Ein Schiff zu besteigen erforderte die längste Zeit einen Wagemut, der an Wahnsinn grenzte. Die Schiffe boten nur unzureichenden Schutz gegen die Gefahren der See und der Mut der Seeleute wurde mittels legendärer Figuren zu Literatur verarbeitet. So beispielsweise bei Sindbad dem Seefahrer. Die persisch-arabische Schriftensammlung Tausendundeine Nacht, die von seinen Reisen berichtet, ist etwa so alt wie der Koran. Ihre tiefere Bedeutung liegt in der Übermittlung einer Art „Contrat Social“, der von einer liebenswürdigen Humanität zeugt.
Sindbad passiert immer wieder das gleiche Missgeschick, er wird schiffbrüchig. Ein höchst realistisches Motiv angesichts der damaligen Zustände. Sindbad verflucht sich in der Not für seine „Gier“, immer wieder ein Schiff zu besteigen. Aber er weiß genau, märchenhaften Lohn kann es erst nach der Überwindung märchenhafter Gefahren geben. Die AutorInnen der Schriftensammlung überformen die Gefahren der Seefahrt ins Phantastische: Riesen, Wale so groß wie Inseln, gigantische Adler und dergleichen. Das Schöne an diesen Märchen: Auf die gemeinsame Erfahrung der Bedrohung reagieren die Seeleute mit vorbehaltloser Solidarität untereinander. Und genau darin haben die Erzählungen ihre Pointe, in der Bestätigung der Rechtssicherheit. Sobald der glücklich aus den Fängen der Zauberwesen errettete Sindbad von den anderen Menschen erkannt wird, werden ihm seine verlorenen Schätze ausgehändigt und sein alter Status wieder hergestellt.
Heute bräuchten wir keine phantastischen Erzählungen mehr, schließlich verfügen wir über allgemein anerkannte Gesetze. So wurde im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen festgeschrieben, dass die Rettung Schiffbrüchiger oberste Priorität habe. Die in Seenot geratenen Menschen müssten folglich um jeden Preis gerettet werden. Die in Tausendundeiner Nacht beschworene Rechtssicherheit halten allerdings heutige Regierende wie Thomas de Maizière und Sebastian Kurz für belanglose Märchen. In ihren schwarzen Seelen hat alles einen Preis und da Rettungseinsätze und Flüchtlingsversorgung teuer sind, soll das Seerecht jetzt aufgelöst werden. De Maizière sagte explizit, er wolle „nicht jeden retten“ und Kurz gedenkt mittels effizienter Flüchtlingsabwehr österreichischer Bundeskanzler zu werden. Er will Schiffbrüchige völkerrechtswidrig auf Internierungsinseln verbringen, sofern das Geld für den „Küstenschutz“ ausreicht, ansonsten nimmt er das Ertrinken im Mittelmeer implizit in Kauf (die vergleichsweise sicherere „Balkanroute“ half er ja zu verbarrikadieren). Die AutorInnen der Abenteuer des Sindbad hätten sich über diese Unmenschlichkeit sehr wundern müssen. Sie ist aber auch unbegreiflich. Zum Zeitpunkt, als durch Radarortung und Positionsbestimmung mittels Satelliten jedes Menschenleben auf See gerettet werden könnte und somit das Meer seiner märchenhaften Gefahren beraubt wurde, soll plötzlich der Preis dafür zu hoch sein.