MALMOE

Österreicherin im Haushalt

Koordinaten #3

Die vierteilige Serie Koordinaten stellt Positionen unterschiedlicher Exilerfahrungen aus der Zeit von 1938 bis 1940, also in direkter Folge an den „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland, anhand literarischer Texte vor und kontrastiert sie mit aktuellen Reflexionen und Einschätzungen. Die hier erstmals einem breiten Publikum zugänglich gemachten Quellen stammen aus der Österreichischen Exilbibliothek im Literaturhaus Wien. Die in Sprache und Gestus oftmals sehr deutlich in ihrem Entstehungszeitraum verankerten Beispiele verhandeln auf literarischem Wege Fragen und Problematiken, die zu reflektieren ein Anstoß ist, den die Reihe geben will. Unabhängig davon ob Kurzerzählung, Tagebucheintrag oder Erfahrungsbericht – die Textserie bietet Einstiege in Sammlungen, die entdeckt werden wollen. Nicht zuletzt deshalb versteht sich ­Koordinaten als Einladung zu Auseinandersetzung, Diskurs und vor allem auch: Lektüre.

Kuratorische Betreuung: Veronika ­Zwerger (Österreichische Exilbibliothek/Literaturhaus Wien) & Thomas Ballhausen (Presse­dokumentation/Literaturhaus Wien)

Hanna Kuh: Österreicherin im Haushalt. The Periodical of Austrian Domestics (Auszüge 1939 – 1940)

Probleme der Emigrantinnen im Krieg …

Die überwältigende Mehrheit der Flüchtlingsfrauen ist mit einem Domestic Permit nach England gekommen und hat hier sicher eine schwere und ungewohnte Arbeit vorgefunden, da sie zu Hause zum Großteil in anderen Berufen arbeiteten. Dazu kam noch, dass die englische Art, den Haushalt zu führen, diesen Frauen unbekannt war und zusätzliche Schwierigkeiten bereitete, dass sie sehr unter der Trennung von ihren Familien litten und bei mangelnder Sprachkenntnis auch gesellschaftlich vom normalen Leben vollkommen abgeschnitten waren. Die verschiedensten Versuche, ihre Position zu verändern und Arbeitsmöglichkeiten im eigenen Beruf zu finden, scheiterten daran, dass es auch, wenn man eine entsprechende Arbeit gefunden hätte, nahezu unmöglich war, das Domestic Permit zu ändern. Diese an und für sich sehr schwierige Lage der Flüchtlingsfrauen verschärfte sich beträchtlich nach Ausbruch des Krieges. Für sie waren die ersten Folgen des Kriegsausbruchs die bekannten Massenentlassungen der Hausgehilfinnen und auch bei den im Trainee Arbeitenden, die über Nacht tausende von Frauen arbeitslos und in den meisten Fällen auch obdachlos machten. Dazu kam, dass besonders in der Provinz bei der Durchführung der Tribunaltätigkeit verhältnismäßig viele als Domestics arbeitende Frauen das sogenannte „B“-Certificate erhielten. Dieses „B“-Certificate mit seinen Beschränkungen erschwerte aufs Äußerste durch die Behinderung der Freizügigkeit die Suche nach einem neuen Posten. Konnte aber ein solcher gefunden werden, so konnten sie nicht, wie die Frauen mit „C“-Certificate, einfach eine Bewilligung der Labour Exchange einholen, sondern mussten sich mit einem Gesuch an das Home Office wenden, wodurch oft wieder der Posten verloren ging, da die Hausfrau nicht bereit war, auf die Erledigung eines Gesuchs zu warten. (…) Auf der anderen Seite gibt es wohl durch die neue Arbeitsverordnung und durch eine bestimmte Besserung auf dem Arbeitsmarkt in der letzten Zeit einige Erleichterungen und auch Möglichkeiten, in anderen Berufen als im Haushalt unterzukommen. Doch sind auch hier die Lebensbedingungen deshalb für Flüchtlingsfrauen etwas schwieriger, weil sie, die nicht wie die englische Frau im Familienkreis leben, mit dem wenigen, was sie verdienen, nur schwer ihr Auskommen finden können. (…) Alle diese hier aufgezählten Fragen zeigen, dass es unsere Pflicht ist, von unserer Seite aus alles zu unternehmen, um den Frauen in ihrer Lage Hilfe zu leisten und ihre Interessen bei den Behörden und bei den Flüchtlingskommissionen zu vertreten und zu trachten, mit Hilfe unserer englischen Freunde den verschiedenen vorhandenen und drohenden Gefahren entgegenzutreten.
F. C. West (5. Heft, Apr. 1940, S. 2)

Das erste Frühstück

„You have to get up at 7 o’clock in the morning. I’ll wait for you in the kitchen“. Das waren die letzten Worte unserer Lady. Todmüde von der langen Reise fielen wir in unsere Betten. Halb schlafend taumelte ich noch aus meinem Bett, um aus einem Koffer unseren Wecker herauszufischen. Ohne diesen würde unser Start gar zu schlecht beginnen. Pünktlich um 7 Uhr waren wir in der Küche. „Who is the cook and who is the parlour-maid?“, fragte die Lady. Auf alle Fälle schob ich Nelly vor. „This is the cook.“ Vor Jahren war einmal unser Mädchen krank und sie brachte eine annehmbare Eierspeise zustande. Tapfer ertrug ich Nellys niederschmetternden Blick. Inzwischen zog die Lady irgendeinen Eisenstab aus dem Garofen, rieb ihn irgendwo, er entzündete sich, das war der Gasanzünder. Sie zog aus dem oberen Teil des Ofens ein Drahtgestell hervor, das war der Toaströster. Sie legte ein Packerl Fleisch auf den Tisch, das war Bacon. „For breakfast is bacon and toast. It has to be ready at half past 7. We make the tea in the dining-room.“ Nach dem Breakfast wollte sie mir das Haus zeigen. Dann entschwand sie.

„Wir müssen das breakfast zustande bringen.“ Damit verschob ich Nellys Wutanfall wegen cook, „Heimtücke, Niederträchtigkeit“ war alles, was sie murmelte. Zuerst einmal holte ich aus unserem Zimmer Zünder, um den Schwierigkeiten mit dem geheimnisvollen Gasanzünder zu entgehen. Nelly schnitt einstweilen Brot. Vorsichtig legten wir ein Stück Brot unter den Grill. Was macht man mit dem Bacon? Kocht man den in Wasser, schneidet man ihn, was macht man mit dem Bacon? „Ich röste ihn“, sagte Nelly entschlossen. Der Unglücksbacon schmorte, prasselte und schrumpfte zusammen. „Mein Gott, was macht man mit bacon“, rief Nelly, dem Weinen nahe. In diesem Moment kam die Lady in die Küche. (Noch gerade rechtzeitig warf Nelly einen total verbrannten Toast in den Mistkübel.) Sie warf einen Blick auf den eingeschrumpften Bacon. „So macht man in Wien bacon“, sagte ich selbstbewusst. „Oh, it looks lovely“, sagte die Lady. „Ich weiß doch, dass Du eine gute Köchin bist“, sagte ich zu Nelly, als die Lady wieder draußen war. „Da, setz‘ Dich zum Herd und pass’ auf, dass der verfluchte Toast nicht anbrennt“, knurrte Nelly, während sie das dritte Stück Toast in den Mistkübel warf. Gehorsam schob ich das Küchenstockerl zum Gasherd, mit vorgebeugtem Kopf starrte ich wie gebannt auf das sich bräunende Brot. Und so kam unser erstes Breakfast zustande.
Friedl (1. Heft, Ende Nov. 1939, S. 10)

Der Tannenbaum

Es war im letzten Augenblick vor Ladenschluss, als mich meine Lady wegsandte und mir auftrug, etwas Mistellaub zu erstehen. Erst wollte sie überhaupt keine Ausschmückung machen, aber die weihnachtliche Stimmung aller rundherum hatte sie erfasst und zu diesem Entschluss veranlasst. So machte ich mich also auf den Weg, ich suchte aber nicht nach Mistellaub, sondern nach einem Tannenbaum. Es gelang mir sehr schwer einen zu erstehen. Nach Hause zurückgekehrt, berichtete ich mit todernster Miene: Nirgends seien Mistelzweige zu haben gewesen und ich musste froh sein, einen Tannenbaum bekommen zu haben. Ich werde ihn aber so aufputzen, wie wir es immer zu Hause taten, und es wird bestimmt hübsch sein. Ich steckte also das kleine, recht armselig aussehende Bäumchen in eine Vase und begann es zu schmücken. Alles was ich hatte, waren in buntes Papier eingewickelte Zuckerln und etwas Silberpapier. Ich befestigte diese kunstvoll an dem Bäumchen und so wurde daraus ein herziger X-mas-tree. Ich muss dabei nach vollbrachter Tat so gestrahlt haben, dass meine Freude auch auf die alte Lady übergegangen war. Nachher sagte sie zu mir, es sei zwar keine englische Ausschmückung gewesen, es habe ihr aber große Freude gemacht. Sie dankte mir sogar dafür und das Wichtigste war, dass sie ein weiteres kleines Geschenk anhängte „on to our X-mas-tree“.
Renee (2. Heft, Weihnachten 1939, S. 16)

Einiges über die Rechte der Hausgehilfin

Jede Kollegin wird bestätigen können, dass man bei Beginn der Arbeit in einem englischen Haushalt nicht weiß, welche Arbeiten man leisten muss, welche nicht in den Bereich der Hausgehilfin fällt, wie es mit der Freizeit steht usw. Wenn wir uns erkundigten, dann gab man uns bei verschiedenen Leuten verschiedene Antworten auf ein und dieselbe Frage. Eine Londoner Kollegin erfuhr nun von einer englischen Hausgehilfin, dass es eine Gewerkschaft der englischen Hausgehilfinnen gibt. Und wir dachten uns, das ist sicher die beste Auskunftsstelle, und schickten eine kleine Abordnung österreichischer Hausgehilfinnen zur englischen Gewerkschaft. Kolleginnen, wir haben dort bei der Sekretärin der Gewerkschaft viel Verständnis gefunden. Miss Bezzant, so ist ihr Name, versprach uns über alles zu informieren, und sie steht trotz ihrer vielen Arbeit immer freundlich mit Rat zur Seite. Sie scheute nicht die Mühe und die Zeit, um bereits zweimal, einmal im Centre-Club und einmal im Hampstead-Club, alle Anfragen, die die Kolleginnen hatten, zu beantworten. Dafür wollen wir ihr hier nochmals und recht herzlich danken. Miss Bezzant begrüßte uns mit folgenden Worten: „Ich freue mich bei Ihnen zu sein, und es tut mir leid, nicht Deutsch sprechen zu können. Wie Sie bereits wissen, besteht die Trade Union for Domestic Workers erst seit 16 Monaten und unsere Arbeit wurde durch den Krieg viel schwieriger. Der Krieg erschwert in hohem Maß die Aufbauarbeit der Organisation, über die ich das letzte Mal bei Ihnen sprach und heute nichts hinzuzufügen habe. Der Krieg hat viele Frauen, nicht nur Hausangestellte, aus der Arbeit getrieben. Wir hatten eine ungeheure Zahl von Fällen, wo Hausangestellte ohne Kündigung auf die Straße gesetzt wurden, und nun versuchen die Arbeitgeber die Hausangestellten dahin zu bringen, für geringere Löhne längere Arbeitszeit und außertourliche Arbeiten zu leisten.“
Hilde (1. Heft, Ende Nov. 1939, S. 5f.)

Kontexte: Bis Kriegsbeginn 1939 kamen rund 20.000 deutschsprachige Flüchtlinge mit einem domestic permit, einer Arbeitserlaubnis für HausgehilfInnen, nach Großbritannien. Die überwiegende Mehrheit waren Frauen, ein Großteil Österreicherinnen. Die englische Zuwanderungs- und Asylpolitik zu der Zeit war im Vergleich zu anderen europäischen Ländern offen. Allerdings sah sich England als Durchgangsland. Ein wesentlicher Aspekt der Flüchtlingspolitik war, dass England keine Kosten entstehen sollten, und dass Geflüchtete keine Arbeitsstelle antreten durften, für die auch ein/e EngländerIn gefunden worden wäre. Wegen des massiven Mangels an Hauspersonal war es so für Geflüchtete möglich, mit domestic permits einzureisen. Die Hausgehilfinnen durften zwar ihre Stelle beliebig oft wechseln, es war ihnen aber verboten, in einem anderen Beruf zu arbeiten. Die ausländischen domestics durften der englischen Gewerkschaft nicht beitreten. Sie organisierten sich bald selbst und gründeten zum Jahreswechsel 1938/39 die Gemeinschaft österreichischer Hausgehilfinnen. Ihre Zentrale war in den Räumen des Austrian Centre in London. Ein Jahr später, im November 1939, erschien die erste Ausgabe der Österreicherin im Haushalt. Die Rubrik „Einiges über die Rechte der Hausgehilfinnen“ nimmt bemerkenswert viel Raum ein und auch im „Frage- und Antwortkasten“ haben rechtliche Fragen einen großen Stellenwert. Ebenso wird in der Zeitschrift auf aktuelle Entwicklungen, wie die Verschlechterung der Situation der Hausgehilfinnen mit Kriegseintritt Englands 1939 und der Einführung von sogenannten Alien Tribunalen (vgl. Koordinaten #1) eingegangen.

Auch Hanna Kuh (1913–1995), die 1938 nach Großbritannien geflohen war, arbeitete eine Zeit lang auf Basis eines domestic permits als Hausgehilfin. Ihr Nachlass findet sich heute in der Österreichischen Exilbibliothek (N1.EB-93). In ihm sind die Nummern 1–5 der Zeitschrift Österreicherin im Haushalt. The Periodical of Austrian Domestics enthalten – es sind vermutlich die einzigen noch erhaltenen Exemplare. Die hier in Auszügen abgedruckten Texte wurden zwecks Lesbarkeit leicht korrigiert.

Literaturhinweis:
Veronika Zwerger: Österreicherin im Haushalt: The Periodical of Austrian Domestics. Überlegungen zu den Arbeits- und Lebensbedingungen der österreichischen Hausgehilfinnen in England, in: Charmian Brinson, Andrea Hammel (Hg.): Exile and Gender I: Literature and the Press. Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies. Brill, Leiden 2016