MALMOE

Das Mittelmeer

Vom Sehnsuchtsort zur Grenze der Festung Europa

Wenn heute vom Mittelmeer die Rede ist, dann geht es dabei fast immer um das Meer als scheinbar natürliche Grenze zwischen Europa und Afrika. Es erscheint dabei einerseits als wehrhafter Wassergraben der „Festung Europa“ und andererseits als mahnendes Wassergrab für tausende Menschen auf der Flucht, deren Tod als Preis der Aufrechterhaltung der europäischen Ordnung zumindest billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar als notwendiges Mittel der Abschreckung weiterer Flüchtender betrachtet wird.

Zwischen Jänner und Ende August des heurigen Jahres wurden bereits über 2000 Tote im zentralen Mittelmeer verzeichnet.1Zahlen des Missing Migrant Project der Internationalen Organisation für Migration: https://missingmigrants.iom.int/mediterranean Dabei wird jedoch schnell vergessen, dass die Gefahren der Flucht über das Meer nichts mit dessen Unberechenbarkeit, dem hohen Wellengang oder der schlechten Wetterlage zu tun haben. Wie der Kreuzfahrtboom der letzten Jahre zeigt, lässt sich das Mittelmeer schließlich auch ohne Risiken befahren. Gefährlich ist es nur für wenige und auch erst durch die Ungleichheit der Fortbewegungs- und Rettungsmittel: Schwimmende Paläste für die einen, undichte Schwimmwesten und löchrige Schlauchbote für die anderen.
Das Bild vom Mittelmeer als natürlicher und unberechenbarer Grenze voller Gefahren lässt die Frage nach der Verantwortung in den Hintergrund treten. Dabei ist das Meer ja nicht per se und ausschließlich Grenze und Hindernis. Gerade das Mittelmeer ist in der Geschichte immer auch schon ein Raum der Verbindung und Begegnung, eine Projektionsfläche für utopische Ideen und ganz allgemein ein Sehnsuchtsort gewesen. Es ist das Mittelmeer des gegenseitigen Einflusses zwischen griechischer und arabischer Philosophie und des Austauschs von kulturellen Produkten, Speisen, Gewürzen und Sprachen zwischen den Menschen an seinen Ufern. Von diesem oft mit dem französischen Begriff „Méditerranée“ bezeichneten Bild des Mittelmeerraums als Ort einer gemeinsamen europäisch-arabischen Kultur ist heute jedoch meist nur noch mit einem verklärt sentimentalen Beigeschmack die Rede. Eine Ausnahme bildet dabei vielleicht das Feld der Literatur. Hier wird immer wieder der Versuch unternommen, Europa von seinem „leeren Zentrum“ aus zu denken, wie es eine 2015 erschienene Anthologie über „das Mittelmeer und die literarische Moderne“ im Titel ausdrückt.2Leeres Zentrum: Das Mittelmeer und die literarische Moderne. Herausgegeben von Franck Hofmann und Markus Messling. Berlin: Kadmos, 2015.

Der Wunsch nach der endgültigen Überwindung der Trennung durch das Meer hat mitunter auch ein monströs bedrohliches Potenzial. Besonders deutlich wird das in der Atlantropa-Vision des deutschen Architekten Herman Sörgel. Er plante Mitte des 20. Jahrhunderts die Errichtung eines gigantischen Staudammes bei Gibraltar, um das Mittelmeer langsam auszutrocknen und Afrika und Europa zu verbinden. Kultureller Austausch und Einigung standen dabei nur bedingt im Zentrum. Ziel seiner Vision war vor allem die koloniale Ausbeutung afrikanischer Ressourcen und die Schaffung lukrativer Absatzmärkte.
Beides findet freilich auch ohne eine Landbrücke zwischen Gibraltar und Marokko statt. Diese Form des „mediterranen Austausches“, in dem nur der Warenverkehr erwünscht ist, intensiviert die EU durch die Ausweitung sogenannter Economic Partnership Agreements (EPA) – auch gegen den heftigen zivilgesellschaftlichen Protest in zahlreichen afrikanischen Ländern.3Zur Kritik an EPAs gibt es bei Attac eine kurze Übersicht: www.attac.de/epas Die Fährhäfen und Reedereien im Mittelmeer planen jedenfalls weitere Expansionen. Für Flüchtende wird die Überfahrt dadurch jedoch wohl kaum weniger gefährlich werden.