MALMOE

Selbstbestimmung statt ­Integrationszwang

Warum wir autonome Lehr- und Lernräume schaffen und verteidigen müssen

Was bedeutet Autonomie?

Als Autonomes Kollektiv:Offene Deutschkurse begreifen wir Autonomie als radikales Selbstverständnis und handlungsleitendes Paradigma. Politisch, organisatorisch, inhaltlich, programmatisch. Wir sind und bleiben unabhängig von fördernden/fordernden Geber_innen und deren Einflüssen auf unser Tun und Handeln. Wir sammeln keine Daten. Wir ordnen keine_n in Zielgruppen oder Kategorien von (nicht-)gestatteten Deutschlernenden. Wir schließen nicht aus. Wir zählen nicht. Wir halten nicht fest. Wir erlauben es uns, nicht zu wissen wer wir sind, keinen Überblick zu haben über die genaue Anzahl der Lernenden, die Gründe oder die möglichen individuellen und kollektiven Verpflichtungen, sich Deutsch anzueignen. Wir erlauben es uns, keine Aufenthaltstitel an Individuen festzumachen, keine Dokumente zu kopieren. Wir erlauben uns keine messbaren Erfolge, keine Evaluationen in Zahlen und Tabellen vorzuweisen. Wir nehmen/geben gerne solidarische Unterstützung. Wir verkaufen nichts, auch keine Abschlusszertifikate oder Wohltätigkeitsaktien. Wir schaffen autonome Lern- und Lehrräume. Offen für Alle. Bedingungslos.

Selbstverständlich ist das keineswegs. Deutsch-Lern- und Lehrräume werden politisch instrumentalisiert, Inhalte und Ziele direkt und indirekt vorgeschrieben, Handlungsräume systematisch eingeschränkt. Das neue Integrationsgesetz, welches mit 1. Oktober 2017 in Kraft treten wird, sieht vor, dass Menschen aus Drittstaaten ab dem vollendeten 15. Lebensjahr (Asylberechtigte, subsidiär Schutzberechtigte und Drittstaatsangehörige mit Daueraufenthaltstitel) Sprach- und Wertekenntnisse in kombinierten Prüfungen nachweisen müssen. Bei vermeintlicher Integrationsverweigerung drohen die Nichtausstellung bzw. Nichtverlängerung von Aufenthaltstiteln oder Sanktionen in Form einer gekürzten oder gestrichenen Mindestsicherung bzw. Notstandshilfe oder Einbußen beim Arbeitslosengeld. Damit zeigen sich nicht nur die menschenverachtenden und entwürdigenden Praktiken der österreichischen Migrationspolitik in aller Deutlichkeit, es werden auch die Möglichkeiten einer (selbst-)reflexiven und gemeinsam ausgehandelten politischen Bildungsarbeit von und mit Migrant_innen und Geflüchteten weiter erschwert.

Lernen ohne Zwang

Wenn Kursteilnehmer_innen unter Druck standardisierte Multiple-Choice-Tests – wie die geplanten Werteprüfungen des ÖIF (Österreichischer Integrationsfond) – innerhalb bestimmter Fristen ablegen müssen, bleibt immer weniger Raum für Diskussion, Dialog und Begegnung in den Kursen.
Unter Zwang kann mensch nicht lernen. Weder eine Sprache noch „Werte“. Über gemeinsame „Werte“ zu lernen, bedeutet miteinander zu diskutieren, zu hinterfragen und sich auf einen offenen gemeinschaftlichen Prozess einzulassen – „Werte“ lernen jedoch als das Auswendiglernen von abprüfbaren Antworten für einen Test zu verstehen und im Gesetz zu verankern ist herabwürdigend, sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden. Für Deutschlehrende wird es in diesem Kontext immer wichtiger sich zu positionieren, um nicht schleichend zu Handlanger_innen und Mitläufer_innen, Mittäter_innen dieses Migrations- /„Integrations“-Regimes zu werden. Letztlich müssen autonome Lehr- und Lernräume mehr denn je verteidigt werden!

Ein Denkanstoß dazu bietet die im Juni 2017 erschienene Broschüre des Autonomen Kollektiv:Offene Deutschkurse (https://offenedeutschkurse.wordpress.com). Die Offenen Deutschkurse finden derzeit viermal wöchentlich im Amerlinghaus (Stiftgasse 8, 1070 Wien) statt. Die Kurse sind gratis, offen und anonym. Es ist keine Anmeldung erforderlich, ein Einstieg ist jederzeit möglich. Offen ist das Kollektiv auch für alle, die ihre Zeit und ihre Ideen einbringen möchten und Interesse haben gemeinsam gemeinsam zu denken und zu lernen.

Mehr Infos zum Protest gegen Wertekurse: IG DAZ DAF BASISBILDUNG