Feministische Ökonomie (#1)
Über blinde Flecken, strategisches Schweigen und Utopien
Die feministische Ökonomie hat ihre Wurzeln in der ersten und der zweiten Frauenbewegung. Mit dem Rückenwind der Bewegung wurden Themen der Arbeits-, Produktions- und Haushaltsgestaltung öffentlich und aus einem feministischen Blickwinkel verhandelt und es wurde gegen Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung angekämpft. Eine Auseinandersetzung, die bis heute andauert und schon lange vorher begonnen hat: Die feministische Ökonomie hat Wurzeln, die bis ins frühe 19. Jahrhundert und vereinzelt sicherlich noch weiter zurück reichen. Das Schweigen über Geschlechterverhältnisse in der Ökonomie wurde von feministischen Ökonominnen als strategisches ausgewiesen, mit dem Macht- und Ausbeutungsstrukturen in von Frauen dominierten und theoretisch vernachlässigten Bereichen, den „blinden Flecken“ der Ökonomie, bewusst verdeckt werden. Ergründet werden sollen hiermit all jene von der traditionellen Wirtschaftswissenschaft ausgeblendeten Bereiche ökonomischer Zusammenhänge: Es geht u.a. darum, den unbezahlten Teil der Ökonomie – sei es in Form von Haus- oder Subsistenzarbeit – sichtbar zu machen und als wesentlichen Wertschöpfungsprozess zu behandeln. Vielfältige Ausrichtungen und kontroverse Debatten kennzeichnen die feministische Ökonomie. Denn sie tritt mit unterschiedlichen Projekten und Aspirationen an: Sie übt Kritik an vorherrschenden Wirtschaftstheorien; sie vertieft wirtschaftstheoretische Auseinandersetzungen um das Geschlechterverhältnis und erweitert damit das Feld der Ökonomie selbst; sie analysiert und kritisiert wirtschaftliche Verhältnisse; und last but not least geht es ihr um grundlegende Kritik am Kapitalismus sowie um den „Umsturz der Gesellschaft“. Mit dem Abebben der Bewegung hat die feministische Ökonomie thematisch an Breite gewonnen, aber Schlagkraft verloren. Mittlerweile ist die feministische Ökonomie, wenngleich meist in bescheidenem Umfang, auch an den Universitäten verankert. „Die“ feministische Ökonomie gibt es nicht, genausowenig wie es die eine Wirtschaftstheorie gibt. Verschiedene Ausrichtungen prägen das Feld feministischer Ökonominnen. Sie analysieren Geschlechterverhältnisse aus einer differenz- oder gleichheitsfeministischen Perspektive, aus der Sicht der queer theory oder einem materialistischen Blickwinkel. Feministische Ökonominnen sind beispielsweise Marxistinnen, Keynesianerinnen/Post-Keynesianierinnen oder Neoklassikerinnen. Sie beschäftigen sich mit Ökonomie auf einer mikro- oder makroökonomischen Analyseebene. Thematisch erstreckt sie sich von den „Klassikern“ geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede und Arbeitsmarktanalysen, über Formeln mit großem I – damit ist die Weiterentwicklung mathematischer Modelle etwa im Rahmen der Neoklassik gemeint – , und Auseinandersetzungen mit der Care-Ökonomie, bis hin zu Utopien, gesellschaftlichen Alternativentwürfen sowie zu Ansätzen in der Makroökonomie und Krisenanalysen.