MALMOE

Das ­Unbekannte ­hinter dem ­Unbekannten

Bike.Polo.Stadt. #10

Wir Bikepolospielerinnen – der aufmerksamen Leserin meiner Kolumnen dürfte es wohl kaum entgangen sein – gelten hierzulande als ziemliche Exotinnen. Die Randsportart am Rand der Randsportarten. Ein Umstand, der sich auch in anderen (westlich geprägten) Ländern nur unmerklich anders darstellt. Selbst in den USA, der Geburtsstätte von Hardcourt Bikepolo, weiß kaum jemand von der Existenz des fidelen Radballspaßes. Es gibt aber eine in der westlichen Welt noch viel unbekanntere Radballsportart. Obwohl es sich um die Mutter des vorwiegend westlich geprägten Hardcourt Bikepolo handelt, ist Cycle Polo selbst unter Hardcourt Bikepolospielerinnen überraschenderweise nahezu unbekannt.

Cycle Polo ist vielen nur als Name ein Begriff. Es ist aber jene Sportart, die 1891 von Richard J. Mecredy in Irland erfunden wurde und in vielen Teilen der Welt bis heute nahezu unverändert gespielt wird. Von exotisch eigentlich keine Spur, zumindest wenn man die Scheuklappen des eigenen Kulturkreises abzulegen imstande ist. Breitete sich die faule Tierquäler SportUNart Pferde Polo (siehe Bike.Polo.Stadt. # 1 – Die Befreiung des Pferdes) von Asien über die britischen Inseln weltweit aus, so folgte Cycle Polo genau dem umgekehrten Weg. Zwar gab es in UK eine Hochphase mit über 1000 Spielerinnen um die Jahrhundertwende, wirkliche Popularität erlangte der auf Rasen oder gestampftem Erdreich gespielte Sport aber erst in Indien und Pakistan, um sich von dort aus im gesamten zentralasiatischen Raum auszubreiten und heute in vielen Regionen von Pakistan bis Indonesien als Volkssport zu gelten.

Cycle Polo zeichnet sich vor allem durch seine niedrige Eintrittsschwelle ab. Es ist für viele Menschen günstiger, Cycle Polo zu spielen als zum Beispiel Fußball oder Cricket. Ein Rad ist häufiger in der Familie vorhanden als Fußballschuhe. Gespielt wird zumeist in Teams zu sechs Personen auf nahezu allen weichen Untergründen. Da ohne Beton oder Asphalt das Verletzungsrisiko signifikant sinkt, ist keine teure Schutzkleidung notwendig. Räder sind alle zugelassen und Attacken Rad gegen Rad, Schläger gegen Schläger und Spielerin gegen Spielerin sind, anders als beim Hardcourt Bikepolo, verboten. Die Schläger sind vielerorts noch aus Holz und teilweise seit Generationen in Verwendung. Auch der große Platz und die netzlosen und großen Tore senken das Verletzungsrisiko. Cycle Polo kann ohne Probleme in Badeschlapfen und Badehose gespielt werden, Gleichgewichtssinn und Ballgefühl vorausgesetzt.

Beides wird häufig bereits ab dem Schulalter trainiert. In einigen indischen Verwaltungsgebieten ist Cycle Polo sogar verpflichtender Schulsport, regionale Ligen gibt es unzählige, auf nationaler Ebene mischt seit einiger Zeit auch die indische Armee mit ihrer Auswahl mit und versucht über den populären Sport ihr Bild in der Gesellschaft zu verbessern. Regelkuriosität in Indien: Die zwei Schiedsrichterinnen sitzen ebenfalls auf Rädern und cruisen wild zwischen den Spielerinnen über den Platz. Schiedsrichterin umfahren bedeutet Platzverweis und stark gesunkenes Ansehen bei den Fans. Überhaupt dominiert Vorsicht und Umsicht. Entwickelt sich Hardcourt Bikepolo zu einer immer schnelleren Sportart, so scheint im Cycle Polo eher die wohl überlegte Langsamkeit den Kern des Spieles auszumachen. Zwar sind gezielte Pässe auf dem meist unebenen Untergrund schwierig, sehr genau gezielte Schüsse und durchdachte Spielverlagerungen aber an der Tagesordnung. Beachtenswert ist auch die Konstanz des Spieles. Mancherorts wird Cycle Polo seit nun mehr als hundert Jahren gespielt. Bedeutende Regeländerungen waren bisher nicht notwendig – nur eine – und die kam in Indien nicht aus sportlichen, sondern aus gesellschaftlichen Umwälzungen. Mädchen dürfen mittlerweile in Indien gleichberechtigt mit ihren männlichen Kollegen am schulischen Cycle Polo Unterricht teilnehmen, es gibt eine eigene weibliche nationale Liga und eine gemischte ist dabei, sich zu etablieren.
Das Unbekannte hinter dem Unbekannten ist andernorts Alltag. Schön! Bleibt nur zu sagen: 3,2,1 … Reisen! … und Polo spielen. Wie immer es euch gefällt.