Vom Umgang mit Akzent im Theater
Wir leben in einer von hegemonialen Strukturen geprägten Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die Menschen in Klassen, Geschlechter, „Fremde“ und „Einheimische“ einteilt, in der Menschen an Hand dieser Kategorien strukturell benachteiligt werden und Gewalt ausgesetzt sind. In dieser gesellschaftlichen Ordnung sind bereits die Wahl des Wohnortes und die Ausübung eines Berufs Privilegien. Theater verstehen und präsentieren sich oft als Orte, an denen diese Ordnung mit den Mitteln der Kunst und der Sprache in Frage gestellt oder zumindest kritisch reflektiert wird. Aus dem Blick gerät dabei allerdings, inwiefern der Theaterbetrieb selbst dazu beiträgt, strukturelle Ungleichheiten zu reproduzieren.
So sortieren schon Schauspielschulen Bewerberinnen aus, die mit Akzent sprechen, wovon die Aufnahmekriterien bekannter Schulen im deutschsprachigen Raum zeugen. An der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin ist es „die angemessene Beherrschung der deutschen Sprache“, am Max-Reinhardt Seminar in Wien „die Beherrschung“ ohne Adjektiv und an der Hochschule der Künste in Zürich der „Nachweis genügender Deutschkenntnisse“, die als Voraussetzungen für eine ansonsten uneingeschränkte Teilnahme an den Vorsprechen der Schulen genannt werden.
„Die Sprache gehört dem Volk“
Das Bestehende legitimiert sich auch im Theater allein schon über seine andauernde Existenz und entzieht sich einem Diskurs, der eine Veränderung anstoßen könnte, durch eine nur scheinbar rationale Argumentation.
Eine Schauspielerin müsse ihren Körper beherrschen und wenn sie eine Sprache nur mit Akzent sprechen könne, beherrsche sie ihren Körper eben nicht. Eine ungewohnte Betonung oder Syntax würden vom Wesentlichen, der Intention des Textes, ablenken. Das Publikum könne vieles nicht verstehen und deshalb dem Geschehen auf der Bühne nur schwer folgen, so die Argumentation. Verschleiert ist dadurch die Funktion der Sprache als Mittel der Unterdrückung. Als solches beschreibt sie auch die Autorin Marianna Salzmann: „Ich werde freundlich angelächelt, wenn ich jiddische Worte in mein Deutsch einfließen lasse. Ich werde gebeten, nicht so laut zu sprechen, wenn ich russische Worte beimische. Und ich werde gefragt, was das soll, wenn ich Türkisch mit Deutsch zusammensetze.“ Das ist es, was die Sprachwissenschaftlerin İnci Dirim Linguizismus nennt: „eine bestimmte Form des Rassismus, die in Vorurteilen gegenüber Menschen, die eine bestimmte Sprache bzw. eine Sprache in einer durch ihre Herkunft beeinflussten spezifischen Art und Weise verwenden, zum Ausdruck kommt.“ Linguizismus ist in institutionalisierter Form sowohl an Schauspielschulen, als auch der Mehrzahl der Theaterhäuser wirksam. Denn diese stehen, bewusst oder unbewusst, in der Tradition des Nationaltheaters, sie fungieren als Institutionen zur Pflege der Sprache und Kultur einer Nation und sind damit aktiv beteiligt an deren Konstruktion – der Herstellung der Deckungsgleichheit von Sprache, Ethnie, Gebiet und Staat.
Die Heterogenität der Wirklichkeit, etwa die sprachliche Vielfalt innerhalb einer Nation, muss auf Grund dieser in sich geschlossenen Konstruktion negiert oder aber pejorativ umgedeutet werden. Auch ein zunächst liberal anmutender Parlamentsbeschluss – „Der Deutsche Bundestag ist der Überzeugung, daß sich die Sprache im Gebrauch durch die Bürgerinnen und Bürger, die täglich mit ihr und durch sie leben, ständig und behutsam, organisch und schließlich durch gemeinsame Übereinkunft weiterentwickelt.“ – muss so zwangsläufig in Blut und Boden versinken: „Mit einem Wort: Die Sprache gehört dem Volk.“ Der Umkehrschluss dieser nationalistischen Logik: Wer mit Akzent spricht, kann kein Teil des „Volkes“ sein.
Theater reflektieren
Für die Veränderung von Sprache, wie sie im Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Erstsprachen entsteht, ist in dieser Ideologie kein Platz, sie wird stigmatisiert. Die Kulturindustrie, zu der auch Theater und Literatur zählen, verweigert sich zu großen Teilen der selbstreflexiven Erkenntnis, Teil eben dieser Ideologie zu sein und somit Menschen zwangsläufig abzuwerten.
Ist es beispielsweise beabsichtigt, dass eine Figur auf der Bühne mit Akzent spricht, muss in der Regel eine Schauspielerin, die ansonsten „fehlerfrei“ spricht, sich diesen Akzent antrainieren und ihn auf der Bühne wiedergeben. Denn wenn eine Schauspielerin „isch“ sagt und Artikel weglässt, ist ohnehin allen sofort klar, dass sie eine Türkin spielt. Undenkbar die Inszenierung eines Klassikers, in der die Hauptfigur einen Akzent hat. Ein Theater, das sich solcher Mittel bedient, reproduziert dadurch rassistische Stereotype. Es gilt daher diese implizite Logik des bestehenden Theaters zu benennen, um dessen rassistische Praktiken offenzulegen. Der weiße Schauspieler – der im Übrigen die längste Zeit auch damit betraut wurde, Frauen zu spielen – mit Deutsch als Erstsprache wird dabei zur makellosen Projektionsfläche stilisiert. Er kann auf der Bühne jede beliebige Figur verkörpern, während alle von dieser Norm abweichenden Schauspielerinnen auf die ihnen zugeschriebene Identität, auch auf der Bühne, beschränkt bleiben. Eine Reflexion potentiell diskriminierender Kategorien, wie Herkunft, Sprache und Körper, müsste daher gerade im Theater stattfinden. So wurde etwa die „postmigrantische Literaturwerkstatt“, eine Kooperation zwischen dem Ballhaus Naunynstraße und dem Maxim-Gorki-Theater in Berlin, in Neue Deutsche Stücke umbenannt.