Ein Gespräch mit Elke Gaugele, Professorin für Moden und Styles an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Mode, Fast Fashion und verändertes Kleidungsverhalten
MALMOE: Mode ist noch ein relativ junger Forschungsgegenstand in den Kulturwissenschaften. Mit welchen Themen beschäftigt man sich in den „Fashion Studies“?
Elke Gaugele: Man kann sagen dass die Beschäftigung mit Mode in den 1990er, 2000er Jahren zugenommen hat, auch im wissenschaftlichen Bereich, und sich das Feld der Fashion Studies an verschiedenen Hochschulen institutionalisiert hat. Ich würde sagen, mit der Dritten Welle des Feminismus, mit Queer-Feminismus und seit Judith Butler hat sich auch die Beschäftigung mit Mode intensiviert. Mode ist in den 1990ern, in der Folge dieser Auseinandersetzungen mit Gender und Body Politics zum Politikum geworden. Um die 2000er gab es danach auch nochmal so etwas wie eine Material Culture Wende, mit der auch stärker Fragen der Produktion und der Nachhaltigkeit erörtert werden.
Beim Einkauf habe ich – überspitzt formuliert – die Wahl zwischen billig produzierter „Fast Fashion“ und fair produzierter Kleidung, die mit verschiedenen Fair-, Bio- und Öko-Gütesiegeln versehen ist. Ist das eine neuere Entwicklung? Oder kann man sagen, dass man diese Wahl zwischen Massenproduktion und Handwerk in der globalisierten Textilproduktion immer schon hatte?
Grundsätzlich kann man sagen, man hat diese Wahl immer gehabt. Nicht nur das Kaufverhalten, das ganze Kleidungsverhalten hat sich aber verändert. Ich würde hier nicht nur an den Konsum denken. „Fast Fashion“ gibt es in dieser Intensität, wie das jetzt beispielsweise H&M auf den Markt geworfen hat, ja noch nicht so lange. Das ist eine Sache, die sich Ende der 1980er, Anfang der 1990er sehr intensiviert hat. In einer globalen Produktion gab es davor natürlich auch Massenkonfektion, aber es gab immer auch die Wahl sich etwas selber zu machen oder auch etwas handwerklich Produziertes zu kaufen. Aber das ist natürlich eine Frage des Könnens oder eine Frage des Geldes, wie viel ich ausgeben kann. Die Möglichkeit sich Second Hand zu kleiden, Kleidung zu tauschen oder auch Kleidung, wie es jetzt vielleicht noch mal zwei Generationen vorher war, als etwas Wertvolles zu betrachten, das man weitergibt oder das man selber auch für eine lange Dauer hat, das ist eine Sache, die einem selber ein Stück weit frei steht: Kleidung anders zu sehen, als einem ein kapitalistisches Diktat vorgibt.
Viele kaufen ja Second Hand, weil sie sagen, dass die Stoffe schlechter werden und die Kleidung heute weniger langlebig ist. Stimmt dieser Eindruck?
Das stimmt auf jeden Fall. Ich muss sagen, ich habe selber vor einem guten Jahr Mal in einem Kleiderdepot für Geflüchtete mitgearbeitet und dort Kleiderspenden durchgesehen und sortiert. Ich war bestürzt, wie schlecht diese Kleidung ist, dass diese oft eigentlich gar nicht zur Weitergabe geeignet ist. Also es ist wirklich „Wegwerfmode“. Ich meine, klar, irgendwie muss man ja auch auf diese Preise kommen. Das sind billiger produzierte Stoffe, sehr viele synthetische Materialien, die dann auch schnell verfilzen oder hart werden, so dass man sie wirklich auch nicht mehr weitergeben kann oder will.
Ist die Verwendung von synthethischen Materialien aus deiner Sicht per se etwas Negatives?
Es gibt auch wirklich schöne Stoffe, die Mischfasern sind, oder synthetische Fasern wie z. B. Viskose, Modal oder Tencel-Fasern, die auch schön weich und hochwertig sind. Aber ich denke an billig produzierte Stoffe, die eben nicht körpersympathisch sind, wo sich die Oberflächen relativ schnell verändern, so dass es einfach ganz schnell Müll wird.
Beschäftigst du dich selbst auch mit Materialentwicklung, ist das Thema der Auseinandersetzung am Institut?
Ich selber interessiere mich sehr für Materialentwicklung und ich gehe oft auf Messen, wo es um Materialentwicklungen geht, wie z.B. der Techtextil in Frankfurt. Interessant fand ich dort die Faser Q-Milk, die aus überschüssiger Milch produziert wird. Das ist zwar in dem Sinn eine künstlich produzierte Faser, die aber eben aus Überschüssen hergestellt wird und zu hundert Prozent abbaubar ist. Bei Fast Fashion ist ja auch das Recycling ein großes Problem. Dazu gibt es einen Film von Meghna Gupta über Altkleiderverwertung in Indien, über einen der größten Plätze für Textilrecycling auf der Welt. Darin sieht man, dass die Sweatshop-Arbeit, die wir in der Herstellung von Kleidung anprangern, sich genau so spiegelt in der Wiederverwertung von Kleidung. Wir haben also nicht nur ein Problem in der Produktion, sondern auch ein Problem mit der Verwertung. Das passiert wieder in der globalisierten Welt: Weggeworfene Kleidung wird wieder ganz weit transportiert, unter Sweatshop-artigen Bedingungen aufgetrennt und zu billigen Fasern zurückgeführt. Dieser Kreislauf ist ein Riesenproblem. Deswegen interessiere ich mich gerade für neue Fasern, die biologisch abbaubar sind.
Die Lehre im Fach „Moden und Styles“ hat ja auch den Anspruch, dass diese kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung wieder in die Modeproduktion zurückwirkt …
Wir wollen künstlerisch-wissenschaftlich zusammenarbeiten, so dass im Unterricht in Modedesign auch eine Auseinandersetzung mit Geschlechterbildern stattfindet, um Mode auch bewusst zu entwerfen und in dem Sinn auch dekonstruierend, entgegen normativer Setzungen wirken zu können. Das ist uns sehr wichtig. Und umgekehrt, dass auch Fragen aus der Praxis und aus Konsumpraktiken in die wissenschaftliche Auseinandersetzung einfließen. Wir haben beispielsweise letztes Jahr mit den Studierenden eine Veranstaltung zum Fashion Revolution Day gemacht. Das ist Teil einer im weitesten Sinne aktivistischen Praxis, die sich mit einer Wissensproduktion und einer Reflexion verknüpft.
Was ist der Fashion Revolution Day?
Einmal im Jahr, am 24. April, das ist der Tag an dem die Fabriken von Rana Plaza in Bangladesch eingestürzt sind, wird eine Art Memorial Day veranstaltet, auch um kritisch-aktivistisch über Modeproduktion nachzudenken. Da haben wir einerseits mit den Studierenden zusammen ein Programm für Schüler_innen gemacht und eine Podiumsdiskussion veranstaltet, unter anderem mit Lucy Norris, im Rahmen deren Forschung dieser Film von Meghna Gupta entstanden ist. Wir hatten auch einen Designer aus Bangladesch eingeladen, der nachhaltige Mode macht, also wirklich versucht, auch eine interessante Runde zusammenzubringen, um das Thema kritisch zu diskutieren. Da trifft sich bei uns auch, dass die Praxis von gesellschaftlichen Fragen geleitet ist.