MALMOE

Bonjour Tristesse

Österreichische Zustände vor der Nationalratswahl

Der Wahlkampf mutet friedlich an – Schmutzkübelkampagnen wurden einander öfter vorgeworfen, als dass sie real stattgefunden hätten. Besonders übel aber ist diesmal die männliche Egomanie der Spitzenkandidaten: Nicht nur die FPÖ hat jetzt in HC Strache ihren Obermacker, endlich haben auch ÖVP und SPÖ ihre charismatischen Führer gefunden. „Kern & Kurz“, einerseits ein hervorragender Name für ein Kabarett-Duo, andererseits ein Typus, der nicht mehr die Spitze einer Gruppe, einer Partei und ihrer Positonen darstellt, sondern um die herum sich eine Partei, einer persönlichen Gefolgschaft gleich, zu formieren hat. Oder eben eine Bewegung – das Lieblingswort des neuen ÖVP-Chefs Sebastian Kurz, seines Zeichens das am längsten dienende Regierungsmitglied und entsprechend von jeder Idee von „Aufbruch“ oder eben „Bewegung“ weiter entfernt als wir vom Kommunismus. Aber eben nur eigentlich. Die 15.000 in der Wiener Stadthalle, die dem Popstar Sebastian zujubelten, sahen das wohl anders.

Es scheint als wäre Autoritarismus, das Versammeln der Masse hinter einem starken Mann, die einzige Antwort der Großparteien auf die Kritik an ihren verkrusteten Strukturen und ihren immer wieder wahltechnisch belegten Niedergang.

Themen des Wahlkampfs

Inhaltlich versucht man kaum, neu und überraschend zu sein – vielmehr gibt es jeweils verschiedene Schnittmengen zwischen den Parteien: Migration und Islam sind die Themen von ÖVP und FPÖ, Soziales und Gerechtigkeit jene der SPÖ und FPÖ, die NEOS ebenso wie die ÖVP werben mit Unternehmergeist. Wenn es darum geht gegen Steuern zu wettern, setzt sich auch die FPÖ ins neoliberale pink-schwarze Boot. Die Grünen versuchen es mit lockeren Sprüchen, Gerechtigkeit und Europapolitik – Europa, ein Wort, dass sonst nur die NEOS in den Mund nehmen. Die FPÖ gibt sich überraschend staatstragend und erprobt sich wohl schon als Juniorpartner in der nächsten Regierung. Alles in allem aber: wenig Neues, wenig Spektakuläres auf den österreichischen Straßen.

Wer tritt neu an?

Bei den erstmals zur Wahl antretenden Parteien und Listen machte vor allem Peter Pilz Schlagzeilen. Es ist schon bitter und gleichzeitig bezeichnend, dass es gerade der Macho-Narzisst Pilz ist, der mit einem de facto inhaltlosen Ego-Projekt nicht wenige Leute anzieht, von denen man einst dachte, sie seien für linke Politik irgendwie empfänglich und brauchbar. Die Liste Pilz ist natürlich auch etwas ganz Neues, ganz Wichtiges und klarerweise „weder links noch rechts“ – dafür aber proklamiert Pilz einen „Aufruf zur Selbstverteidigung“ für die „Heimat Österreich“. Pilz ist damit konsequente Weiterentwicklung des Niedergangs der Grünen.

Null Prozent +X dürfte das Ziel bei den anderen neuen Kleinstparteien sein. Darunter befindet sich zum Beispiel die Freie Liste Österreich (FLÖ), eine etwas stümperhaft daher kommende Abspaltung der FPÖ unter der Führung einiger Heimattreuer, wie dem Salzburger Kurpfuscher Karl Schnell und der Hüterin der Ostmark, Barbara Rosenkranz. Eine andere Truppe, bei der man nicht weiß, ob man nun lachen oder weinen soll, nennt sich G!LT. Dahinter steht bekanntlich der Eso-Wutbürger-Komiker Roland Düringer, der irgendwas mit „offener Demokratie“ fordert. Auf Platz eins dieser Liste sollte der per Los ausgewählte 70-jährige Pensionist Günther Lassi stehen. Nachdem bekannt wurde, dass dieser auf seiner Website die antisemitische Verschwörungsschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ verbreitete, kündigte Lassi seinen Rückzug an. Seitdem ist er wieder in der Versenkung verschwunden – bleibt zu hoffen, dass selbiges demnächst für G!LT gilt.

Und noch ein Side Fact: Aus unerfindlichen Gründen werden weder das Team Stronach noch das BZÖ antreten. Das heißt: Immerhin 9,3 % der WählerInnen müssen sich eine neue Protestpartei suchen – Stimmen, um die sich die Liste Kurz ebenso bemüht wie FPÖ oder G!LT.

Und die Linke?

Betrachten wir zunächst jene Partei, die sich als linke Volkspartei versteht: die SPÖ. Hier stellt sich als erstes die Frage, ob sie überhaupt noch in irgendeiner Weise als links durchgehen kann (siehe den Artikel „Übel und gefährlich“). Unter Christian Kern war die SPÖ lange eine One-Man-Show. Sein Regierungsstil und seine Inhalte verdeutlichen, entgegen der Anfangseuphorie mancher Linker in der SPÖ, die Annäherung ans rechtskonservative Milieu (exemplarisch hierfür stand der Beschluss des Sicherheitspakets im Frühjahr 2017). Dabei versteht es Kern, seiner Politik hin und wieder einen liberalen, progressiven Anstrich zu geben, wenn er beispielsweise kurz vor der Wahl einen Vorstoß zur Veränderung des Mietrechts macht oder als Promigast auf der Regenbogenparade vorbeischaut. Grundsätzlich ist es mittlerweile jedoch der rechte Flügel der SPÖ, mit dem Kern gut zusammenarbeiten kann. Mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil präsentierte Kern zum Beispiel Forderungen zur EU-Migrationspolitik, die unter anderem Asylverfahrenszentren im zentralafrikanischen Niger vorsehen. Indes spielt der verbliebene linke Flügel innerhalb der Partei mehr denn je eine marginale Rolle. Summa summarum ist die SPÖ eine weitere Partei der Obergrenzen und Abschiebungen, der Heimatliebe und Traditionsmeierei, der Sozialstaatsdemontage und des freien Marktes, der Lohnkonkurrenz und des Leistungsprinzips.

Bei den Grünen ist durch den Ausschluss der Jungen Grünen und der Abspaltung von Peter Pilz in diesem Jahr bereits so ziemlich alles schief gegangen. Wenn sich die Parteispitze einer Sache nicht rühmen kann, dann ist es kompetentes Krisenmanagement. Und nun sehen Umfragen die Grünen sogar nur noch knapp über der 4%-Grenze. Die letzte linksliberale Kraft im Parlament ist also angezählt. Bei aller Kritik an den schwammigen Standpunkten und dem boboesken Pseudo-Weltrettertum (siehe Artikel auf S. 18), ist diese Entwicklung in all ihrer realpolitischen Brisanz zu betrachten, zudem sich in den Reihen der Grünen durchaus einige Mitglieder zu finden sind, deren Arbeit und Haltung man nicht missen möchte. Doch macht sich bemerkbar, dass die Grünen in einer Situation der gesellschaftlichen Polarisierung nicht fähig sind, ein progressives Politikkonzept zu erarbeiten, das außerhalb der eigenen Blase Mobilisierungspotential hätte.

Bleibt noch die Kommunistische Partei Österreich, die diesmal mit dem Namen KPÖ Plus als eine Allianz aus KPÖ, großen Teilen der Jungen Grünen und unabhängigen Einzelpersonen aus dem marxistischen Spektrum antritt. Ihr Hauptslogan: „Holen wir uns unsere Zukunft zurück“. Klingt irgendwie ähnlich wie „Wir holen uns was uns zusteht“. Dennoch: die Forderungen sind sozial und sie sind die einzigen, die eine klare Haltung zu offenen Grenzen und dem Recht auf Asyl und Migration formulieren.

Doch zurück zur eigentlichen Frage: Welche Rolle spielen linke Parteien und Positionen? Man braucht sich nichts vorzumachen: Der Fokus der Linken wird auch die kommenden Jahre auf Abwehrkämpfen liegen. Unter den derzeitigen Umständen erscheinen verschiedenste Horrorszenarien möglich. Wer viel Optimismus übrig hat, vermag in der Krisenhaftigkeit noch die Chance auf einen Aufbruch ins Emanzipatorische zu sehen. Die dahinterliegende Frage nach dem Wie erschien jedoch selten unklarer. Linke Kerngebiete wie die soziale Frage oder Migration werden letztlich fast immer rechtslastig bearbeitet, eine breitere Diskussion über Geschlechterverhältnisse oder Ökologie findet de facto nicht statt, ebenso wenig Thema sind Arbeitsverhältnisse und Ausbeutung. Und schon gar nicht gesprochen wird über den Kapitalismus und seine weltweiten Verwüstungen.