MALMOE

Das war grün

Die österreichischen Grünen waren irgendwann „tired of winning“ und spalteten sich in drei Teile. Möglicherweise hat diese bedauerliche Entwicklung ihren Ausgangspunkt in einer seit langem vernachlässigten programmatischen Arbeit.

Bob, der Baumeister ist so eine leicht dämliche und meist unerträglich langweilige Kinderserie, in der Maschinen eine Seele haben. Ein bestusster Handwerkermeister („Bob“) redet dauernd mit Baumaschinen und nimmt sich ihrer Sorgen und Nöte an. Mit diesen Kinderstorys lässt sich ein Kernpunkt des grünen Verwelkens recht gut beschreiben: die falsche Versöhnung mit der Industrialisierung. Das 19. Jahrhundert sah kritisch und sogar verängstigt auf die überall in die Lebenswelt hereinbrechenden Maschinen. Den Gestängen der Dampfmaschinen, den magischen, elektrischen Apparaten wurde misstraut. Sie würden eines Tages die Macht übernehmen und in Gestalt von Maschinenwesen die Menschheit verdrängen. Diese Befürchtungen wirken heute antiquiert und lächerlich. Ein modernes Leben kann nur mehr an der Seite von Maschinen geführt werden. Dafür verlangen diese aber einen erkennbar hohen Preis: Zu ihren Gunsten muss die Natur verschwinden. Regelrecht vernichtet werden, da Ressourcen, Räume und Energien den Apparaten zugeführt werden müssen.

Die damit auftauchenden Probleme wurden in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts immer deutlicher. Bilder von verqualmten Städten mit gespenstig aufragenden Schornsteinen am Horizont wurden zur Grundausstattung eines jeden Schulbuchs. Nachdem in Tokio Anfang der Siebziger Jahre die Luft beinahe nicht mehr zu atmen war, wurde im Grunde allen klar, dass etwas getan werden musste. Auf diesen fahrenden Zug sprangen die Grünen auf. Ihr Umwelt-Thema war so klar und deutlich umrissen, dass sie ideologisch völlig offen (und beliebig) sein konnten. Folglich saßen zu Beginn in der Partei Hippies mit Altnazis zusammen und hatten ein gemeinsames Ziel vor Augen: „Welt retten“. Bloß wie? Auf die Errungenschaften der Technologie verzichten und ins Tipi ziehen? Okay, ein paar vielleicht, die meisten zogen da nicht mit. Deswegen bedurfte es eines Schlichs. Technologie sollte mittels Technologie „gut“ gemacht werden.

Es gab also den liebenswürdigen Apparat mit der guten Seele (Elektroauto, Solarzelle, Wasserkraftwerke, die die Fischlein sanft über Treppen schickten) und es gab die bösen und stinkigen Maschinen (Kern- oder Kohlekraftwerke und Benzinautos). Dass die Trennlinien schwer zu ziehen waren, störte wenige (9 von 10 Umweltproblemen, die ein Benzinauto verursacht, verursacht ein Elektroauto ebenso). Es entstand eine Art Ablasshandel für MaschinennutzerInnen. Solange die als gut ausgegebenen Maschinen eingesetzt wurden, durften weitere Konsequenzen ausgeblendet werden. Tiefer reichende Konzepte bezüglich gesellschaftlichen Wandels? Man blieb lieber am Boden. Beispielsweise unterscheidet sich die teils närrische Liebe grüner SympathisantInnen für ihre neuen E-Bikes kaum vom Waffenstolz der AutomobilistInnen. Es scheint, Grüne haben sich versöhnt mit einer Welt, die unaufhörlich Naturbestand in Kulturbestand und Leben in Produkte verwandelt. Dabei unterlief den Grünen eine kapitale Fehleinschätzung: „Muddling through“ geht nur bei Konservativen, Progressive müssen sich die Mühe machen und sich intellektuell vom Bestehenden abgrenzen und fortwährend ideologische Arbeit betreiben, damit Bewusstwerdungsprozesse angestoßen werden.

„Bio macht schön“

Die Bemühungen, den Grünen eine eigenständige ideologische Ausrichtung zu geben, bei der ein selbstständiges, von den anderen Parteien klar unterschiedenes Menschenbild vertreten werden würde und bei dem Basisdemokratie sowie ein neuer Begriff von ökologischer Verantwortung der Individuen propagiert worden wäre, scheiterten allein schon daran, dass die eigene/n FunktionärInnen dies kaum je verstanden haben oder verstehen wollten. Man mochte sich mit so etwas nicht beschäftigen, fürchtete den Spott der Tageszeitungen und überhaupt das Unverständnis der Massen. Somit blieben programmatische Debatten seit Jahrzehnten aus. Heute zerfallen die österreichischen Grünen in drei Splittergruppen entlang der Bruchlinien persönlicher Animositäten. Eine niederschmetternde Diagnose drängt sich auf. Gerade der vollkommen richtige Ansatz, Politik zu entpersonalisieren und zu versuchen, Parteihierarchien aufzulösen, führte bei einigen Mitgliedern zu einer erbarmungslosen Konzentration auf das eigene Vorankommen.

Fairerweise muss gesagt werden, es ist aber auch sehr schwer. Gerne führen Grüne ein Medienproblem an und sagen zu Recht, dass sie mit ihren Themen „nicht durchkommen“. Die gute Arbeit, die im Einzelnen gemacht wird, gehe unter. Ohne Frage handeln grüne MandatarInnen pragmatisch klug und treffen verantwortungsvoll Entscheidungen. Auch wirkt die Partei nicht zu Unrecht „sauberer“ als andere. Nur, dass ihnen zunehmend die Chancen entgleiten, medial selbst Themen zu setzen, liegt eben auch daran, dass sie keine mehr ausarbeiten und perspektivlos wirken. Es scheint, eine Art falscher Versöhnung ist in die Partei gekrochen und lähmt diese. Ein moderater Wandel des Lebensstils sollte als lustvoll und leicht gebrandet werden. Bisschen richtig essen und „nachhaltig“ leben. Der Subtext suggerierte, die Grundrichtung stimme ohnehin schon.

Irgendwann und irgendwo hätte jemand energisch auf die Stimmung drücken müssen und sagen: Die Probleme einer nahezu vollständig industrialisierten Welt sind enorm und der Kapitalismus kennt kein Morgen. Aber wozu den Leuten aufs Fußerl steigen, wenn von Wahl zu Wahl 0,3 bis 0,7 % Stimmenzuwachs verbucht werden durfte? Wenn es nur mehr knapp dreihundert Jahre bis zur Absoluten sind, dann ist anscheinend Vorsicht geboten und man wollte keine gewonnenen WählerInnen verprellen. Eindrucksvoll stellten die Grünen in den Kampagnen der letzten Jahre ihre programmatische Inhaltsleere unter Beweis, indem sie den Fragen der eigentlichen Politikarbeit meist auswichen. Bei der letzten Bundespräsidentenwahl konnten sie zu Hochtouren auflaufen, da es um den personalisierten Kampf des netten, neoliberalen Opis gegen den bösen Nazi ging. Die Sache ließ sich auch deswegen biegen, da die FPÖ den Gefallen tat, einen sinisteren Burschi aufzustellen, der im Laufe des Wahlkampfs immer mehr braun anlief. Ansonsten gab es beim eigenen Kandidaten keine erkennbaren Hemmungen mehr. Alexander van der Bellen erschien mit Hunderl vor Bergpanorama, umkränzt von rot-weiß-roter Girlande. Heimatliebe und Treue bedient die Matrix der von Krone und Gabalier propagierten Gruppenidentität. Zumindest endete die tiefe Verbeugung mit einem knappen Erfolg.

Soylent Green

Bei diesen Erfolgen geriet der tiefgreifende gesellschaftliche Bewusstseinswandel – für den die Grünen ja ursprünglich angetreten waren – in immer weitere Ferne. Die Grünen schlitterten allmählich in eine seltsame Art Dauerwahlkampf, den sie auf der Ebene des Merchandisings gewinnen zu können glaubten. Die SpindoktorInnen und Werbeagenturen erdachten Sprüchlein und wollten vornehmlich ein Lebensgefühl verkaufen. Ein Liegestuhl, auf dem zu lesen steht: „Platz für ihre Biomasse“. Soll man lachen oder weinen? Wenn angenommen werden darf, dass der Liegestuhl nicht mit Küchenabfällen beladen werden soll, dann kann dies nur ein Hinweis auf die ökodystopische Zukunft des Kapitalismus à la Soylent Green sein, in der menschliche Leiber zum Treibstoff für Kraftwerke verarbeitet werden. Lustig. Frage: Fällt den Werbeheinis das Denken so schwer oder mögen sie es einfach nicht? Solche kuriosen Missgriffe sind nur erklärlich, wenn vermutet werden muss, den beteiligten SpindoktorInnen falle nicht einmal mehr auf, wie weit sich die Grünen von gesellschaftlichen Bewusstwerdungsprozessen entfernt haben.
Daneben dreht sich die Welt weiter, in jener üblen Weise, wie sie es halt zu tun pflegt. Industrielle Propaganda ersann die gute, die seelenvolle Maschine, die vorgibt, eine weitere ungehemmte Nutzung zu erlauben. Die Grünen halfen mit, diesen Popanz ein wenig grün anzustreichen. Dumm nur, dass eine ökologische Rhetorik, die weitgehend folgenlos für Wirtschaft und Gesellschaft ist, längst von nahezu allen Parteien übernommen wurde. Ökonomie und Ökologie gelten heute bereits als versöhnt und Konsum hat jetzt Moral, für die, die wollen und den Fair-Trade-Aufpreis zahlen. Erkennen Grüne selbst dieses programmatische Problem und erlauben sich Ausritte, dann werden sie sogleich von allen Seiten zurückgepfiffen: „Verbotspartei, ewige Nörgler“. Da setzen sie sich lieber auf ihren Elektro-Drahtesel mit der guten Seele und fahren in ihren Stadtgarten. Sie haben ja auch wirklich viel erreicht. Baumeister Bobs Wahlspruch im englischen Original lautet: „Yes, we can“ – danke, wir haben begriffen, die Simulation des Wandels reicht für zeitweilige Wahlerfolge, aber nun wird es sehr schwer.