztexte“ von Philmarie (Theater der Aggressionen) folgten Beiträge von Iris Borovčnik, Jonah Garde, Simon Harder oder Felix Balzer, um nur einige zu nennen. Sabian Baumann sprach beispielsweise über das Projekt An Unhappy Archive, welches die gesellschaftliche Norm des Glücklichsein hinterfragt. Sascha Plangger und Volker Schönwiese berichteten von den Anfängen der Behindertenrechtsbewegung in Österreich. Aktivismus-Erfahrungen und widerständige Repräsentationspraktiken lassen sich im Onlinearchiv bidok und durch das Forschungsprojekt „Geschichte der Behindertenbewegung Österreich“ nachzeichnen, durch das Zeitzeug_innen-Interviews, Flyer und Fotos für eine breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
In einem anschließenden Vernetzungstreffen wurden Möglichkeiten ausgelotet, das Crip Magazine als künstlerische Plattform weiterzuführen aber auch grundlegende Themen diskutiert. Besonders bemerkenswert und richtungsweisend: die Bildung einer Allianz von Akteur_innen der Behindertenbewegung und der queer- bzw. v. a. transaktivistischen Szene. Für dieses Unterfangen erwies sich der Begriff „Crip“ auf jeden Fall schon mal nützlich. Der Ausgang dieses Prozesses sowie das Weiterbestehen des Crip Magazine bleibt zwar unklar, nichtsdestotrotz erscheinen solche Projekte als Beispiele explodierender kultureller Praxen für Crip-positive Zukünfe notwendiger denn je.