Freihändige Überlegungen zur DIY-Kultur im neoliberalen Kapitalismus
Die Musikwirtschaft ist nach dem Bedeutungsverlust der großen Plattenfirmen in vielen Sektoren ein Reich der Ich-AGs geworden. Das Anforderungsprofil an Veranstalter_innen, Labelmacher_innen und Musiker_innen, die ein Publikum jenseits ihres Freund_innenkreises erreichen wollen, gleicht heute im Wesentlichen dem von selbstständigen Unternehmer_innen. Trotzdem wird die Idee des DIY noch hoch gehalten. Wie sinnvoll ist das? Ist das Konzept nach wie vor tauglich?
Tut es zusammen
Zuerst möchte ich festhalten, dass der Begriff DIY – also Do-It-Yourself – eigentlich irreführend ist. „Tu es selbst, sonst tut es keiner!“ beschreibt zwar durchaus die Grundhaltung in den Punk-Roots dieses Konzeptes in den späten 1970ern, aber eigentlich war DIY immer ein Do-It-Together (siehe auch Interview mit Andi Dvořák vom Wiener Label Fettkakao in MALMOE 72) und ist grundsätzlich mit einer Kultur des Teilens und einer bestimmten Ethik verbunden. Diese Ethik ist geprägt von einem gehörigen Misstrauen gegenüber großen Strukturen und Systemen und einem egalitären Prinzip verpflichtet.
Konkret sahen sich junge Bands in den späten 1970ern mit dem Problem konfrontiert, dass Medien, Plattenfirmen und Clubs sie ignorierten. Als Gegenreaktion bauten diese mit Hilfe diverser Aktivist_innen eine eigene Infrastruktur auf, die nicht mehr auf die schon etablierten kommerziellen Strukturen angewiesen war. Zentral für das DIY-Selbstverständnis ist also der Begriff Unabhängigkeit. „Nein, wir gehen nicht zu einem großen Label, denn die beuten nur die Musik aus. Nein, mit diesem Medium arbeiten wir prinzipiell nicht zusammen, weil es eh nur daran interessiert ist, glitzernde Stars zu produzieren. Nein, wir spielen und veröffentlichen nur die Musik, die uns selbst gefällt, wie das anderen gefällt, ist uns prinzipiell egal“ – also die totale Absage an Kommerzialität.
In den „goldenen Zeiten des Pop“ der 1980er entwickelte sich so im Underground eine global vernetzte Gegenkultur, die das damals am Höhepunkt stehende Starprinzip des Pop heftig kritisierte. Die Grundlage dieser Gegenkultur war jedoch der erfolgreiche Aufbau einer Gegenökonomie, in der Jobs entstanden und Biografien außerhalb der üblichen bürgerlichen Lebenswelten möglich wurden. Labels, Plattenläden, Lokale und kleine Veranstaltungsagenturen boten Platz gerade auch für Menschen, die sich als Outcasts verstanden.
Die Kapitalisierung des DIY
Diese Form des Selbstverständnisses einer Independent-Subkultur ist heutzutage im Wesentlichen verschwunden. Die Bedingungen haben sich komplett verändert und im Moment sind viele Protagonist_innen eher an einer Professionalisierung ihrer Strukturen interessiert, als am Festhalten an den hehren DIY-Idealen, wobei diese keineswegs verschwunden sind. Wien erlebte in den letzten Jahren geradezu einen Boom an unabhängigen Veranstalter_innen und Lokalen. Diese operieren oft finanziell äußerst prekär und sind mit neoliberalen Selbst-Optimierungs-Strategien konfrontiert (Shilla Strelka, die die Elektronik-Reihe Struma + Iodine betreibt und das Festival Unsafe Sounds veranstaltet, hat darüber ausführlich in MALMOE 72 geschrieben).
Das Konzept des DIY ist außerdem längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. So spucken Suchmaschinen nach Eingabe des Begriffe DIY nicht etwa wegweisende Punk-Bands wie Crass aus, sondern Bastelanleitungen. Tutorials zum Selbermachen sind das große Ding auf YouTube oder Pinterest. Die mit dem Begriff DIY verschwundene Ethik ist völlig mutiert und das Teilen hat mit Social Media eine völlig neue Bedeutung gewonnen. Das Geschäftsmodell von Facebook, Google & Co basiert auf der datenmäßigen Auswertung und kommerziellen Verwertung der auf Grund der alten Grassroots-Technik des Sharing erhaltenen Informationen.
So entwickelte sich eine neue Form von Kapitalismus, die gegenwärtig alle in Atem hält. Siehe die Diskussion rund um Uber oder Airbnb. Der aktuellste Fall ist O-Bike, die seit kurzem auch Wien mit ihren Fahrrädern zumüllen. Die von O-Bike angewandte Strategie ist ganz bewusst disruptiv und äußerst aggressiv. Sie stellen nach nicht nachvollziehbaren Kriterien Fahrräder in Städten auf, ohne im Vorfeld mit Behörden zusammenzuarbeiten und warten dann einfach die Reaktion ab.
Commons
Eine Rückkehr zu den alten Abhängigkeiten aus dem vergangen Zeitalter der Tonträgerindustrie des 20. Jh. ist natürlich nicht wünschenswert. Der Musiker (u. a. Shellac) und Produzent (u. a. Nirvana) Steve Albini hat hierzu vor einigen Jahren eine interessante Rede gehalten1https://www.theguardian.com/music/2014/nov/17/steve-albinis-keynote-address-at-face-the-music-in-full, in der er der Behauptung vom Untergang der Musikbranche eine andere Erzählung entgegenhält. Aus der Perspektive eines stets kompromisslos eigene Ideen verfolgenden Akteurs ist das von vielen verdammte Internet, dank dessen Möglichkeiten, eine Erfolgsgeschichte. Es ermöglicht einen direkten Austausch zwischen Musiker_innen und deren Fans, von dem frühere Generationen nur träumen konnten. Das hat auch ökonomische Konsequenzen und ist für die Produzent_innenseite durchaus lukrativ, wenn Auftritte an Orten möglich werden, wo das früher nicht der Fall war oder wenn die Höhe der Gagen steigt. Bands werden wiederentdeckt und so Karrieren ermöglicht, wo früher nur verschlossene Türen waren.
Wobei gleich festgehalten werden soll, dass was früher der Plattenvertrag mit der Aufnahme im sündteuren Studio war, heute der Auftritt in einer relevanten Location ist: ein knappes Gut, das dementsprechend begehrt ist. Dazu hat es für Uneingeweihte (und das sind alle Artists zu Beginn) ein ähnlich intransparentes Netzwerk von Booking-Agenturen und Veranstalter_innen, wie ehedem die Studios.
Als Strategie im Sinne des DIY-Gedankens ist also ganz offensichtlich das Teilen von Information (z. B.: „Wie komme ich über wen wohin?“) etwas Relevantes. In der aktuellen Ventil-Publikation Die Welt reparieren2Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.): Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis. Ventil Verlag, Mainz 2016 ist von einer hochpolitischen Welt der Commons die Rede, die eben auch gerade den Austausch praktischer Information als wirksames Mittel zur – ja! – Weltveränderung hochhält. Dies gilt nicht nur für die wunderbare Welt des Craftens. Es gilt diesen Gedanken an Gemeinschaftlichkeit auch in der Musikwelt wieder zu vitalisieren. Tut es wieder mehr gemeinsam. Und tauscht euch aus. Über Szenen und Labelblasen hinweg, dann wird die Popwelt, die im Moment so unübersichtlich erscheint, in ihrer ganzen gegenwärtigen Vielfalt sichtbar.