MALMOE

Urin

Die fabelhafte Welt der ­Körpersäfte (#3)

Urin ist eine feministisch heiß umkämpfte Körperflüssigkeit, besser gesagt, ist es das Wie und Wo des Harnlassens. Eigentlich ist die Diskussion um die männliche Haltung beim Pinkeln schon etwas abgedroschen. „Stand up for your rights, sit down for your piss“ – ein Klassiker auf jedem linken Klo. Aber jeden Sommer aufs Neue wird eine daran erinnert, dass die Mühlen der Veränderung langsam mahlen. Wenn die Kleidung kürzer wird und die Badeaufenthalte häufiger, kommt das Outdoor-Pinkeln wieder öfter ins Blickfeld. Besonders auffällig und etwas überraschend fand ich heuer die vielen linken Kinder, die offenbar ganz geschlechtsspezifisch erzogen werden, beim Pinkeln jeweils zu hockerln bzw. zu stehen. Fängt eine dann Diskussionen an, dann bekommt sie recht biologische Erklärungen über die „natürlichere“, „einfachere“ Haltung. Aber einfach ist eigentlich nichts am stehenden Urinieren. Das weiß jede, die einmal einem Kleinkind bei den täglichen Geschäften geholfen hat. Egal welche Haltung – der Urin geht am liebsten auf die heruntergelassene Hose, die Schuhe und hoffentlich nur auf die Hände der helfenden Person. Sobald die kleinen Buben dann etwas älter werden, können sie aber auf ganz wundersame Weise auf einmal besser stehend pinkeln und sie tun es dann gerne überall, wo es ihnen gerade passt. Scham gibt‘s da nicht. Nicht dass etwas so Selbstverständliches beschämt werden soll, aber muss mein schöner Meeresblick mit einem kleinen Penis aufgebessert werden? Ich finde nicht.

Da geht es nicht nur darum, dass die Körperausscheidungen etwas weiter weg vom Lagerplatz verrichtet werden könnten und sollten. Es geht vor allem um die Vermittlung von Männlichkeit und Weiblichkeit, die damit einhergeht. Und es passiert viel maskulinistische Scheiße bei der Erziehung zum stehenden Urinieren. Wenn die gemeinsame Männlichkeit und Überlegenheit von Vater und Sohn bei einem so banalen Akt wie dem nebeneinander Pinkeln hergestellt werden muss, wird deutlich, wie viel Ideologie das Patriarchat braucht, um aufrechterhalten zu werden. Warum werden Mädchen auch von Feminist*innen nicht dazu erzogen, im Stehen zu pissen? Das wäre ohne weiteres möglich – zwei Finger an die richtige Stelle und ab geht‘s. Aber ist es wirklich den Aufwand wert? Ja, aber nur dann, wenn damit das Patriarchat verhandelt wird. Sonst möchte eine doch nichts anderes, als dass die lieben Kleinen selbstständig aufs Klo gehen können, ohne sich voll zu machen.

Anstatt das im Stehen Urinieren als Zeichen der Männlichkeit zu feiern, sollte Urin an sich ob seiner wunderbaren Eigenschaften zelebriert werden. Dank des hohen Ammoniakgehalts im abgestandenen Harn kann zum Beispiel schmutzige Wäsche weiß gewaschen werden. Das wussten schon die alten Römer – und die alten Römer_innen. Im antiken Rom gab es Pissoir-Amphoren neben der Wäscherei, um Pisse zu sammeln. Der Ausspruch „Geld stinkt nicht“ stammt daher, dass ein Kaiser auf die Idee kam, Steuern auf das Geschäft mit dem Urin zu erheben. Wie das praktisch abgelaufen ist, wer aller in diesen Amphoren sein/ihr Geschäft verrichtete, wer stand und wer hockte – all das ist leider bislang nicht erforscht.