MALMOE

Übel und Gefährlich

Anmerkungen zu Tradition und Gegenwart der SPÖ

„Ich hätte bestimmt nicht SPD gewählt. Die Niedertracht dieser Partei macht sie auch zum ,geringeren Übel‘ untauglich. Sie wagt es, noch den Namen zu führen, den sie einmal hatte, als Karl und Rosa ihr angehörten. Und sie wird den kommenden Faschismus genau so wenig verhindern wie die CDU.“

Diese Worte schrieb Herbert Marcuse im September 1965 an Theodor W. Adorno anlässlich der Bundestagswahl in der BRD. Die Wahl gewann die CDU, der alte und neue Bundeskanzler hieß somit Ludwig Erhard – ein Vertreter des Ordoliberalismus, einer aus nationalkonservativen Kreisen stammenden Frühform des Neoliberalismus –, der einige Jahre zuvor die Rückgabe der „arisierten“ Rosenthal AG an ihre ursprünglichen Eigentümer zu vereiteln versuchte. Für die SPD war Willy Brandt angetreten, dessen Partei 1959 im Godesberger Programm den längt vollzogenen Schritt von der Arbeiter_innenpartei zur Volkspartei, die Kapitalismus und Krieg zur Staatsräson zählt, offiziell niederschrieb.

100 Jahre Agonie

Die Geschichte der Sozialdemokratie wäre fast ganz nett anzusehen, wäre sie nicht zutiefst geprägt von einem Jahrhundert voll Regression, Korrumpierung und politischem Versagen. Und mögen aus der Geschichte der deutschen SPD heutzutage einige schändliche Anekdoten auch mehr Berühmtheit erlangt haben, so hat sich das österreichische Pendant in der Vergangenheit mindestens ebenso oft gründlichst delegitimiert. Eine skizzenhafte Aufzählung: Die sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) unter Führung des antisemitischen Hetzers Karl Renner bejubelte die Kriegspolitik Österreich-Ungarns und stürzte sich für die Monarchie in den ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg trat man in völkischer Tradition für den Anschluss an Deutschland ein. Gegen den Aufstieg des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus hatte die SDAP keine politischen Strategien. Den nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Opfermythos trug man jetzt unter dem Namen SPÖ bereitwillig mit, die Aufarbeitung der Vergangenheit spielte hingegen keine ernstzunehmende Rolle. 1970 beruhte die SPÖ-Minderheitsregierung auf der Unterstützung der mit Altnazis durchsetzten FPÖ. 1983 – 1987 koalierte man schließlich mit den Freiheitlichen. Gestandene Nazis hatte man aber auch in den eigenen Reihen vorzuweisen, wie zum Beispiel den NS-„Euthanasie“-Arzt Heinrich Gross, der erst 1981 aus der Partei ausgeschlossen wurde – ihm und vielen anderen NS-Täter_innen wurden mithilfe der SPÖ-Akademiker_innenorganisation BSA nach 1945 neue Karrierewege bereitet. Die seit jeher von der SPÖ mitgetragene Sozialpartnerschaft und der stetige Widerstand gegen alle Bewegungen und Akteur_innen, die für mehr eintraten als die sozialdemokratische Interessen und Klüngel, seien hier ebenfalls am Rande erwähnt.

Allianz der Heimatschützer

Doch tun wir es der Sozialdemokratie einfach mal gleich: Lassen wir Geschichte Geschichte sein. Richten wir unseren Blick stattdessen auf das Hier und Jetzt. Und ist dieser Blick einigermaßen nüchtern, so springt es getrost ins Auge: Die SPÖ erweist sich als gleichermaßen unwählbar wie die ÖVP und ja, Schnittmengen zur FPÖ treten immer deutlicher zu Tage. Um dies unter Beweis zu stellen, legte sich die SPÖ zuletzt ordentlich ins Zeug – allen voran die „Genossen“ Hans Peter Doskozil, der seinen Job als Verteidigungsminister offensichtlich zum Heimatschutzminister umdefiniert hat, und dessen Protegé Hans Niessl, der im Burgenland seit 2015 bekanntlich mit der FPÖ koaliert und aus dessen Haltung man deswegen keinen Hehl machen muss: für ihn – und natürlich auch für Doskozil – kann eine „sozialdemokratische“ Agenda ausschließlich über die nationale Karte gespielt werden. Relevantestes Profilierungsfeld der beiden ist entsprechend das Thema Migration, bei dem sie in den Reihen der SPÖ viele Freund_innen finden (beispielsweise Ex-Klubobmann Josef Cap oder einige Wiener Stadträt_innen) und so den Parteikurs vorgeben: Schließung der Fluchtrouten, Vorverlagerung der Grenzen, Beschränkung des Asylrechts, Stimmungsmache gegen „Integrationsverweigerer_innen“, etc.pp. – eben all das, was der nationalistische Law-and-Order-Ideenkasten hergibt. Inhaltlich ist man auf einer Linie mit ÖVP und FPÖ, nur meist werden die Parolen mit mehr Beherrschung formuliert. Und doch hört man immer wieder Phrasen zur Migrations- und Asylpolitik bei denen man nicht genau weiß, aus welcher rechten Ecke sie stammen. Von Kurz oder Sobotka? Von Strache oder Hofer? Von Doskozil oder Niessl? Ein Beispiel: „Ich werde nicht zulassen, dass sich eine Situation wie 2015 wiederholt, als Flüchtlinge unkontrolliert die Grenzen passierten.“

Der Satz stammt jedoch von keinem der sechs Kandidaten. Denn es gibt da noch einen, der sich nicht den Schneid so einfach abkaufen lassen möchte: Bundeskanzler Christian Kern. Kern hat schlichtweg weder das Rückgrat, noch die passenden Konzepte, um den braunen Sumpf trocken zu legen. Ganz der Pragmatiker gibt er sich alle Mühe, beim Kampf um die Vorherrschaft im rechtsautoritären Staatsprojekt nicht ins Hintertreffen zu geraten. Einer der Höhepunkte seines Rechtsdralls war die Kampagne #kernunterwegs. Dabei tourte Kern in Begleitung eines Kamerateams an die Stammtische der Provinz, um zu zeigen, dass er sich um die Probleme der „kleinen Leute“ sorge. Folge eins bestand ausschließlich aus der Verbreitung dumpfer Ressentiments im Stile von „Ich bin kein Rassist, aber…“ durch die Stammtisch-Brüder und -Schwestern, auf die Kern zum Beispiel so reagierte: „Da habe ich eine gute Nachricht … In Österreich gibt es ein Burka- und Niqab-Verbot. Das tritt jetzt demnächst in Kraft und wird auch durchgezogen!“ Na dann ist ja alles super.

Kanzler Kern ist mittendrin, statt nur dabei

Bemerkenswert sind auch immer wieder die Positionspapiere der Kern-SPÖ. Bei dem von Kern durchgepeitschten Plan A zeigte sich, dass der Kanzler zum einstigen sozialdemokratischen Versprechen, den Kapitalismus einzuhegen, – wenig überraschend – höchstens noch pro forma steht. Vielmehr geht es ihm um neoliberale Neue-Mitte-Prinzipien. So vermittelt der Plan A vor allem, dass Österreich nicht wettbewerbsfähig sei, wenn die Bürger_innen nicht unbedingt leistungsbereit seien und die Unternehmen auch weiterhin großzügig behandelt würden – die Stärkung des nationalen Wettbewerbsstaats hat absoluten Vorrang. Gleichzeitig verschweigt der Plan A jegliche politische Krise und die rechtspopulistischen und rechtsextremen Tendenzen.

Der im Juni publik gemachte Kriterienkatalog für künftige Koalitionen, auch „Wertekompass“ genannt, wurde dann weithin als Einladung an die FPÖ gewertet. Nina Andree von der Sozialistischen Jugend Oberösterreich analysierte am Mosaik-Blog: „Kern ging bei der Präsentation so weit, die FPÖ aufzufordern, nun das Spielfeld zu betreten und zu zeigen, ob sie bereit ist in diesem Rahmen ,mitzuspielen‘. Die FPÖ wird mit dem Kriterienkatalog zur normalen Partei erklärt, das notwendige klare ,Nein‘ zur extremen Rechten fehlt.“ Der Abschnitt zum vermeintlich antifaschistischen Konsens der SPÖ sei bewusst schwammig formuliert, sodass ein potentielles Bündnis mit der FPÖ auf Bundesebene damit vereinbar sei.

Generell orientiert sich die Grundsatzfrage nach der Koalitionsfähigkeit der FPÖ nicht an „deren rechtsextremem Charakter“, dafür aber an „vermeintlich fehlender ,Handschlagqualität‘ oder ,Lösungsorientierung‘“, wie Bernhard Weidinger von der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit auf derstandard.at kommentierte. Sprich: Sobald die FPÖ „regierungsfähig“ im Sinne der SPÖ ist, steht einer Koalition nichts im Wege. Sollte Kern in dieser Frage, wie von ihm angedeutet, doch noch umfallen, stünde Doskozil bereit, das rot-blaue Bündnis zu schmieden und die Nachfolgepartei der österreichischen NSDAP endgültig zu legitimieren und zu popularisieren.

So bleibt zu konstatieren: Die SPÖ ist kein „geringeres Übel“ und sie taugt nicht im Geringsten als „Garant“ gegen die Faschisierung. Im Gegenteil: Im entscheidenden Moment offenbart sie ihre eigentliche Couleur, die auf einer Farbpalette mit „rostig“ bezeichnet werden würde – ein schäbiges braun mit sprödem Rotschimmer.