Der ÖIF versucht ein Identitätsgefängnis zu errichten
Ab Oktober 2017 wird sich in Sachen Integration in Österreich vieles ändern. Dann tritt das vom Nationalrat beschlossene „Integrationssammelgesetz“ in Kraft. Sebastian Kurz und das von der ÖVP geführte Integrationsministerium schreiben mithilfe des politisch tiefschwarzen Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) Werte vor. Und zwar den Kursteilnehmer_innen, den Kursinstituten und den Unterrichtenden. Werte müssen gelernt werden und sollen auch abprüfbar sein.
ÖIF wird zentraler „Integrations“-Akteur
Das Gesetz betrifft nicht nur Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, über die öffentlich besonders diskutiert wird. Alle „Drittstaatsangehörigen“ sind ebenfalls von den Neuregelungen betroffen. Sogenannte „Werte- und Orientierungskurse“ werden durch den Integrationsfonds inhaltlich vorbereitet und angeboten. Solche Kurse werden ausschließlich den Geflüchteten vorgeschrieben. Sie haben auch eine „verpflichtende Integrationserklärung“ zu unterschreiben. Drittstaatsangehörige, also Migrant_innen aus Nicht-EU-Ländern, müssen wie bisher eine „Integrationsvereinbarung“ eingehen. Auch in den für sie geförderten und geforderten Sprachkursen ist neuerdings die „Vermittlung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung“ vorgesehen. Die „Sprach- und Werteinhalte“ werden in bundeseinheitlichen „Integrationsprüfungen“ abgeprüft. Die Curricula der Sprachkurse für Anfänger_innen (A1, A2) bis zu Fortgeschrittenen (B1) müssen entsprechend geändert werden. Auch dies ist Aufgabe des Österreichischen Integrationsfonds. Er zertifiziert ebenso Prüfungsinstitute und die Prüfungsformate. Damit wird er zu dem zentralen Akteur im Integrationsgeschehen. Er entwirft, überwacht, kontrolliert und sanktioniert.
Bislang sind Modelle dieser neuen Prüfungsformate öffentlich nicht erhältlich. Jedenfalls kennt das bisher international anerkannte Österreichische Sprachdiplom Deutsch (ÖSD) solche „Werteinhalte“ nicht. Es müsste um diese ergänzt werden, damit es vom Integrationsfonds anerkannt wird. Dieser entwickelt außerdem ein eigenes Prüfungsformat. Doch was sind eigentlich typisch österreichische Werte? Im Gesetz findet sich dazu folgende Formulierung:
„Österreichs liberales und demokratisches Staatswesen beruht auf Werten und Prinzipien, die nicht zur Disposition stehen. Diese identitätsbildende Prägung der Republik Österreich und ihrer Rechtsordnung ist zu respektieren. Sie bildet die Grundlage für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und damit für den Zusammenhalt der Gesellschaft in Österreich. Dies zu wahren ist ebenfalls Ziel dieses Bundesgesetzes.“1https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_01586/index.shtml
In dieser Passage werden gesellschaftliche Werte und Haltungen mit den geltenden Gesetzen verknüpft und insgesamt als „identitätsbildend“ bezeichnet. Diese Verhärtung von Kultur als Identitätsgefängnis ist charakteristisch für die Linie des ÖIF. Was Gesetz ist, ist ein Wert. Dieser Zugang ist problematisch. Denn: Werte stehen in einer Demokratie immer zur Disposition, was sich auch auf der juristischen Ebene zeigt. Gesetze werden geändert, so wie sich die gesellschaftlichen Wertvorstellungen ändern. Man denke nur an die Diskriminierung von jungen schwulen Männern durch den § 209, der erst 2002 und das aufgrund einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgehoben worden ist. Was zuvor als Unzucht galt, war von einem Tag auf den anderen normal, zumindest nicht mehr strafbar. Allen Migrant_innen von außerhalb der EU wird nun per Gesetz unterstellt, dass sie als Einzelpersonen möglicherweise andere Werte vertreten würden als in geltenden Gesetzen festgelegt.
Um das Beispiel des 2002 aufgehobenen Paragrafen weiter zu führen: Laut FPÖ-Programm wird ein „Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Beziehungen“ bis heute abgelehnt. Ein solches ist geltendes Recht, gleichgeschlechtliche Paare können sich im Standesamt verpartnern. Die FPÖ würde also in diesem Punkt bei einer entsprechenden Frage einer Werteprüfung durchfallen. Mitgliedern der Partei müsse in der Logik des Gesetzes daher pauschal unterstellt werden, Homosexuelle zu diskriminieren. So funktioniert jedenfalls die Logik des Integrationssammelgesetzes.
Ausschließlich positive Selbstbilder
Das Beispiel macht deutlich: Im Vorgehen der Regierung steckt eine gute Portion Heuchelei. Bereits im Gesetzestext wird ein positives Selbstbild Österreichs gesetzt: Diskriminierung, Homophobie, Abwertung von Frauen und Extremismus – all das käme auf die österreichische Republik nur von außen zu. Sie entstünden nicht im Inneren. Das folgt der Tendenz, Probleme der Mehrheitsgesellschaft nach außen hin zu verlagern und zugleich im Inneren zu verleugnen. Der niederländische Sozialforscher Teun van Dijk hat dies als eine Strategie der Eliten in Europa beschrieben. Er bezeichnet sie als Rassismus: „,Wir‘ sind offensichtlich fortschrittlicher, weil moderner, rationaler, und toleranter. Diskriminierung und Rassismus sind kein Thema.“2Teun van Dijk, Der Diskurs der Eliten und die Reproduktion des Rassismus, Original v. 1990. URL: http://www.zag-berlin.de/antirassismus/archiv/55teunvandijk.html
Ausschließlich die Menschen, die nach Österreich kommen, hätten in dieser Hinsicht Defizite. Dass dieser Zugang auch in den Wertekursen und Prüfungen einschlägig ist, zeigt ein Blick in die Unterrichtsmaterialien. Dort erscheinen Fremde in erster Linie als Menschen, die mit Defiziten nach Österreich kämen. Sie tauchen nicht als Menschen auf, die das Land bereichern würden: kulturell, kulinarisch, von ihren Erfahrungen und Erlebnissen oder auch von den Werten her, die sie in die andauernde gesellschaftliche Diskussion des Landes einbringen.
Das Lehrwerk Linie 1 Österreich, herausgegeben vom Klett-Verlag, Sprachniveau A1.1, also absolute Anfänger_innen, wirbt damit, Werte- und Orientierungsmodule zu enthalten und ist vom ÖIF zertifiziert. In diesem Lehrwerk wird eine Unterrichtseinheit zum Thema „Leute treffen“ vorgeschlagen. In dieser soll angekreuzt werden, welches Verhalten bei einem Zusammentreffen im Park gut ist – und welches nicht. Die Aufgabe ist suggestiv formuliert und ebenso bebildert. „Wir hören laute Musik“, „Wir stören andere“ und „Wir belästigen Frauen“ sind offensichtlich keine Aussagen, die akzeptabel wären. Doch zeigen die Bilder genau diese Aussagen. Es entsteht also ein Kontrast zwischen Text und Bild. Warum? Weil offenbar Menschen unterstellt wird, im Park laute Musik zu hören, zu stören oder Frauen zu belästigen. Dadurch, dass sich das Beispiel in einem Werte- und Orientierungsteil eines Lehrwerkes für Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache befindet, richtet es sich an diese. Sie sind die Zielgruppe. Also sind sie mit den „sprachlosen“ bildlichen Darstellungen gemeint: Als diejenigen, die die Ordnung potentiell stören könnten. Ein hinterfragendes Unterrichtsgespräch des Dargebotenen ist auf diesem Sprachniveau schlicht unmöglich. Es wird festgestellt und zugeschrieben.
ÖIF: Vom Wohnungs- zum Sprachvermittler
Die Geschichte des ÖIF beginnt 1960: Damals wurde der Fonds vom österreichischen Innenministerium und dem UN-Flüchtlingshochkommissariat gegründet, um für Flüchtlinge Wohnraum bereit zu stellen. 2005 begann der Fonds, sich von dieser Aufgabe zurück zu ziehen und verkaufte seine Immobilien äußerst preisgünstig. Bis dato förderte er die Integration von Personen mit Migrationshintergrund in Österreich, indem er beriet und informierte. Dann kam die Sprachvermittlung als Aufgabe hinzu.
Spätestens mit 2014 hat sich die integrationspolitische Linie des ÖIF geändert. In diesem Jahr ging die Aufsicht über den Integrationsfonds vom Innenministerium auf das Außenministerium über. Seitdem ist Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) zuständig. Er arbeitete zunächst an einer Zentralisierung der Integrationspolitik. 2016 erhielt das Außen- und Integrationsministerium 25 Millionen Euro aus einem Sonder-Fördertopf der Regierung für die Integration von Flüchtlingen. Dieses Geld wurde dem ÖIF zur Verfügung gestellt, um Deutschkurse zu fördern, insbesondere im Basisbereich der Kursstufen A0 (Alphabetisierung) und A1 (Anfänger_innen). Dabei kann er selber diese Kurse anbieten, oder diese an andere Bildungsinstitute vergeben. Er ist somit österreichweit zugleich Auftragnehmer und Auftraggeber.
Zugleich wurde der ÖIF parteipolitisch ausgerichtet. Denn das Eintrittsticket zur Führungsposition im Fonds ist das ÖVP-Parteibuch. Das betrifft nicht nur den Aufsichtsrat. Da dieser dessen Finanzgebaren zu kontrollieren hat, sind diese Positionen enorm wichtig. Zwar hantiert der Fonds mit öffentlichen Geldern, er unterliegt dabei seltsamerweise keinerlei demokratischen Kontrolle. Initiativ werden kann hier der Rechnungshof – oder eben der Aufsichtsrat.
Dem Fonds-Verzeichnis des Innenministeriums zufolge sind im Aufsichtsrat des Integrationsfonds folgende Personen vertreten: Vorsitzender Dr. Herbert Anderl, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender Stefan Steiner, Aufsichtsratsmitglied Botschafter Dr. Wolfgang Waldner.
Alle drei sind Männer, und alle drei sind hochrangige Parteigänger der ÖVP. Anderl, der Vorsitzende des Aufsichtsrates, war Generaldirektor für öffentliche Sicherheit und hat 2002 am ÖVP-Programm mitgeschrieben. Stefan Scheiner kommt direkt aus der ÖVP-Zentrale in der Lichtenfeldgasse. Wolfgang Waldner war für die ÖVP Staatssekretär und Landesrat in Kärnten. Seit Anfang 2016 ist er Botschafter in den USA.
Die Werteabteilung – ein ÖVP-Residuum
Auch die nächste Führungsebene im ÖIF ist durchgängig männlich besetzt, und fast durchgängig von der ÖVP. Der Bereichsleiter für Integrationszentren kommt also auch aus der ÖVP-Familie. Sein Weg führte über den Wirtschaftsbund in die Spitzenposition im ÖIF. Auch die nächste Führungsposition ist fest in schwarzer Hand. Denn der Bereichsleiter für Werte und Orientierung ist – laut ÖIF-Organigramm – Romed Perfler. Auch er ist ein ÖVP-Parteigänger und war ein besonderer Fan von Ex-ÖVP-Chef Spindelegger.
Die Liste der ÖVP-Mitglieder in integrationspolitischen Führungspositionen ist damit noch nicht beendet. Die Leiterin der Gründer_inneninitative Zusammen:Österreich beim ÖIF war zuvor Jugendbeauftragte der ÖVP Währing. Für die Online-Publikationen des ÖIF ist ein ehemaliger Aktivist der ÖVP-Studierendenfraktion Aktionsgemeinschaft zuständig. Und so weiter und so fort. Keine Frage: Die ÖVP gibt im ÖIF den Ton an.