Kritische Politische Jugendarbeit in Wien
Die Vereinslandschaft in Wien ist sehr reich und umfangreich, das kommt vor allem daher, dass es relativ einfach ist einen eigenen Verein zu gründen. Mit diesem Verein lassen sich dann Gelder beantragen und Aufträge wahrnehmen. Trotz der Zugänglichkeit ist das Feld der explizit linken, emanzipatorischen Vereine, die aktiv kritische Bildungsarbeit leisten, recht überschaubar. MALMOE hat sich mit dem Verein Kritisch Politische Bildungsarbeit* zusammengesetzt und ist ins Gespräch gekommen. Unter anderem ging es um konkrete Ziele einer kritisch-politischen Bildungsarbeit im aktuellen Kontext und die Herausforderungen im praktischen Feld.
MALMOE: Welche Erkenntnisse ergaben sich aus eurem theoretischen Studium?
Verein Kritische Politische Jugendarbeit: Der Konstituierungsmoment zur tatsächlichen praktischen Arbeit als Verein folgte Beobachtungen und Erfahrungen, die wir im Uni-Kontext gemacht haben.
Wir haben Zugang zu marginalisierten Theorien aus dem post-kolonialen, queeren, feministischen und entwicklungskritischen Spektrum, die allesamt vereint sind in ihrer Kritik an Macht und Herrschaft. Dieses „Privileg des kritischen Curriculums“, das zwar selbst eine prekäre Position im gesamten Universitätsbetrieb einnimmt, dabei aber oft in einem Elfenbeinturm mit extremen Zugangsbeschränkungen gelehrt und praktiziert wird, galt und gilt es für uns aufzubrechen und zugänglich zu machen. Diese paradoxe Situation von, also einerseits Zugang zu haben zu herrschaftskritischer Wissensproduktion im Herzen des elitären Universitätssystem und zum anderen festzustellen, dass dieses Privileg für uns mit einer Verantwortung verbunden ist, die die Universität nicht einlösen kann. Eine Verantwortung die wir versuchen in der kritischen Bildungsarbeit im Kontext der Jugendarbeit zu übersetzen und ein Privileg, das wir gerne aufbrechen möchten und zugänglich gestalten wollen. Diese Gleichzeitigkeit von theoretischer Intervention und praktischem Handeln ist bei uns extrem wichtig.
Welche Beobachtungen habt ihr in der Praxis gemacht?
Für noch so kleine politische Themen wird im Schulalltag kaum Platz eingeräumt und allgemein kommen keine politischen Themen im Lehrplan. Ähnlich verhält es sich in der offenen Jugendarbeit, in der die Hauptaufmerksamkeit oft in Beziehungsarbeit oder in akute Probleme fließt. Über die Hinwendung zu psychosozialer Unterstützung bleibt nur unterschwellig oder in sehr günstigen Zufällen Zeit politische Themen zu besprechen und zu diskutieren.
Hinzu kommt, dass der „heimliche Lehrplan“, wie es Gayatri Chakravorty Spivak nennt, den meisten in Lehr- und Sozialtätigkeiten Arbeitenden unkritisch das hegemoniale Wissen als universelles Wissen vermittelt. In dem bleibt wenig Platz zum Hinterfragen.
Was bedeutet für Euch interventionistische Pädagogik?
Um produktiv und kritisch in die Konstruktionen von Macht- und Herrschaftssystemen intervenieren zu können, bedarf es neben einem Wissen, das es schafft jene Mechanismen zu identifizieren, auch geeigneter Methoden, um zu intervenieren. Dies sind zwei Seiten einer Münze. Nur selten sind die theoretischen Zugänge gegeben, wie glücklicherweise in unserem persönlichen Fall, aber wenn es zu den Methoden kommt, wird oft überhaupt nichts in den jeweiligen Ausbildungen gelehrt. Grundsätzlich werden jedoch weder das eine, Theorien, noch das andere, Methoden für die Praxis, ausreichend vermittelt. Die einzige Methode ist das Arbeiten und die Auseinandersetzung mit leblosen akademischen Texten.
Welche Vorzüge hat ein Verein?
Es geht uns darum einen Raum zu schaffen, in dem über politische Themen mit Jugendlichen geredet, diskutiert und sich ausgetauscht werden kann. Über die externe Struktur des Vereins können wir eine inhaltliche Autonomie wahren und explizit Inhalte an den Start bringen, die uns wichtig sind und die wir für gesellschaftlich relevant halten. Dazu wird der Verein für uns selbst zum Raum des Austausches, in dem wir als aktive Gruppe Missständen aus unserer professionellen Ausbildung entgegenwirken können. Das ermöglicht uns auch, aufgrund unserer Motivation und Involviertheit, auf sehr spezifische Probleme in bestimmten Kontexten Bezug zu nehmen. Diese Passion, die auf der anderen Seite oft unvergütete Mehrarbeit bedeutet, kann besser auf spezifische, gesellschaftliche Gewalten antworten und darüber punktuell und strategisch eingreifen. Gerade weil wir uns versuchen die Zeit zu nehmen und spezifische Workshops anbieten um damit, in Verknüpfung mit befreiungspädagogischen Ansätzen, direkt und produktiv zu intervenieren.
Das bedeutet für uns auch, dass wir keine Workshops anbieten, die einmalig stattfinden. Wir verweigern uns dieser „Feuerwehr-Rhetorik“: kurz vorbeikommen, Feuer löschen und Schwamm drüber. Stattdessen versuchen wir – im Idealfall natürlich – langfristige Kooperationen einzugehen oder zumindest mehrere Termine auszumachen, die dann von der Struktur her ermöglichen komplexere Verbindungen einzugehen. Dazu kommt die zeitliche Komponente: sich und anderen erlauben, Zeit zu haben zum Verarbeiten und reflektieren.
Scheitern als Ausgangserfahrung?
Wir sind nicht naiv, sondern ganz im Gegenteil, sehen wir etwas, das sich als Scheitern ankündigt oder als solches verstanden werden könnte, als großen Teil unserer Arbeit. Der produktive Umgang mit Erfahrungen des Scheiterns ist dabei sehr zentral. Primär um nicht aufzugeben, aber auch um zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, auszuwerten, woran es genau gelegen hat, etc. Es geht darum die Methoden lebendig zu halten und durch die gewonnene Erfahrung aufmerksam in weitere und andere Auseinandersetzungen zu gehen. Und natürlich wird dabei auch oft ganz grundsätzlich an den Fundamenten unserer Ansätze und Ideale gerüttelt – die Sinnfrage stellt sich für uns oft. Auch deshalb, weil wir die Ergebnisse unserer Arbeit nicht direkt sehen können.
Hinterlasst ihr subversive Spuren?
Wir hoffen auf eine subversive Veränderung, die zum Umdenken anregt und wir hoffen irgendwo bei den Jugendlichen Spuren zu hinterlassen. Die Spuren, die wir hinterlassen wollen – in welchem Setting und welchem Workshoptheme auch immer – sind dabei gezeichnet von einer grundlegenden Gemeinsamkeit: in den Räumen, die wir konstituieren, hinterfragen wir immer Herrschafts- und Machtstrukturen.
Von dieser Hinterfragung haben wir verschiedene Hoffnungen, zum einen – eher augenscheinlich – erhoffen wir uns, dass die Jugendlichen sich besser selbstkritisch in ihrem gesellschaftlichen Kontext positionieren können. Mit dem tiefen Wunsch der Emanzipation der Jugendlichen durch Wissen.
Im größeren Kontext sehen wir dabei unsere Aktivitäten des Vereins nicht als etwas Singuläres, das getrennt ist von anderen Kämpfen, sondern als Teil eines Kampfes der größer ist und sich gegen autoritäre Strukturen richtet. Dabei geht es zentral darum, bestehende Verhältnisse anzugreifen und Alternativen des Zusammenseins anzubieten, die sich aus emanzipatorischen Ansätzen ableitet.
Welche Möglichkeiten der Sabotage und Transformation bestehen?
Über die geschaffenen Zugänge zu Schulen versuchen wir alternative Inhalte einzubringen, dabei sehen wir es als spannende Herausforderung an, die Zwangsmechanismen von Schulen produktiv zu nutzen, um in dem System Alternativen anzubieten, die sich dezidiert gegen ein autoritäres System wie das der Institution Schule richten.
Als Strategie, um überhaupt von Schulen und anderen Einrichtungen im Herrschaftsapparat wahrgenommen zu werden, verwenden wir bewusst dominantes und herrschaftskonformes Vokabular wie „Gewaltprävention“, um darüber einen Zugang herzustellen. Von dort versuchen wir in die Tiefe zu gehen und die diskursiven Grenzen hegemonial diskutierter Konzepte aufzuzeigen, mit dem Ansatz, gleichzeitig den Missständen produktiv entgegenzuarbeiten. Über diese Sabotage erhoffen wir uns von innen her Einfluss zu nehmen und zu zeigen, dass ein anderes Zusammensein im System Schule auch möglich ist. Dabei glauben wir dass ganz banale Methoden bereits am Grundgerüst rütteln, auf dem die Institution Schule aufgebaut ist. Wir verfolgen die Ansicht, dass überall dort wo Herrschaft sehr sichtbar, spürbar und starr ist, sie auch sehr angreifbar ist.
Eine simple Neu-Organisation des Klassenraums und der hierarchischen frontalen Sitzordnung ermöglichen dabei bereits ein ganz anderes Zusammensein: alle werden gehört und gesehen.
Leider lässt sich die Militärpädagogik auch nicht einfach ablösen durch Settings und Ansätze, die mehr demokratische Teilhabe ermöglichen, denn auch das muss erlernt werden. Das Gesamtgeflecht von patriarchalen Familienstrukturen, Schule und die bereits aufgenommenen, verinnerlichten, verkörperten und gelernten Strukturen von Diskriminierung sind dabei oft mächtige Gegenspieler, die es erschweren, alternative Formen des Zusammenseins einfach auszurufen. Es braucht Zeit und Ausdauer, sich diesen mächtigen Gegnern auf kreative Weise zu stellen. Mit den Worten von Stuart Hall wird dabei besonders sichtbar, was es abverlangt in dem Feld tätig zu sein: „Geduld mit den Subjekten, Ungeduld mit den Strukturen.“