Das Magazin PS – Politisch Schreiben. Anmerkungen zum Literaturbetrieb erscheint im Herbst in seiner dritten Ausgabe. MALMOE hat fünf der acht Redakteur_innen von PS – Kaśka Bryla, Jiaspa Fenzl, Olivia Golde, Yael Inokai und Carolin Krahl – zum Interview getroffen, als sie im Mai in Wien bei den Kritischen Literaturtagen gelesen haben.
MALMOE: Ohne unterstellen zu wollen, dass ihr den MALMOE-Leser_innen vollkommen unbekannt seid, zuerst dennoch die Frage: Was ist und was will PS?
PS (manchmal ein- / oft auch vielstimmig): PS ist ein Magazinprojekt, aber auch mehr als das: Wir sind ein Kollektiv, das in erster Linie diese Zeitschrift herausgibt, aber wir versuchen auch, ein Netzwerk aufzubauen, in dem sich verschiedene politische Zeitschriften und Organisationen treffen können. Außerdem veranstalten wir Lesungen, Diskussionen und Schreib-Werkstätten, wie das zum Beispiel grade zwei von uns in der Justizvollzugsanstalt Leipzig machen. Zum einen wollen wir uns den Literaturbetrieb anschauen und die Produktionsbedingungen von Literatur analysieren. Zum anderen wollen wir inhaltlich und literarisch danach fragen, wie politisches Schreiben aussehen kann. Das spiegelt sich in der Zeitschrift insofern wider, als sie in zwei Teile gegliedert ist. In der ersten Hälfte werden in Essays und Gesprächen die Titelthemen der Ausgabe behandelt. Der zweite Teil ist der literarische mit Prosa, Drama und Lyrik. Dort geht es nicht primär darum, dass die veröffentlichten Texte sich inhaltlich explizit mit politischen Dingen auseinandersetzen müssen – obwohl wir das selbstverständlich nicht ausschließen –, sondern mehr um den Hintergrund, aus dem die Autor_innen kommen und inwiefern sie politisch aktiv sind. Dieser Teil will die Frage, was politisches Schreiben sein könnte, durch den Akt des Schreibens an sich beantworten.
Was sind die zentralen Kritikpunkte, die ihr aufgreifen wollt, wogegen richtet sich eure Arbeit?
Ich finde, das Coole an dem Projekt ist unter anderem, dass wir mehr darauf fokussiert sind, was wir wollen, als darauf, wogegen wir sein wollen. Wir hätten gern Literatur von Menschen, die aus gesellschaftlichen Zusammenhängen ausgeschlossen werden. Auch die Frage, welche Veranstaltungen wir machen und wo wir lesen wollen, beschäftigt uns: Wie können wir sowohl an Orten wie einem Hausprojekt oder einem Wagenplatz lesen und gleichzeitig auch zum Beispiel im Studio vom Gorki Theater? Uns ist wichtig, dass die Spannbreite sehr weit wird, damit viele Leute von PS erfahren und sich reinklinken können. Also es ist wirklich eher eine „positive“ Perspektive, die wir einnehmen. / Hm, eine positive Perspektive worauf? / Naja, wir wissen: Das ist das System, in dem wir uns bewegen, gewisse Sachen können wir verändern, mit anderen Rahmenbedingungen müssen wir aber vorerst auch arbeiten und fragen uns, wie wir so arbeiten können, dass wir uns wohl damit fühlen, und dass auch andere davon einen Nutzen haben können. Wir wollen uns nicht vollends aufreiben an einem Kampf gegen etwas so dermaßen großes wie den Kapitalismus – aber auch ohne alles so wie’s ist zu akzeptieren. / Also ich will mich jetzt schon mal auf ein Dagegen einlassen und ein, zwei Beispiele aufzählen: Autor_innen mit Migrationshintergrund werden oft darauf festgelegt, dass sie ihre eigene Geschichte schreiben, beschreiben, ausbeuten müssen und nicht einfach über das schreiben „können“ oder „dürfen“, was sie hier beschäftigt, weil sie „müssen ja ihre krasse Geschichte erzählen“. Oder auch die Strukturen von Wettbewerben, wer gewinnt da, wie wird das abgesprochen, wer sitzt in den Jurys? Also ich würde sagen, dass der Literaturbetrieb oder die Kunstwelt zwar grundsätzlich die Utopie beinhaltet, dass man teilweise aus der Maschinerie heraustreten kann, aber es wird eben überhaupt nicht belohnt. / Ja, die Analyse dieser Verhältnisse hat schon eine große Bedeutung für PS. Es ist auch bezeichnend, dass es noch kein Projekt gab, das so oder so ähnlich heißt, Politisch Schreiben. Als „politische Literatur“ gelten meistens Sachbücher, also der Begriff wird als Informationskategorie wahrgenommen. / Meine Vermutung wäre, dass ein gewisses Ideal in der Literatur noch sehr stark verwurzelt ist, vielleicht viel stärker als in der bildenden Kunst – ohne dass ich die jetzt auf ein Podest stellen würde –, zum Beispiel das Ideal vom alleine Arbeiten, von so einer einsamen und genialischen Existenz. Und daher kommt es womöglich auch, dass man in der Literatur mit einem kritischen, einem politischen Aspekt ein bisschen hinterher ist. Und dafür einen Gesprächsraum aufzumachen, das ist ein Anliegen von PS.
Mit welchen Themen habt ihr euch bisher beschäftigt?
Die erste Ausgabe war zum Thema Konkurrenz und Kanon, wobei damit die kapitalistischen Arbeitsbedingungen, die zu einer permanenten Konkurrenzsituation der Autor_innen untereinander führen, gemeint sind – und wie man damit anders umgehen könnte. Der Kanon bezieht sich auf den Literaturkanon und den Kunstkanon im weitesten Sinn, der über Jahrhunderte meist von Männern generiert wurde und an dem sich dann wiederum neue Generationen von Schriftsteller_innen und Künstler_innen abarbeiten. Die Verbindungen zwischen Konkurrenz und Kanon hat uns beschäftigt, weil wir darin einen sinnhaften Zusammenhang erkennen. Die zweite Ausgabe ging dann zu Genie wider Kollektiv. Sie fragte danach, worauf der Geniegedanke beruht, wo er herkommt, was er für positive und fördernde Aspekte hatte und welche negativen Auswirkungen er hat. Und welche Art von Kollektiv eine Antwort oder ein Gegenentwurf zu diesem Geniedenken wäre. / Für diese Ausgabe hatten wir uns dazu entschieden, alle Texte getrennt von den Informationen zu den Autor_innen zu veröffentlichen. Also man weiß nicht, wer welchen Text geschrieben hat. Am Ende des Heftes sind die Viten abgedruckt, aber es ist keine Zuordnung mehr möglich.
Warum habt ihr euch dafür entschieden und wie haben die Autor_innen darauf reagiert?
Wir wussten schon sehr genau, warum es auf jeden Fall gilt, das für mindestens eine Ausgabe zu versuchen. Wenn man so politische Texte einfordert wie wir, dann sind die eben oft auch sehr nah an den Gebieten, mit denen die Autor_innen kämpfen. Und wenn man dann die Vita dazu liest, werden die Texte auch sehr schnell in Kategorien eingeordnet beziehungsweise als „Betroffenheitsliteratur“ wahrgenommen. PS arbeitet außerdem auch damit, die Texte von bereits etablierteren und weniger etablierteren Autor_innen nebeneinander zu stellen, weil wir diese Trennung nicht zulassen wollen. Wir wollen die Frage aufwerfen, was passiert, wenn du nur den Text hast, ohne zu wissen, wer ihn geschrieben hat, wie nimmst du ihn dann wahr? Es gab sehr viele Autor_innen, die das sofort verstanden und als die logische Konsequenz aus der Beschäftigung mit dem Themenkomplex Genie wider Kollektiv wahrgenommen haben. Die Idee entspringt ja daraus, den Kollektivgedanken praktisch werden zu lassen, also all diese Autor_innen eine Ausgabe lang zu einem Kollektiv zu machen. Selbstverständlich kann man das aber auch als ein Wegnehmen der Stimme und ein Nicht-Unterstützen wahrnehmen. Auch diese Reaktionen wurden uns entgegengebracht. Im Erarbeitungsprozess der kommenden PS zum Thema Imagination – Krise – Wirklichkeit haben wir die Konsequenz daraus gezogen, indem wir beim Auswählen der Prosa die Viten und Texte der Autor_innen für uns getrennt haben. Wir haben beides je einzeln besprochen und bewertet und erst dann eine Entscheidung getroffen. Zusätzlich haben wir uns bei diesem Prozess von jemandem beobachten lassen. Ein Essay dazu wird in der neuen Ausgabe erscheinen. Eben weil unsere Arbeit so sehr Experiment ist und wir nicht wissen, was richtig ist.
Ihr bewertet die Biographien der Autor_innen? Wie geht ihr da vor?
Ja, das ist eine sensible Sache! Es war auch interessant, dass wir uns viel leichter getan haben, die Texte zu bewerten, als die Biografien. Wir hatten so ein System mit Plus, Welle, Minus, an dem wir uns entlanggehangelt haben. Bei den Viten bezieht sich diese Einteilung darauf, wer eher in unser Konzept trifft und wer weniger. Also wenn man das jetzt beispielhaft aufsplitten würde, würde eine 55-jährige Lesbe, die ganz viel feministische Arbeit gemacht hat und sich nicht viel Zeit in ihrem Leben herausgenommen hat, um ihre literarische Arbeit zu verbessern oder nach Veröffentlichungen zu suchen, in die Kategorie Plus kommen, weil wir genau diesen Menschen die Chance einer Veröffentlichung und eines Netzwerkes anbieten wollen. Und dann gab es zum Beispiel einen Text, den wir alle mit Plus bewertet hatten, der war von einer Autorin, die sehr gut im Literaturbetrieb etabliert ist, wo klar ist, dass sie sozusagen am Sprungbrett ist und auf jeden Fall literarisch arbeiten wird. Und der haben wir dann empfohlen, sich an andere Literaturzeitschriften zu wenden, weil wir keinen Grund dafür sahen, den Text in PS zu veröffentlichen.
Da wäre dann noch die alte, schwierige Frage nach dem Verhältnis von Kunst und dem Politischen … ?
Ich denke, dass gerade in der Kunst, jeglicher Kunst, die Zusammenhänge sehr stark verdeckt sind. Also durch alte Ideale, wie die bereits angesprochene Genie-Ästhetik usw. Diese Werte, die sich da widerspiegeln, sind längst angekommen im neoliberalen System. Kreativität, Gestaltung und Selbstverantwortung. Also all das, was letztlich bis ins frühe 20. Jahrhundert gewissermaßen „künstlerische Vorrechte“ waren, jetzt unter ganz dicken Anführungszeichen, ist auch Teil der ganz normalen, prekären Arbeitswelt. Dieses „projektorientierte Arbeiten“ und auch dieses: „Wenn ich mich mit meinem Job identifiziere, weil ich mich darin verwirkliche, dann habe ich weniger Ansprüche darauf, bezahlt zu werden“, etc. Also eigentlich all das, was in künstlerischen Arbeitskontexten immer schon eine Rolle gespielt hat. Und gerade dadurch ist es wichtig geworden, das in der Kunst, in der Literatur zu reflektieren. / Da hab ich dann schon das Bedürfnis in den Raum zu werfen, dass das doch eigentlich eh klar ist. Also, dass die Trennung von Kunst und dem Politischen eine künstliche ist, dass beides selbstverständlich zusammen gehört und zusammen gedacht werden muss. Dass die Trennung dessen eine Verdeckungshandlung ist. Und in diesem Sinn tun wir was sehr Selbstverständliches.