Die britische Labour Party galt vor kurzem noch als hoffnungsloser Fall. Spätestens seit den Parlamentswahlen befindet sich Labour jedoch im Aufwind. Wie kam es zum Erfolg und welche Rolle spielt die Partei in Zukunft?
Am Morgen nach den Wahlen am 8. Juni wurde ich von einer merkwürdigen SMS meines Vaters geweckt: „Wir leben in interessanten Zeiten.“ Er hat Recht: Die letzten Jahre waren für Großbritannien turbulent. Schon als die Tories eine überraschende Mehrheit im Parlament erlangen konnten, änderte sich die politische Landschaft radikal. Danach folgte ein Referendum, das Großbritannien heraus aus der EU und direkt hinein ins Ungewisse bringen sollte. Das aktuelle Wahlergebnis hat die ganze Situation noch weiter verkompliziert.
Eigentlich hätten die Wahlen Theresa Mays Conservative Party mit einer soliden Mehrheit im Parlament ausstatten sollen, um den verrückten Ereignissen der letzten Jahre zu entfliehen und den Menschen einen Hauch von Sicherheit und Stabilität zurückzugeben. Jetzt aber finden wir uns in eine Situation des Chaos und der Verwirrung zurückkatapultiert. Jene Partei, die auf eine „starke und stabile“ Regierung baute, wurde nun in eine „Koalition des Chaos“ mit der erzkonservativen Democratic Unionist Party (DUP) aus Nordirland gezwungen.
Tiefe Spaltung von Labour
Während sich die Konservativen in internen Streitigkeiten verlieren, wirkt Labour wie die kompetentere und stabilere Partei. Das ist überraschend, wenn man bedenkt, dass Labour seit der Wahl Jeremy Corbyns zum Parteichef mit zahlreichen inneren Konflikten zu kämpfen hatte und als nicht regierungsfähig galt. Bei der Wahl zum Parteichef verhalf vor allem die Parteibasis Corbyn in einer Urabstimmung zum Sieg. Die Basis ist in der Regel weiter links positioniert als die Abgeordneten im Parlament, die sogenannten MPs (Member of Parliament), die Labour zur Mitte-Partei formen möchten. Folglich protestierten die MPs heftig gegen das Ergebnis der Urabstimmung und die Partei spaltete sich: ein Großteil der Basis und Corbyns Führungsteam auf der einen, die MPs auf der anderen Seite.
Für AnhängerInnen Toni Blairs war der Gedanke, einen überzeugten Sozialisten als Parteichef zu haben, untragbar. Corbyn steht für die (Re-)Verstaatlichung der Bahn, widersetzt sich dem Abbau des Wohlfahrtsstaates und trat lautstark gegen die nukleare Abschreckungspolitik Großbritanniens ein – somit widersetzte er sich Blairs Vorhaben, Labour in eine neoliberale Partei der Mitte umzuwandeln. Corbyn wurde schließlich vorgeworfen, dass seine Ablehnung der aktuellen britischen Verteidigungs- und Außenpolitik jene WählerInnen verschrecken würde, die die Armee durchaus wertschätzen. Das Ergebnis war, dass Labour-MPs sich in einer zirkulären, selbst-schadenden Logik verfingen: Corbyn ist unwählbar, deshalb werden wir ihn nicht unterstützen und somit hatte er es noch schwerer, gewählt zu werden.
Dieser Widerstand gegen Corbyn aus den eigenen Reihen machte es für Labour unmöglich, eine starke Opposition im Parlament zu bilden; problematisch war dabei auch die Rolle des Schattenkabinetts, welches häufig wechselte und meist aus Personen bestand, die der Öffentlichkeit nicht bekannt waren. Einige unprofessionelle Auftritte bei der offiziellen Fragestunde an den Premierminister („Prime Minister’s Question“) bestätigten Corbyns schlechtes Image. Sehr peinlich wurde es, als der damalige Premierminister David Cameron sich an Corbyn wandte und aussprach, was viele insgeheim dachten: „It might be in my party’s interest for him to sit there, it’s not in the national interest, and I would say, ‚For heaven’s sake man, go!‘“
Während der Vorbereitungen zum Brexit-Referendum kam es zu einem besorgniserregenden Zerwürfnis: Obwohl Labour offiziell die „Remain-Kampagne“ unterstützte, entschied sich eine Gruppe von MPs für „leave“ zu werben. Auch nach dem Referendum gab es große Unklarheit innerhalb der Partei, wie man „Remainers“ und „Leavers“ vereinen könne.
Plötzlich auf Erfolgskurs
Trotz alledem hat es Labour geschafft, sich aus den Tiefen der eigenen Zerwürfnisse zu befreien und verspürt nun einen solchen Aufwind, dass es sogar möglich scheint, die nächsten Wahlen für sich zu entscheiden. Wir sind mit zwei offensichtlichen Fragen konfrontiert. Erstens: Wie hat es Labour trotz der internen Streitigkeiten geschafft, die Wahlen im Juni als Erfolg zu verbuchen? Und zweitens: Hat die Partei sich tatsächlich versöhnt oder ist die Einheit reine Fassade?
SkeptikerInnen Corbyns könnten argumentieren, dass die Konservativen einen der schlechtesten Wahlkämpfe ihrer Geschichte hinter sich haben. Es schien, als hätte May Angst gehabt mit ihrem Kontrahenten Corbyn persönlich zu debattieren. Daneben hat sie den Kontakt mit den WählerInnen bis auf ein Minimum reduziert. Zusätzlich war sie im Bereich der Sozialpolitik zu einer Kehrtwende gezwungen, als publik wurde, dass ihre Partei Pensionen kürzen wollte. Da eine Vielzahl der WählerInnen der Tories PensionistInnen sind, war dies ein Schachzug, der ihr einige Stimmen kostete.
Gelungene Mobilisierung
Es wäre aber zu kurz gegriffen, den Erfolg von Labour nur auf die Fehler der Konservativen zu reduzieren. Es kann nicht ignoriert werden, dass Corbyn zur Galionsfigur einer großen Basisbewegung wurde, die seit der Ankündigung der Wahl Tag und Nacht für einen Labour-Sieg arbeitete. Corbyn selbst war die Wochen vor der Wahl größtenteils damit beschäftigt, quer durchs Land zu fahren. Dabei wusste er sein Charisma einzusetzen und konnte auf jedem seiner Stopps beachtliche Mengen an UnterstützerInnen mobilisieren. Ich selbst nahm an einer dieser Kundgebungen in York teil. Es war tatsächlich verwunderlich, so viele Menschen zu sehen, die sich offen für die Reden eines Politikers interessierten und unentwegt seinen Namen skandierten. Das könnte auch als eigenartiger kultischer Aspekt der Unterstützung von Corbyn abgetan werden. Jedoch schafft Corbyn es zumindest, dass die Leute auf die Kundgebungen kommen und sein Programm anhören. Das ist im heutigen Klima der politischen Apathie und Enttäuschung keine Selbstverständlichkeit mehr.
Ob Corbyn es tatsächlich geschafft hat, die Partei wieder zu vereinen oder ob die internen Spaltungen wieder auftauchen werden, ist sicherlich schwierig zu sagen. Eines ist jedoch klar geworden: Corbyn ist nicht „unwählbar“. Obwohl Labour den Wahlsieg noch verpasste, hat die Partei zum ersten Mal seit 1997 wieder Sitze im Parlament dazugewonnen. Und wenn man die Anzahl der tatsächlich abgegebenen Stimmen betrachtet, war Labour kurz davor, die Tories zu überholen. Außerdem hat sich die Erzählung der Rechtskonservativen, dass May eine starke und kompetente Führungspersönlichkeit sei – die geistige Nachfolgerin Margaret Thatchers sozusagen – ebenfalls als falsch erwiesen. Jetzt liegt es an Labour, ein neues Narrativ zu formulieren, das sich nicht einem totemistischen Kult der Führungspersönlichkeit hingibt, sondern eine breite Bewegung mit Werten wie Kooperation und Gleichheit als zentrale Momente formt.
Übersetzung: Laurin Lorenz